Radioaktive Spuren, fehlende AugäpfelMysteriöse Todesfälle an Gebirgspass lassen Forscher weiter rätseln

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Gerichtsakten zeigen Aufnahmen der Wanderer, die am 2. Februar 1959 auf mysteriöse Weise am Djatlow-Pass ums Leben gekommen sind. 64 Jahre nach dem Unglück ist die Ursache immer noch unklar.

Gerichtsakten zeigen Aufnahmen der Wanderer, die am 2. Februar 1959 auf mysteriöse Weise am Djatlow-Pass ums Leben gekommen sind. 64 Jahre nach dem Unglück ist die Ursache immer noch unklar.

Mysteriöse Todesfälle am Djatlow-Pass im russischen Ural beschäftigen Forscher und Polizei seit mehr als 60 Jahren. Eine neue Theorie sorgt für Wirbel.

Der mysteriöse Tod von neun Wanderern am russischen Djatlow-Pass im Ural-Gebirge lässt Forscher und Polizei mehr als 60 Jahre nach dem Unglück immer noch rätseln. Die Leichen der Gruppe wurden am 2. Februar 1959, vor 64 Jahren, am Berg Cholat Sjachi entdeckt – einige von ihnen mit fehlenden Augäpfeln und radioaktiven Spuren. Eine neue Theorie könnte das ungelöste Unglück endgültig aufklären.

Die zehnköpfige Wandergruppe um Gruppenführer Igor Djatlow, nach dem der Pass später benannt wurde, war am 23. Januar 1959 in Swerdlowsk, dem heutigen Jekaterinburg, aufgebrochen und wollten vom Ort Idwel aus den Gebirgspass am Cholat Sjachi passieren. Am 28. Januar verließen alle Gruppenmitglieder mit Ausnahme von Juri Judin – dem einzigen Überlebenden – eine Waldarbeitersiedlung und waren seitdem auf sich allein gestellt.

Djatlow-Pass: Mysteriöser Tod von Wanderern nach mehr als 60 Jahren ungelöst

Die Überquerung des 3,5 Kilometer langen Djatlow-Passes sollte am 31. Januar erfolgen, wurde aber wegen starker Windböen abgebrochen. Djatlow schreibt in seinem letzten Tagebucheintrag: „Wir müssen ein Nachtlager finden. Wir steigen südwarts ab – ins Auspijatal. [...] Erschöpft errichten wir das Nachtlager.“ Am Nachmittag des 1. Februar 1959 unternahm die Gruppe schließlich den zweiten Versuch zur Überquerung.

Durch Rekonstruktionen haben Forscher und Ermittler die letzten Stunden der neun Wanderer rekonstruiert: Sie schlugen gegen 17 Uhr das Nachtlager nahe dem Gipfel des Cholat Sjachi auf. Unklar ist bis heute, warum sie nicht noch die recht kurze Strecke nach Loswatal zurücklegten, wo sie eigentlich übernachten wollten.

Unglück am Djatlow-Pass: Radioaktive Spuren und fehlende Augäpfel an Leichen

Da die Gruppe am 14. Februar nicht wie geplant ihr Ziel in Wischai erreichte, begann nach Protest der Angehörigen eine groß angelegte Suchaktion. Schwere Schneefälle erschwerten die Suche. Am 27. Februar, eine Woche nach Beginn der Suchaktion, wurden die ersten gefrorenen Leichen entdeckt. Die letzte Leiche wurde erst am 5. März, mehr als einen Monat nach dem Verschwinden der Gruppe, gefunden.

Die Verletzungen und der Zustand der Leichen machten die Ermittler stutzig: Mehreren Opfern fehlten Augäpfel, einige hatten radioaktive Spuren auf ihrer Kleidung. Auch Schnittwunden und Knochenbrüche sorgten für Rätselraten bei der Polizei. Und: Trotz eisiger Temperaturen waren einige Opfer nur leicht bekleidet.

Die Angehörigen der Opfer vom Djatlow-Pass gaben an, dass die Haut der Wanderer tief gebräunt gewesen sein, ihre Haare „waren komplett grau“. Am Djatlow-Pass wurden kurz nach dem Unglück erhöhte Strahlungswerte festgestellt, die Quelle konnte aber nie gefunden werden. Die sowjetischen Behörden stellten die Ermittlungen im Mai 1959 ein.

Unglück am Djatlow-Pass: Staatsanwaltschaft in Russland rollt Verfahren neu auf

Die Staatsanwaltschaft in Russland hatte das Verfahren nach inoffiziellen Recherchen 2019 wieder aufgenommen. In den 60 Jahren seit dem Unglück hatten sich Forscher auf diverse Theorien geeinigt. Einige Experten gingen davon aus, dass die Wanderer in einen inoffiziellen Kernwaffentest geraten waren, andere wiesen auf Verbindungen von drei Wanderern zum KGB hin.

Für wahrscheinlich halten die Ermittler allerdings eine natürliche Ursache. Diese wird auch durch neue Erkenntnisse der Schweizer Forscher Alexander Puzrin und Johan Gaume der Polytechnischen Hochschule in Lausanne unterstützt. Puzrin und Gaume gehen davon aus, dass eine Verkettung unglücklicher Ereignisse eine seltene Lawinen-Art ausgelöst hat.

Demnach soll oberhalb des Zeltlagers ein Schneebrett durch Schneeverwehungen und starke Winde abgerutscht sein. Puzrin und Gaume legen in ihrer Erklärung nahe, dass so eine Lawine auch die Verletzungen der neun Wanderer erklären würde. Sie hätten angesichts der Lawine schnell handeln müssen und hatten ihre Zelte aufgeschnitten.

Djatlow-Pass: Ursache für mysteriöse Todesfälle bei Wanderern endlich gefunden?

Staatsanwalt Andrei Kurjakow stützt diese Ansicht. Die Wanderer hätten nach der Erkenntnis, dass ein Lawinenabgang unmittelbar bevorsteht, lehrbuchmäßig gehandelt und noch versucht, sich im Wald oder in einer Schneehöhle zu verstecken. Kurjakow vermutet, dass die Erfahrung den Wanderern zum Verhängnis wurde, da sie die Lawine durch das Verlassen des Zeltes härter traf.

An ihren neuen Aufenthaltsorten war die Gruppe um Djatlow vor der Lawine nicht geschützt. Wären sie in ihrem Zelt geblieben, entgegen der empfohlenen Taktik, hätten sie dieses wohl ausgraben können und überlebt. Die radioaktiven Spuren erklären sich die Forscher durch Thorium, das in den Campinglampen der Wanderer gefunden wurde.

Eine offizielle Ursache für das Unglück am Djatlow-Pass gibt es auch am 64. Jahrestag des Unglücks nach wie vor nicht, auch wenn eine natürliche Ursache für wahrscheinlich gehalten wird. Das Schicksal der neun toten Wanderer ist einer der bekanntesten Unglücksfälle weltweit, die noch als ungelöst gelten. (shh)

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