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Gesellschaftliches TabuWechseljahre: „Frauen fällt es schwer, darüber zu sprechen“

Lesezeit 5 Minuten
Sybille Müller lässt sich von Thomas Strowitzki, Ärztlicher Direktor an der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen der Universitätsklinik Heidelberg, wegen ihrer Wechseljahr-Beschwerden behandeln.

Sybille Müller lässt sich von Thomas Strowitzki, Ärztlicher Direktor an der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen der Universitätsklinik Heidelberg, wegen ihrer Wechseljahr-Beschwerden behandeln.

Hitzewallungen, Depressionen: Wechseljahre können mit vielen Problemen einhergehen. Millionen Frauen sind betroffen, doch lange war das Thema ein Tabu: Nun wird es präsenter - auch in Unternehmen.

Sybille Müller fächelt sich Luft zu, streicht sich die Haare nach hinten. „Ich schwitze wie Harry. Es gibt keine Klimaanlage hier, oder?“, fragt die 47-Jährige während des Interviews in der Praxis ihres Arztes. „Bin ich rot im Gesicht? Jetzt ist mir richtig heiß im Gesicht.“ Müller - halblange blonde Haare, schwarzer Blazer, dezenter Goldschmuck - sieht gut aus, frisch. Aber sie fühlt sich nicht so. Hitzewallungen plagen sie seit Jahren, besser wurde es erst, seit sie Hormonpflaster verwendet.

Sybille Müller, die eigentlich anders heißt, ist eine von Millionen Frauen in Deutschland, die unter den Wechseljahren leiden. Wenn die Eierstöcke langsam aufhören, die Hormone Östrogen und Progesteron zu produzieren, kann das bei Frauen zu massiven Beschwerden führen: Hitzewallungen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Scheidentrockenheit, Konzentrationsschwierigkeiten. Rund 30 Prozent der Frauen in den Wechseljahren leiden unter leichten, 50 Prozent unter stärkeren Problemen, wie Thomas Strowitzki vom Universitätsklinikum Heidelberg sagt.

Frauen fällt es immer noch schwer, darüber zu sprechen

So viele betroffene Frauen - und trotzdem ist das Thema lange ein Tabu gewesen. Öffnet sich die Gesellschaft aktuell oder sind Wechseljahre immer noch etwas, über das Frau lieber nicht spricht? 

„Ich höre immer wieder von Frauen, dass es ihnen schwerfällt, darüber zu sprechen“, sagt Mandy Mangler, Chefärztin an zwei Vivantes Auguste-Viktoria-Kliniken in Berlin. „Das ist schon sehr tabuisiert, weil das auch etwas mit Altern zu tun hat, mit Türen, die sich schließen.“ Mangler sagt allerdings auch: „Die Gesellschaft verändert sich ein bisschen.“ In den Medien seit das Thema präsenter.

Beginn der Wechseljahre meist Mitte 40

Bei den meisten Frauen beginnen die Wechseljahre laut Strowitzki mit Mitte 40. Bei Sybille Müller fingen sie bereits mit etwa 40 Jahren mit Schlafstörungen an. Mit 43 Jahren kamen dann Hitzewallungen dazu. Sie entschied sich, zu ihrer Gynäkologin zu gehen - die ihr allerdings nicht weiterhalf, wie Müller erzählt.

Bei der Beratung wegen Beschwerden in den Wechseljahren fragt der Gynäkologe Frauen auch nach ihrem Zyklus.

Bei der Beratung wegen Beschwerden in den Wechseljahren fragt der Gynäkologe Frauen auch nach ihrem Zyklus.

„Die hat da gar nichts unternommen, auch kein Blut abgenommen, mal die Hormonwerte geschaut.“ Die Ärztin habe sie untersucht und gesagt, es sehe alles normal aus. Müller wendet sich stattdessen an Strowitzki, der ihr nach einem Bluttest Hormone verschreibt. Sie testet erst ein Hormongel, dann die Pflaster, die sie alle zwei, drei Tage austauscht.

Älterwerden wird in der Gesellschaft kritisch betrachtet

Warum fällt es Frauen immer noch schwer, über ihre Wechseljahre zu sprechen? „Das Ausbleiben der Regelblutung ist der erste Point of no Return im Leben und ein erstes Zeichen unserer „Endlichkeit““, sagt Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft. „Mit der Fruchtbarkeit ist jetzt Schluss.“ Das habe mit Älterwerden zu tun - was wiederum in unserer Gesellschaft kritisch betrachtet werde. Dazu komme noch eine gerade bei Frauen verbreitete Haltung: „Stell dich nicht so an, stell dich selber nicht in den Vordergrund“ - nur nicht über Schmerzen und Probleme klagen.

