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Kuriose VornamenLakritza und Perfect Abdul – Was ist erlaubt und was nicht?

Lesezeit 7 Minuten
Babynamen

Köln – Papa ist eingefleischter Borussen-Fan, Mama zieht mit, Töchterchen bekommt die Quittung: Borussia heißt sie, seit 1995 offiziell zugelassen. Wer dann noch mit Nachnamen „Bommel“ heißt und sich nach Jahren der Häme umbenennen will, muss schon verdammt gute Gründe finden oder geschickt heiraten. Weitaus besser schneiden die Mädchen in Köln ab, die auf „Colonia“ hören. Bis jetzt hat noch keiner den Wunsch geäußert, den Stammhalter „Effzeh“ zu nennen. Kann ja noch kommen. Dafür hat das Rheinland, tolerant wie es nun mal ist, ebenfalls „Herta“ und „Alemania“ zu bieten. „Je jünger die Eltern, desto kurioser die Namen für die Kinder.“ Und: „In Ballungszentren wie Köln, Düsseldorf, Dortmund, Berlin geht es schlimmer zu als auf dem Land. Da ist es noch traditioneller.“

Lebenshilfe für Eltern

Das sagt Gabriele Rodríguez, Jahrgang 1961, bisher einzige Namenforscherin Deutschlands mit Sitz an der Uni Leipzig, die sich auf Vornamen spezialisiert hat (siehe „Gutachten und Expertisen“). Ihren eigenen Vornamen verdankt sie der DDR-Eiskunstläuferin Gabriele „Gaby“ Seyfert, Weltmeisterin von 1969 und 1970. Gabriele Rodríguez forscht nicht nur, sie ist auch Autorin des Buchs „Namen machen Leute – Wie Vornamen unser Leben beeinflussen“. Das wollen vor allem jene Mütter und Väter aus den Bildungsschichten wissen, die sich darüber Gedanken machen, ob der von ihnen gewählte Vorname für das Kind standesgemäß ist und der Winzling damit Karriere machen kann. Fragesteller aus anderen Schichten konfrontieren Rodríguez eher mit abstrusen Namensvorstellungen für den Sprössling. Die Wissenschaftlerin forscht nach, was machbar ist, auch bei den ausgefallenen Wünschen. Standesämter wollen wissen, was zulässig und welche Schreibweise verbindlich ist und auf welcher Historie der Name basiert. Gerichte wenden sich an Gabriele Rodríguez und ihr Team, um Bewertungen erstellen zu lassen. Privatpersonen lassen sich gegen Bezahlung Gutachten anfertigen zu Namendeutungen, Historie und Wirkung auf die Außenwelt.

Rodríguez gibt Eltern Lebenshilfe, wenn sie belegt, dass ein Paul bei den Menschen Sympathien hat, ein Alexander imposant und stark daherkommt, ein Maximilian zu den Gutsituierten gezählt wird. Aber auch, dass einer Bärbel oftmals nicht viel mehr zugetraut wird als die Stellung einer Bediensteten, einer Barbara dagegen die Zugehörigkeit zu Akademikerkreisen. Mit einer Isabella will jeder liebend gern flirten, weil ihr Name Schönheit verspricht. Rodríguez’ begründete Analyse: „Der Name prägt die jeweilige Entwicklung, denn Name bedeutet Identität. Der versucht man gerecht zu werden. In diesem Bestreben werden wir geleitet von tradierten Vorstellungen, die man nüchtern betrachtet zwar ablehnt, die aber nach wie vor dominieren.“

„Rosa Schlitzer“ ist keine gute Idee

Den meisten ist geläufig, dass einem „Kevin“ oder „Marvin“ selten mehr als ein Hauptschulabschluss zugetraut wird. Die Kevins und Marvins, die trotz des bösen Omens eine Akademikerlaufbahn erfolgreich eingeschlagen haben, müssen sich laut Rodríguez „mit ihrer atypischen Laufbahn und ihrem Namen ziemlich herumschlagen – und das ist nicht jedermanns Sache“. Rodríguez weiter: „Wer nicht so sein will wie sein Name, der hat es doppelt schwer, aus dem Klischee herauszukommen.“ Man mag sich gar nicht vorstellen, was eine „Anna Lakritza“ da alles anstellen muss. Der Name wurde offiziell genehmigt und klebt nun an dem Mädel wie Lakritz an den Zähnen.

