Er frisst sich in das weiche HerzRoter Rüsselkäfer lässt Palmen sterben

Palmen in Nizza
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- Der Rote Rüsselkäfer tötet immer mehr Palmen an der Cote d'Azur.
- Die mondänen Orte verlieren ihre majestätischen Wahrzeichen.
- Über die Art der Bekämpfung des Käfers sind sich die Experten uneins.
Vence – Etwas nackt stehe die Kapelle in der Hitze da, findet Schwester Bernadette. Die Dominikanerin zeigt auf einen Baumstumpf: „Hier stand sie, unsere schönste Phönixpalme. Und sie war nicht nur schön, sie spendete auch viel Schatten.“Die weltberühmte Matisse-Kapelle befindet sich auf einer wunderschönen Terrasse mit Ausblick auf das mittelalterliche Städtchen Vence und, in der glitzernden Ferne, das Mittelmeer. Henri Matisse hat das lichte Gotteshaus nach dem Weltkrieg geschaffen.
Die Glasfenster in Blau, Gelb und Grün verkörpern Palmwedel, das Symbol des Friedens und vielleicht auch der üppigen Schönheit der französischen Riviera, die Matisse so gerne in seinen Gemälden verewigte.

Die stattliche Palme in Vence musste gefällt werden.
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Die echte Palme musste vor drei Jahren gefällt werden. 30 Meter hoch war die „phénix“, wie man hier die Kanarische Dattelpalme nennt. „Ja, es war unsere liebste, die nobelste“, seufzt Schwester Bernadette nochmals. Auf dem Anwesen hätten einst zehn Palmen gestanden. Jetzt sind es nur noch sieben, die meisten vom Tode bedroht. Bedroht vom Rhynchophorus ferrugineus, dem roten Rüsselkäfer.
Gärtner Mohammed öffnet im untersten Stufengarten eine Schleusenfalle. Darin liegen ein Dutzend drei bis vier Zentimeter langer, rostfarbener Käfer. „Sie mögen dieselbe Kost wie die Menschen – Palmenherzen“, erzählt er. „Sie riechen sie über Hunderte von Metern.“

Der Rote Rüsselkäfer
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Das Weibchen legt bis zu 300 Eier an den Stämmen ab. Die Larven bohren sich dann durch das Holz bis in die Palmenkrone. Dort fressen sie mit ihren feinen Rüsseln monatelang das weiche Herz, bis die Wedel erste Schwächesymptome zeigen. „Und dann ist es bereits zu spät, um die Palme zu retten“, sagt Mohammed. „Die Blätter sterben ab, werden zu Stroh. Die Käfer suchen sich das nächste Opfer.“
In den letzten zehn Jahren sind an den Küsten des europäischen Mittelmeeres auf diese Weise fast 500.000 Palmen verschwunden. In einzelne Strandpromenaden, etwa im benachbarten Nizza, reißt der Schädling ganze Breschen. Die Stadt Vence hat die Palmen um die Matisse-Kapelle „impfen“ lassen.
Laut Patrice Miran, dem grünen Vizebürgermeister, kommt ein Verfahren des Schweizer Chemiekonzerns Syngenta zum Einsatz. Es enthalte „phytosanitäre“ Elemente wie Emamectin-Benzoat – ist im Klartext also ein Insektizid. „Das einzige wirksame Gegenmittel“, meint Miran kategorisch.
Pilze und Fadenwürmer auf Palmen gesetzt
Gibt es denn keine natürlichen Mittel zur Bekämpfung des Rotrüssels? Doch, die gibt es, meint Miran. „Aber sie werden dem Käfer nicht Herr.“ Einzelne Gemeinden in Spanien, Italien und auch Frankreich versuchen, der asiatischen Käferplage mit einem rundum biologischen Verfahren zu Leibe zu rücken: Sie setzen Pilze und Fadenwürmer ein, die die Käfer erledigen und ihre Larven vertilgen.
Das östlich von Vence gelegene Nizza hat seit 2015 jede siebte Palme verloren. Allein im vergangenen Jahr waren es 171. „Noch schlimmer, das Bio-Vorgehen ist in Nizza völlig gescheitert“, bilanziert Miran. „Ob man es will oder nicht – ohne Insektizide werden die Kanarischen Phönixpalmen an der Cote d’Azur bald ganz aussterben.“

Die Matisse-Kapelle in Vence
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Je verheerender die Folgen der Klimaerwärmung sind, desto weniger helfen biologische Gegenmaßnahmen. Die steigenden Temperaturen an den mediterranen Gestaden begünstigen die aus den Tropen kommenden Käfer und verlängert ihr Leben von sechs auf neun Monate – genug, um das Herz der Palme von innen her aufzufressen. Seine natürlichen Gegner, die Nematoden-Würmer, ertragen hingegen höchstens 25 Grad Wärme.
Noch einen Punkt führt der Vizebürgermeister gegen die biologischen Methoden an: „Der Einsatz von Pilzen und Würmern kostet 700 bis 800 Euro pro Palme. Die mehrheitlich privaten Palmenbesitzer verzichten deshalb oft.“ Der Jahrestarif für die Palmen-Prophylaxe mit Insektizid kostet dagegen nur 72 Euro.
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Miran verweist darauf, dass bisher nur die Kanarischen Inseln die Rüsselkäferplage eingedämmt hätten – mit Insektiziden. Dasselbe Resultat hatte ein erster Versuch in einer Wüstenoase Marokkos, wo die Zucht von Dattelpalmen nicht nur ästhetische Zwecke hat, sondern einen wichtigen Wirtschaftszweig darstellen.
Mirans Partei der „Unabhängigen Ökologen“ versucht nun im EU-Parlament in Straßburg durchzusetzen, dass die Palmen-Prophylaxe europaweit zur Pflicht gemacht wird. Aus Agrarkreisen hört man in Frankreich den Einwand, der Palmenschutz sei ein Luxus; wichtiger sei der Kampf gegen Schädlinge wie dem Feuerbakterium, das über 100 Nutzpflanzen befalle.
Andere Palmenarten gepflanzt
Zahlreiche Küstenorte sind bereits dazu übergegangen, weniger anfällige, aber auch weniger majestätische Palmen zu pflanzen. Miran bedauert dies zutiefst: „Das Wahrzeichen der Cote d’Azur droht zu verschwinden. Das verändert ihr ganzes Erscheinungsbild.“
Schwester Bernadette kann nur dafür beten, dass wenigstens noch ihre sieben Palmen an der Matisse-Kapelle überleben werden.