Und trotzdem finde eine Enttabuisierung statt. „Frauen werden selbstbewusster in dieser Gesellschaft“, sagt Schaudig. „Wenn Sie so wollen, ist es vielleicht Teil eines feministischen Bewusstseins.“ Dabei gehe es auch um die Gleichstellung der Geschlechter - so wie es etwa Bestrebungen gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern gebe. 

Neun Millionen Frauen in Deutschland in den Wechseljahren

Die 64-jährige Frauenärztin aus Hamburg, die in ihrem Podcast „Hormongesteuert“ mit den Wechseljahren einhergehende Probleme wie die Zunahme des Bauchfetts erklärt, ist auch Teil der Initiative „Wir sind neun Millionen“. Die setzt sich für eine Enttabuisierung der Wechseljahre und eine bessere Versorgung von Frauen ein. 

Demnach befinden sich aktuell neun Millionen Frauen in Deutschland in dieser Phase ihres Lebens. „Ich bin nicht der Meinung, dass man diese Wechseljahre-Frauen wie mit Samthandschuhen anfassen muss, aber sie müssen wahr- und ernst genommen werden.“

Mittlerweile würden viele Betriebe Frauen Beratung zu den Wechseljahren anbieten. Auch Strowitzki, Ärztlicher Direktor der Heidelberger Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen, sieht vermehrt Unternehmen, die das Thema erkannt haben. So gebe es auch im Universitätsklinikum seit Kurzem Arbeitsgruppen: Es gehe dabei unter anderem darum, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass betroffene Frauen weiter produktiv sein könnten, etwa mit Blick auf Pausen.

Auch pflanzliche Produkte können helfen

Der Gynäkologe betont, Frauen selbst könnten viel tun, um sich während der Wechseljahre besser zu fühlen - auch ohne Hormone zu nehmen: etwa Sport, gesunde Ernährung, aber auch Kneipp-Anwendungen, gerade mit Blick auf Hitzewallungen. Zudem gebe es pflanzliche Produkte, die helfen könnten, wie etwa Traubensilberkerzenextrakte, Rotklee oder Soja. 

Professor Strowitzki geht davon aus, dass rund die Hälfte der Frauen im entsprechenden Alter unter Wechseljahr-Beschwerden leiden.

Professor Strowitzki geht davon aus, dass rund die Hälfte der Frauen im entsprechenden Alter unter Wechseljahr-Beschwerden leiden.

Manchmal bräuchten Frauen aber auch Hormone, sagt der 66-Jährige - wobei stets Nutzen und Risiken abgewogen werden müssten: Läuft die Hormonersatztherapie länger als fünf Jahre, steigt das Risiko für Brustkrebs, wie die Deutsche Krebsgesellschaft schreibt. Allerdings sorgten die Hormone auch für stabilere Knochen, sagt Strowitzki. Zudem gehe es immer um den „Leidensdruck“ der Frau.

Wechseljahre bringen auch Positives mit sich

Müllers Hitzewallung hat sich während des Gesprächs gelegt. Sie hat für Durchzug gesorgt: Die Tür steht offen, das Fenster neben ihr auch. Sie sagt, sie rede mit ihren Freundinnen offen über ihre Beschwerden. „Wenn man das Thema anspricht, dann kommen auf einmal vier Stück und sagen: 'Ach, bei mir ist es auch' und 'Ich nehme aber das'. Und auf einmal ist es ein Riesenthema.“

Frauenärztin Mangler betont, dass die Wechseljahre auch Positives mit sich brächten: Frauen müssten sich etwa keine Gedanken mehr über Verhütung machen, sie hätten keine Menstruationsbeschwerden mehr. „Frauen neigen in dieser Lebensphase dazu, Dinge abzustellen, die sie früher so aus mehr oder weniger Goodwill mitgemacht haben - weil sie gefallen wollten.“ Sie würden sich etwa eher dafür entscheiden, Sexualität so zu leben, wie sie das wollten.

Die 48-Jährige hofft mit Blick auf die Wechseljahre, dass der Umgang mit dem weiblichen Zyklus sich normalisiert, egal in welcher Lebensphase - und „wir auch Frauen nicht abwerten, weil sie altern und in diese Lebensphase kommen. Sondern dass wir ihr Potenzial und ihre Stärke erkennen und sehen.“ (dpa)