Professor zu Affenpocken„Kann sein, dass sich das Virus angepasst hat“

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In Köln wurden bei drei Personen die Affenpocken nachgewiesen. 

  • Heiner Fangerau ist ein deutscher Medizinhistoriker und Medizinethiker.
  • 2017 wurde er zum Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt. Er lehrt an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.
  • Im Interview erklärt er, was die Affenpocken von den normalen, ausgerotteten Pocken unterscheidet und wieso Krankheiten schon immer Vorurteile verbreiteten.

Herr Fangerau, in Köln wurden nun schon drei Fälle von Affenpocken nachgewiesen. Bei dem Namen muss man natürlich auch an die Pocken denken, die vor fast 50 Jahren ausgerottet wurden. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede sehen Sie?

Fangerau: Die Affenpocken gehen auf ein Virus zurück, genau wie die Pocken. Allerdings handelt es sich bei den Affenpocken um Erreger, die eigentlich bei Nagetieren heimisch sind und bei den Affen als Fehlwirt landen. Wir Menschen sind für diese Pocken ebenfalls Fehlwirte. Was natürlich direkt auffällt, ist dieser typische Ausschlag – der sieht bei den Affenpocken ähnlich aus wie bei Pocken.

Laut ersten Einschätzungen von Experten sollen die Affenpocken eher ungefährlich sein.

Seit Corona hänge ich mich nicht mehr so weit aus dem Fenster, was die Gefährlichkeit angeht. Aber schon allein die Bezeichnung „Fehlwirt“ legt nahe, dass die Affenpocken sich bei Menschen nicht so leicht ausbreiten wie bei Nagetieren. Die „echten“ Pocken waren weitaus gefährlicher, für frühere Generation waren sie die Gefahr, weil sie so ansteckend und tödlich waren. Die Leute hatten große Angst vor der Krankheit, denn selbst wenn man die Pocken überlebte, blieben Narben und Entstellungen am ganzen Körper.

Früher gab es vereinzelt Affenpocken-Fälle außerhalb von Afrika, die aber immer einen direkten Bezug zu West- oder Zentralafrika hatten. Jetzt verbreitet sich die Krankheit auch innerhalb von Deutschland. Hat sich das Virus verändert?

Es kann sein, dass sich das Virus hinsichtlich der Ausbreitung bei den Menschen angepasst hat. Ärztinnen und Ärzte warnen aber gerade vor übermäßiger Sorge.

Gehen wir nochmal zurück zu den Pocken. Sie sind ja Medizinhistoriker: Wann gab es in NRW die letzte Pockenerkrankung?

Für NRW kann ich Ihnen das spontan gar nicht richtig beantworten. Es muss aber vor 1972 gewesen sein, weil da der letzte Pockenfall in der Bundesrepublik nachgewiesen wurde.

Diese letzten Pockenfälle führten nie zu größeren Ausbrüchen. Woran liegt das? Gab es überhaupt Pockenwellen?

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Heiner Fangerau, Medizinhistoriker

Die Erkrankung breitet sich epidemisch aus, aber nicht in Wellen wie wir sie jetzt bei Corona vor Augen haben. Das heißt, dass alle Jahre wieder viele Fälle auftraten, aber gleichzeitig die Durchseuchung durch zahlreiche Epidemien in Europa etwa so groß war, dass es auch etliche inzwischen immune Personen gab. Dass sich die Pockenepidemien zurückgingen, lag aber vor allem an der Impfung. Lange, bevor man herausfand, dass Viren die Pocken auslösen, wurde eine Impfung gegen sie entwickelt.

Wie kam es dazu?

Mitte des 18. Jahrhunderts lebte ein Brite namens Edward Jenner, der feststellte, dass Menschen, die viel mit Kühen arbeiten – Landwirte zum Beispiel – auch an Kuhpocken erkrankten. Wenn sie jedoch die Kuhpocken hatten, erkrankten sie gar nicht oder nur leicht an den richtigen, deutlich gefährlicheren Pocken. Jenner hat daraufhin einen achtjährigen Jungen mit aus Kuhpocken gewonnenem Schorf geimpft, er ritzte es ihm unter die Haut. Anschließend infizierte er ihn mit den echten Pocken. Grausam, aber der Junge überlebte. Dasselbe hat Jenner anschließend mit seinem elf Monate alten Sohn gemacht. Er hat die Methode veröffentlicht und sie setzte sich durch. Der englische Begriff „vaccination“ kommt übrigens vom lateinischen „vacca“ – die Kuh, das ist also ein direkter Bezug auf die Kuhpocken. Damals haben sich die Leute noch lustig gemacht über die Impfung, auf Karikaturen wurden Geimpfte mit Kuhköpfen und Schwänzen dargestellt – ein bisschen wie hier bei uns, als die Corona-Impfung aufkam. Nach und nach haben aber immer mehr Länder eine Impfpflicht eingeführt, wodurch die Pocken als erste und bisher einzige Krankheit ausgerottet wurden.

