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Interview mit Psychiater Raphael Bonelli„Narzissten sind beratungsresistent“

Lesezeit 8 Minuten
Narzisst

„Narzissten sind beratungsresistent“, sagt Psychiater Raphael Bonelli.

Köln – Narzissmuss unter Kindern und Jugendlichen nimmt besonders in der westlichen Welt zu. Die Forschung ist sich einig, dass Narzissmus keine genetische Erbkrankheit ist, sondern Ergebnis einer fehlgeleiteten Erziehung.

Professor Bonelli, warum haben Sie das Buch über männlichen Narzissmus geschrieben?

Ich nehme wahr und sehe das auch bei meinen Patienten, dass sich Narzissmus immer mehr ausbreitet. Narzissmus ist ein Thema, mit dem wir uns zukünftig immer mehr beschäftigen müssen.

Warum gerade Narzissmus bei Männern und nicht bei Frauen?

Es gibt schon ein Buch über weiblichen Narzissmus. Weibliche Narzissten sind viel komplizierter. Sie sind vereinnahmender, aufdringlicher, machthungriger in Beziehungen. Ich finde, dass es Zeit wurde, endlich über männlichen Narzissmus zu schreiben, denn bei Männern tritt Narzissmus doppelt so häufig auf wie bei Frauen. Das wissen wir, aber wir wissen nicht warum.

Welchen Grund vermuten Sie?

Die Hypothese ist, dass Männer weniger empathisch sind als Frauen, weitaus aggressiver und rücksichtloser agieren. Sie schätzen sich höher ein und machen das nicht nur an Leistung fest, sondern auch an körperlichen Idealen.

Ich hätte gedacht, dass körperliche Ideale eher zum selbstverliebten Bild der Frauen gehören..

Frauen gehen bei der Körperlichkeit nach gängigen Idealen vor, also schlank gleich schön. Männer sind da flexibler und können auch einen Bierbauch als sexy definieren. Der Mann tut sich leichter damit, sich selbst zu idealisieren. Schönheit ist ein wichtiger Anteil des Narzissmus. Nehmen wir Berlusconi. Es hat schon etwas sehr Peinliches, wie er versucht, sein Alter zu negieren.

Wir wird man ein Narzisst?

Was macht einen Menschen, einen Mann zu einem Narzissten?

Das ist begründet in der Erziehung der Kinder und auch eine Folge, dass immer weniger Kinder geboren werden. Die wenigen Kinder werden in den Himmel gehoben und exzessiv gelobt.

Also nicht loben oder weniger loben?

Loben ist gut und richtig, aber alles zu loben, was das Kind egal wie macht, ist wirklich Schwachsinn. Diese falsche Einschätzung des Kindes, vorgelebt von den Eltern, verinnerlicht das Kind. Überschätzung kann in Narzissmus münden .

Sigmund Freud sprach von „His Majesty, the Baby“ – hat das heute mehr Gültigkeit denn je?

Ja, diese Aussage von Sigmund Freud, für die er ja einst heftig kritisiert wurde, hat wieder ihre Gültigkeit. Dagegen ist die Aussage des Analytikers Otto Kernberg, dass Eltern von Narzissten angeblich kalt, streng und abweisend sind, nicht richtig. Das mag vielleicht in den 1950er Jahren seine Berechtigung gehabt haben – heute nicht mehr.

Welche Merkmale hat Narzissmus?

Ich begrenze es auf drei Kriterien, obwohl es eigentlich neun sind. Punkt eins: Selbstidealisierung. Das heißt, ich selbst bin das Ideal, also Goldstandard. Demzufolge blendet der Narzisst alles aus, was an ihm nicht perfekt ist. Alles, was großartig ist, wertet er auf. Das macht ihn angeberisch und unsensibel. Er ist in sich selbst exzessiv verliebt, sitzt da mit einem seligen Grinsen über sich selbst – wie ein Frischverliebter.

Punkt zwei?

Die Fremdabwertung. Ich werte andere ab. Der Narzisst kann nicht nachvollziehen, dass andere gelobt werden, wo es doch ihn, den vermeintlich Besten, gibt.

Punkt drei?

Fehlende Selbsttranszendenz. Das Wesen der Menschen ist es, selbstlos zu handeln und sich zu engagieren für eine Aufgabe, ein Ziel. Das fehlt dem Narzissten. Der Narzisst dient nur sich selbst.

