Das Wettlesen fand drei Tage lang auf sehr hohem Niveau statt. Ein atmosphärisch dichter Text um das Erinnern an historische Verbrechen setzte sich durch. Ein deutscher Mitfavorit ging leer aus.
LiteraturÖsterreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Gangl überzeugte Jury und Leser. Dafür erhielt sie den Hauptpreis und den Publikumspreis.
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Für ihr Sprachkunstwerk über das Erinnern und das Vergessen ist die österreichische Autorin Natascha Gangl mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. Mit ihrem anspruchsvollen Text „DA STA“ („Der Stein“) konnte sie im österreichischen Klagenfurt nicht nur die Jury, sondern auch das Publikum überzeugen.
Die 39-jährige Gangl erhielt deshalb neben dem von der Stadt Klagenfurt gestifteten Hauptpreis von 25.000 Euro auch den Publikumspreis. „Es ziacht mia die Schlapf' aus“, sagte die sichtlich gerührte Autorin im Dialekt, was so viel heißt wie „Es zieht mir die Schuhe aus“. Der Hauptpreis erinnert an die österreichische Literatin Ingeborg Bachmann (1926-1973).
In ihrem Wettbewerbsbeitrag macht sich Gangl auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in ihrer Heimat nahe der slowenischen Grenze verübt wurde.
Jurorin findet Siegertext „unfassbar präzise“
Die Jury zeigte sich demnach nicht nur von der kunstvollen und lyrischen Sprachtechnik beeindruckt, sondern auch von der dichten Atmosphäre, die Gangl mit Dialekt-Passagen und genauen Naturbeobachtungen schuf. Jurorin Brigitte Schwens-Harrant sprach in ihrer Laudatio von einem „unfassbar präzise gestalteten Text“.
Etwa in einer Textpassage, in der die Autorin einen privat errichteten Gedenkstein für erschossene Juden in einem Wald sucht, wird der Erdboden mit seinen darin verborgenen Verbrechens-Spuren so beschrieben: „Ein offenes Organ, das kaut, verdaut, gärt, gibt“.
Gangl schreibt Prosa, Essays und Sprechtexte. Gemeinsam mit der Band Rdeca Raketa hat sie eine neue Form des Hörstücks entwickelt, das sie „Klangcomic“ nennt. Nach mehrjährigen Aufenthalten in Mexiko und Spanien lebt die Autorin heute in Wien und in ihrer ursprünglichen Heimat in der Steiermark.
Siegerin spielt auf aktuelle Politik an
Dorthin, wo sich viele Menschen „eine offene, eine weiche, eine vielsprachige Steiermark“ wünschten, nehme sie nun den Bachmann-Preis mit, sagte sie. Gangl spielte damit nicht nur auf die slowenische Minderheit in ihrem Bundesland an, sondern auch auf die von der rechten FPÖ angeführte Landesregierung.
In den drei Tagen vor der Preisverleihung hatten 14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Texte im Rahmen der 49. Tage der deutschsprachigen Literatur vorgelesen. Der Wettbewerb wird von dem österreichischen Sender ORF veranstaltet. In den öffentlichen Diskussionen der Jury kristallisierten sich bald ein Favoritenkreis heraus, der fast durchwegs mit weiteren Preisen belohnt wurde.

Die Preisträgerinnen und Preisträger.
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Weitere Preise für Schreibtalente aus Deutschland und der Schweiz
Den mit 12.500 Euro dotierten Deutschlandfunk-Preis gewann der Berliner Schriftsteller Boris Schumatsky mit einem Text über die Unmöglichkeit, in seine Geburtsstadt Moskau zurückzukehren. Die Schweizer Autorin Nora Osagiobare erhielt den KELAG-Preis in Höhe von 10.000 Euro für ihre rasante Erzählung rund um einen Kokain-Rausch und eine wahnwitzige Reality-TV-Show, in der Väter eine Millionenzahlung erhalten, wenn sie den Kontakt zu ihren Töchtern abbrechen.
Die aus Göttingen stammende Almut Tina Schmidt bewies, dass auch Texte mit ruhiger Erzählweise und scheinbar banalen Schauplätzen überzeugen können. Für ihre Geschichte rund um ein Haus mit vielen Wohnungen, in denen Frauen mit unglücklichen Beziehungen, Gewalt oder Krankheit kämpfen, gewann die in Wien lebende Schriftstellerin den 3sat-Preis im Wert von 7.500 Euro. Tara Meister aus Österreich erhielt ein Schreib-Stipendium.
Historisches Romanprojekt geht leer aus
Einer der Mitfavoriten ging leer aus: Der in Konstanz lebende Physiker und Autor Thomas Bissinger stellte einen Ausschnitt aus seinem historischen Romanprojekt über die Familie des Physikers Paul Ehrenfest (1880-1933) vor und erntete großes Jury-Lob für seine kunstvolle Sprache, in die er auch niederländische Elemente einflocht.
Doch einige der Jurymitglieder stellten die Frage, ob der Text dem Thema NS-Verfolgung gerecht werde, um das es in dem Auszug geht. Bissinger nahm die Kritik dankend an. „Ich denke auch, da ist noch ein Weg zu gehen“, sagte er über seinen Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll. (dpa)