Der frühere Journalist und Verleger Wolfram Weimer wurde im Mai überraschend zum Beauftragten für Kultur und Medien berufen. Seitdem wirbelt er im Kanzleramt. Nicht, ohne Kritik auf sich zu ziehen.
KulturstaatsministerWeimers erste 100 Tage: Viel angestoßen, viel angeeckt

Der Kulturstaatsminister selbst ist zufrieden mit seiner Bilanz. (Archivbild)
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Wolfram Weimer ist die ersten 100 Tage im Amt des Kulturstaatsministers im Sprint angegangen. Seit Anfang Mai hat der frühere Journalist und Verleger weitreichende Initiativen angestoßen, auch in seinem Tätigkeitsfeld Medienpolitik. Unter anderem kämpft er für eine milliardenschwere Abgabe, die US-Digitalkonzerne wie Google zahlen sollen. Der Konservative hat Großdebatten wie den Kampf gegen Antisemitismus, für Freiheit und Demokratie aufgegriffen. Und mit Breitseiten gegen „Cancel Culture“ und das Gendern Kritik provoziert. Aber was hat Weimer bewirkt?
Der Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Sven Lehmann, zieht eine kritische Bilanz. „Kulturstaatsminister Weimer war in seinen ersten 100 Tagen im Amt medial sehr präsent, leider aber meistens als Kulturkämpfer und deutlich zu wenig als Anwalt der Kulturschaffenden“, sagte der Grünen-Politiker der „Berliner Morgenpost“. Weimer müsse jetzt „beweisen, dass er nicht nur Debatten lostreten, sondern auch liefern kann“, meinte Lehmann.
Denn einige von Weimers wichtigsten Vorhaben sind vorerst in der Schwebe.
Der Plattform-Soli
Der sogenannte Plattform-Soli wäre eine Abgabe auf den Erlös von Digitalkonzernen wie Google oder Meta bei Geschäften in Europa. Weimer hat eine Größenordnung von 10 Prozent genannt. Doch äußerten sich Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) skeptisch. Eine Sorge: Bittet man die US-Konzerne zur Kasse, könnte das den Handelsstreit mit Washington verschärfen.
Pflichten für Streamingdienste
Die von Weimer angeregte Investitionsverpflichtung für Streamingdienste würde ebenfalls US-Anbieter wie Netflix, Apple+ oder Disney+ treffen. Sie sollen Geld in Produktionen oder Studios in Europa stecken. Weimer hat sich mit Managern der Konzerne getroffen. Konkrete Ergebnisse verkündete er danach aber zunächst nicht.
Die Übernahme von ProSiebenSat.1
Das dritte große Medienthema ist die mögliche Übernahme der Sender ProSiebenSat.1 durch den MFE-Konzern der italienischen Unternehmerfamilie Berlusconi. Weimer äußerte früh Sorge um die journalistische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der deutschen Sender. Er will im September mit MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi reden. Doch Berlusconi treibt unabhängig davon die Übernahme voran. Zuletzt empfahl die Spitze von ProSiebenSat.1 den Aktionären, die kürzlich nachgebesserte Offerte der Italiener anzunehmen.
Unmittelbarer schlug Weimer mit einigen Debattenbeiträgen durch - häufig in ablehnenden Kommentaren der von ihm Kritisierten:
Einsatz für das Bauhaus
So nahm Weimer deutsche „Weltmarken“ wie die Kunst- und Designbewegung Bauhaus gegen die AfD in Schutz. Rechtsextreme Attacken aufs Bauhaus knüpften „direkt an die Verfolgung der Bauhausträger durch die NSDAP an“, sagte Weimer im Bundestag.
Wider die „Übergriffigkeit der Linken“
Er bringt immer wieder Kritik vor an Eingriffen in die Freiheit der Kunst. So schrieb er in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“: „Die freiheitsfeindliche Übergriffigkeit der Linken hat in der Cancel Culture ihr aggressives Gesicht.“ Im gleichen Atemzug kritisierte er auch „die rechten und rechtsradikalen bis rechtsextremen Kulturkampfreflexe“.
Gegen Gendern
Gegen aus seiner Sicht unschöne Sprachvarianten ging Weimer zuletzt selbst vor: Er verbannte das Gendern - also Sonderzeichen wie Binnen-I oder Sternchen für eine geschlechterneutrale Sprache - offiziell aus seiner Behörde. Dasselbe empfahl er allen mit öffentlichen Mitteln finanzierten Institutionen wie Museen, Stiftungen oder Rundfunk.
Nicht nur damit eckte Weimer an. „Das letzte Mal, dass mir jemand vorschreiben wollte, wie ich zu sprechen habe, waren es die DDR-Bonzen“, schrieb die ehemalige Bürgerrechtlerin und heutige Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt auf X. Auch sie meinte: „Es scheint, als ob sich unser Kulturstaatsminister bislang mehr mit Kulturkampf als mit Kultur beschäftigt.“
Erwartungen des Kulturrats
Der Deutsche Kulturrat lobte Ideen wie den Plattform-Soli und äußerte große Erwartungen an ein für den Herbst angekündigtes Gedenkstättenkonzept. Doch klingt auch Geschäftsführer Olaf Zimmermann distanziert. Er vermisst Interesse des Staatsministers an wichtigen Themen wie dem Urheberschutz gegenüber Anbietern von Künstlicher Intelligenz und der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern. „Zu all diesen wichtigen Fragen habe ich in den ersten 100 Tagen der Amtszeit von Wolfram Weimer noch keine sichtbaren Bewegungen wahrgenommen“, erklärte Zimmermann auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Weimer freut sich über Label als „Gewinner“
Weimer selbst blickt hingegen sehr zufrieden auf seine erste Zeit im Amt. Von großen Medien wie „Stern“ oder „Bild“ sei er zum Gewinner der ersten 100 Regierungstage gekürt worden, erklärte er auf dpa-Anfrage. Er habe Rekordetats für die Kultur erwirkt, Institutionen gestärkt und Kooperationen von Paris bis Venedig ausgebaut. Es sei ein Durchbruch in der Filmförderung gelungen, Plattform-Abgabe und Streamer-Investitionen seien initiiert, die Neuausrichtung der Deutschen Welle eingeleitet.
„In den großen Kulturdebatten engagiere ich mich aktiv, vor allem in der entschlossenen Bekämpfung des Antisemitismus“, erklärte Weimer. „Gegen Identitätspolitik von links wie rechts erhebe ich meine Stimme, auch wenn das fallweise Grüne, Linke oder die AfD ärgert.“ (dpa)