Fasziniert Sie der Narzissmus?

Das faszinierende Phänomen für mich als Wissenschaftler ist, wie ein mittelmäßiger Mensch sich als etwas Besonderes fühlen kann, und wie selbst hochintelligente Menschen in diese Falle tappen.

Finden Sie das abstoßend?

Nein, ich bin Psychiater. Aber es macht mir schon zu schaffen, wenn sich das beispielsweise in der Abwertung des Experten äußert. Man muss Vorsicht walten lassen in der Therapie.

Sind Perfektionisten auch Narzissten?

Sind Perfektionisten auch Narzissten und umgekehrt?

Nein, Perfektionisten sind Menschen, die denken, dass sie nur liebenswert sind, wenn sie nichts falsch machen. Antriebsfeder eines Perfektionisten ist die Angst. Perfektionisten kreisen angstvoll um sich selbst. Der Narzisst dagegen kreist selbstverliebt um sich. Wird ein Narzisst kritisiert, wertet er den Kritiker ab. Der Perfektionist dagegen ist am Boden zerstört, wenn ihn jemand kritisiert. Der gemeinsame Nenner beider ist, dass sie um sich selbst kreisen – aber eben aus anderen Beweggründen. Und: Narzissten sind beratungsresistent, Perfektionisten auch.

Sie plädieren für die Fähigkeit zum Gehorsam. Schützt das vor Narzissmus?

Ja, denn dann traue ich jemandem zu, mir was zu sagen, werte ihn nicht ab und arbeite an mir. Ich muss andere Menschen und die Kritik an mir ertragen können. In der Therapie stellt sich immer wieder heraus, dass Narzissten nicht darüber nachdenken, was an der Kritik eventuell stimmen könnte.

Heinz Kohut, amerikanischer Psychoanalytiker, sagt: Eltern muten dem Kind kein gesundes Maß an Frustration zu. Stimmt das?

Wenn Eltern ihr Kind nicht frustrieren wollen, ihm keine Grenzen aufzeigen, dann lernt das Kind nicht, Rücksicht zu nehmen. Das ist die Idealisierung des Kindes.

Welche ersten Anzeichen machen sich bei Kindern bemerkbar?

Eine gewisse Rücksichtslosigkeit und Begeisterung für sich selbst, die eigenen Leistungen und Erscheinungsformen. Ich habe mit einer Jugendgruppe gearbeitet und darüber wurde ein Film gedreht. Das waren Kinder im Alter von zehn bis zwölf. Ein Junge war so entzückt, wenn er sich selbst sah, das war extrem unangenehm. Als junger Erwachsener hat er später Drogen genommen.

Eine Ausnahme?

Eher nicht. Ich war mit meiner Frau privat eingeladen bei einer Familie. Zur Erheiterung habe ich am Tisch ein paar Schmankerl erzählt. Alle fanden es lustig und lachten. Eine der Töchter, zehn Jahre, guckte mich an und meinte: Na, so was habe ich ja nicht erlebt. Es war für sie ganz normal, sich mit mir auf eine Ebene zu stellen. Lehrer können davon ein Lied singen und werden in Zukunft ganz schön ins Schwimmen kommen.

Wie gibt sich der männliche Narzisst Frauen gegenüber?

Der Narzisst ist ein Frauenheld, meist mehrmals verheiratet oder aber es laufen ständig Frauengeschichten.

Nach welchen Kriterien sucht der narzisstische Mann seine Beziehungen aus?

Die Partnerin muss seinem Ideal entsprechen. Er will mit ihr angeben. Narzissten suchen sich auch wohlhabende Partnerinnen, weil ihnen dieser Umstand nutzt.

Narzissten in einer Partnerschaft

Erkennen Frauen das nicht?

Narzisstische Männer sind Meister der Manipulation. Sie erfüllen bei Frauen oft die Sehnsucht nach dem echten Mann. Der emanzipierte Mann vermittelt oft den Anschein einer Memme. Der Narzisst dagegen gibt sich durch und durch männlich. Er weiß, wie er Frauen umgarnt, ihnen schmeichelt und sie lobt, um ans Ziel zu kommen.

Spielt Sexualität für Narzissten eine große Rolle?