Glauben Sie, dass die normalen Pocken oder neue Pockenarten zurückkommen könnten?

Es gibt immer wieder Gerüchte, laut denen noch Pocken in Laboren gehalten werden und als Kriegswaffe eingesetzt werden könnten. Die Sorge ist also immer noch da. Wir wissen auch durch das Coronavirus, dass unser Zusammenleben von Mensch und Tier, unsere Art, mit der Umwelt umzugehen, Raum schafft für immer neue Krankheiten. Die Frequenz der Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übergehen, wird steigen. Vor diesem Hintergrund spielen sich auch die Affenpocken ab. Die Sorge, dass eine neue Pockenart entstehen könnte, halte ich für zumindest nicht ganz unbegründet.

Was gab es früher für Seuchen bei uns in der Region, vor Corona?

Nach dem zweiten Weltkrieg trat zum Beispiel die Kinderlähmung in Deutschland epidemisch auf, gerade hier in der Region. Seit den 50er Jahren wurde dagegen geimpft: Im Ostblock mit der sogenannten Schluckimpfung, einem Lebensimpfstoff, im Westen mit einem inaktivierten Totimpfstoff. Als in NRW 1961 eine Kinderlähmung-Welle auftrat hat die DDR der BRD drei Millionen Impfdosen angeboten. Doch die BRD hat abgelehnt. Nur, um zwei, drei Jahre später den Schluckimpfstoff als Standard einzuführen, weil er besser wirkte.

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Die Pest soll ja zurückgegangen sein, als die Menschen sich öfter die Hände wuschen. Wie groß ist der Zusammenhang von historischen Seuchen und Hygiene?

Es gibt ein enges Zusammenwirken von Natur und Kultur. Eine Seuche veranlasst den Menschen zu einer Reaktion, die wiederum verändert die Ausbreitung und Biologie der Krankheit. Die Menschen verändern ihre Lebensbedingungen, sie führen Frischwasser und eine Kanalisation ein, verbessern ihre Hygiene und verändern dadurch das ganze Krankheitsprofil. Krankheiten wie Cholera, die das 19. Jahrhundert dominiert haben, wurden nicht durch Medikamente zurückgedrängt, sondern durch die Kanalisation und Veränderungen der Lebensumstände. Hier spielen Alltagsdinge wie Lüften, Hände waschen, Wäsche waschen eine Rolle. Wenn wir über gesunde Umgebung und gesundes Wohnen sprechen, liegt aber auf der Hand: Es gibt eine soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Arme Menschen sterben schneller, früher und häufiger als reiche Leute – auch, weil arme Leute unter schlechteren Wohnbedingungen, in engeren Quartieren mit weniger Isolationsmöglichkeiten leben.

So etwas schürt ja auch Mythen und Vorurteile. Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie gab es viele Berichte über Rassismus gegenüber Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund, nur, weil die ersten Covid-19 Fälle in China registriert wurden.

Jede Pandemie, jede Krankheit geht mit Stigmatisierungen von Gruppen einher, die nicht die Mehrheitsgesellschaft stellen. Es ist beschämend. Meistens trifft es ärmere Leute am sozialen Rand oder Gruppen, deren Lebensweise von anderen kritisiert wird. Bei den Affenpocken haben wir auch wieder eine Stigmatisierungsgefahr, wenn die Krankheit mit bestimmten Gruppen von Menschen verbunden wird.

Die Pocken wurden durch Impfungen erfolgreich ausgerottet. Wie ist man in der Vergangenheit Pandemien, Epidemien und einzelnen Erkrankungen Herr geworden?

Schwer zu sagen, die Krankheiten sind nur bedingt vergleichbar. Aber wenn eine Seuche kommt, reagiert die Menschheit. Nicht immer mit Impfungen wie bei den Pocken, bei der Cholera waren es verbesserte Hygienebedingungen und bei Influenza-Pandemien Einschränkungen von Verkehr, Wandel und Handeln. Man sieht gut, was Menschen durch Massenimpfungen bewirkt haben: Masern, Diphterie, Keuchhusten – das alles sind Krankheiten, vor denen die Menschen vor 100 Jahren riesige Angst hatten. All diese Krankheiten haben wir durch Impfungen einigermaßen in den Griff bekommen.

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