Unbedingt. Der Narzisst ist verliebt in seinen eigenen Körper und kann sich verzückt im Spiegel betrachten. In der sexuellen Beziehung mit einem Narzissten spüren Frauen oftmals, dass der Mann gar nicht sie meint, sondern vorrangig sich selbst befriedigt. Ein Narzisst will rücksichtslos Spaß haben. Dazu gehört auch, Frauen zu betrügen und Frauen aufzureißen.

Wie spiegelt sich das in Partnerschaften wider?

Viele verheiratete Narzissten haben ein Verhältnis und lassen diese Frauen im Glauben, dass sie sich von ihrer Ehefrau trennen werden. Aber der Narzisst denkt gar nicht daran, er hält sich bewusst seine Konkubine. Frauen, die mit einem Narzissten ein Verhältnis haben, erzählen mir oft in der Therapie, dass der Mann die schreckliche Ehe mit seiner Frau nur aushalten könne, weil sie als Geliebte ihn stütze. So ein System und Denkschema aufrechtzuerhalten, daran hat ein Narzisst seine Freude.

Wie verschafft sich der Narzisst Aufmerksamkeit?

Er erkennt ausgesprochen schnell, was ihm von Nutzen ist. Auf einer Party filtert er sofort jene Gäste heraus, die ihm von Vorteil sein können. Wenn Narzissten Profit wittern, können sie Gefühle zeigen. Sie haben den Charme eines Psychopathen und können anfänglich sehr mitreißend sein.

Sind Erdogan und Trump Narzissten?

Ich liebe es nicht, Ferndiagnosen zu stellen bei Menschen, die noch nicht auf meiner Couch lagen, aber narzisstische Handlungsweisen sind schon bei beiden zu erkennen. Zum Beispiel wenn Trump exzessiv beleidigt ist, weil gefordert wird, dass die Stimmen neu ausgezählt werden müssen.

Fühlen sich Narzissten in Führungsrollen wohl?

Sie tummeln sich in der Politik und im Geschäftsleben. Früher gab es auch etliche Narzissten unter Lehrern, die sich als Nummer eins fühlten und selbstverliebt die Schüler vernichtet haben. Narzissten tummeln sich ebenfalls in den Reihen der Schauspieler und Fußballer, eben all jenen Gruppierungen, denen viel Aufmerksamkeit und Bewunderung zuteil wird.

Schwächen sich narzisstische Züge im Lauf des Lebens ab?

Je jünger die Narzissten, desto schlimmer die Auswirkungen. Der Fußballer Cristiano Ronaldo ist ein klassischer Narzisst. Man kann es ihm nicht verübeln, denn er spielt brillant Fußball. Aber das ist eben nicht alles. Das hat er noch nicht begriffen, aber Millionen Fans reden ihm ein, dass es das Wichtigste ist.

Sie nennen in Ihrem Buch Beispiele.

Einer ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Mutter eines 18-Jährigen kam, um im Vorgespräch zu prüfen, ob ich gut genug sei als Therapeut für ihren Sohn. Die Eltern verstanden nicht, warum ihr Sohn so wenig Anerkennung erfahre. Sie hätten ihm einen Porsche gekauft, aber die Mitschüler neideten ihm das, die Lehrer auch.

War er das einzige Kind?

In der Familie gab es noch zwei Schwestern. Aber er war die Nummer eins. So hat er sich auch aufgeführt. Er hat den Vater gerüffelt, wenn er sich nicht so benommen hat, wie der Sohn sich das vorstellte. Die Mutter hat das Gehabe ihres Sohnes jeweils mit Kopfnicken bestätigt.

Wie hat sich der junge Mann Ihnen gegenüber verhalten?

Um 15 Uhr war ich mit ihm verabredet. Er kam zehn Minuten zu spät, setzte sich und wollte erst mal ein Glas Wasser. Ich holte es und er meinte, er wolle schon Mineralwasser. Um 16 Uhr habe ich die Sitzung beendet. Er merkte an, es fehlten noch zehn Minuten, die ihm zustünden. Das hat ihm Spaß gemacht.

Dieses Verhalten hat er abgelegt?

Der Junge war nicht dumm, er hat vieles umgesetzt. Und er schlief auch nicht mehr zwischen Vater und Mutter im Ehebett. Der Vater war begeistert, aber die Mutter kam wutentbrannt zu mir. Der Junge ist ein ganz erträglicher Mann geworden.