Dagegen kann sich „Perfect Abdul“ in bestimmten Regionen der Welt mit seinem Namen Freunde machen. Papa aus Nigeria und Mama aus dem Ruhrpott wollten bei ihm noch ein Mister davor stellen. Abgelehnt. Zum Totlachen fanden junge Eltern die Kombination aus dem Vornamen „Rosa“ und dem Familiennamen „Schlitzer“ für die Kleine. Gabriele Rodríguez redete dem jungen Paar wie einem kranken Gaul gut zu, mahnte, dass aus „Rosa Schlitzer“ verhohnepiepelnd „Rosa Schlüpfer“ werden kann und dem Töchterchen keine guten Zeiten beschert. Vergeblich. „Die Eltern fanden es umwerfend lustig.“ Situationen, die die Wissenschaftlerin regelmäßig erlebt und bilanzierend feststellt, dass sich einige Gesellschaftsschichten kaum Gedanken machen über mögliche Nachteile. Psychologen sagen, so Rodríguez, „dass manche Gesellschaftsschichten versuchen, sich über den Namen des Kindes zu profilieren und positiv darzustellen“. In ihrer Welt, versteht sich.

Altdeutsches und Christliches für die Mittel- und Oberschicht

Ganz anders die sogenannte Mittel- und Oberschicht, die christliche Namen und seit einigen Jahren altdeutsche Namen wie Gustav, Otto, Wilhelm, Friedrich bevorzugen, was selbst junge „Bildungseltern“ hip finden. Rodríguez: „Diese Schichten fragen bei mir an, ob der von ihnen gewählte Name entsprechend ihrer Gesellschaftsschicht passend ist oder ob dem Kind eventuell Nachteile entstehen könnten.“ Wer fernab besagter Mittel- und Oberschicht lebt, begeistert sich oftmals für Namen von Popstars, B-Promis oder Serienhelden wie die Pro-Sieben-Reihe „Lucifer“. Das Standesamt Kassel lehnte aufgrund der negativen Assoziation ab, woraufhin die Eltern sich für „Lucian“ entschieden.

Spezielle Anforderungen in den USA

In Deutschland, von NRW bis Bayern, ticken Eltern aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten gleich. Auch in den Nachbarländern Österreich und Frankreich. Viel krasser dagegen differenzieren Amerikaner, wo laut Gabriele Rodríguez nach „weißen und schwarzen Vornamen“ geguckt wird – und zwar auf beiden Seiten. „Eine Deutsche wollte den Sohn Justin nennen, was ihr afroamerikanischer Mann empört ablehnte. Auf keinen Fall, das sei ein weißer Name.“ Er setzte sich durch.

In den USA gibt es Namensbücher mit eindeutigen Empfehlungen. Die Wissenschaftlerin: „Darin steht, »Wollen Sie, dass Ihr Kind einen guten Weg macht, dann wählen Sie den Namen berühmter Persönlichkeiten oder Einrichtungen«. Man kann sich Harvard taufen lassen, in Anlehnung an die berühmte Universität in Cambridge.“ Für Mädchen lautet die Empfehlung: „Wenn Sie für Ihre Tochter gleiche Chancen haben wollen, geben Sie ihr einen männlich klingenden Vornamen.“

Gutachten und Expertisen zu Vornamen

Zwei Stellen für die Namenberatung gibt es in Deutschland. Die eine ist an der Uni Leipzig, spezialisiert auf Vornamen. Die andere in Wiesbaden bei der „Gesellschaft für deutsche Sprache“, wo allerdings nur zu einem kleinen Teil Vornamen begutachtet werden.

Namenforschung ohne „s“ in der Mitte ist die korrekte Bezeichnung für diesen wissenschaftlichen Zweig.

Die Uni Leipzig fertigt Gutachten und Expertisen zu Namen an für Standesämter, Gerichte und auch Privatpersonen. Die Preisspanne reicht von 100 bis hin zu 235 Euro als Geschenkbuch. (mas)

Das Buch

Gabriele Rodríguez „Namen machen Leute – Wie Vornamen unser Leben beeinflussen.“, Komplett-Media, München 2017. 248 Seiten, gebunden 19,99 Euro

Es gibt auch andere Gründe für die Namenswahl. Total erleichtert war eine Mutter, als Gabriele Rodríguez ihr versicherte, dass sie ihr Kind – offiziell genehmigt – nach der Enthüllungsplattform „Wikileaks“ benennen darf. Eltern aus der Ukraine entschieden sich für „Smartphone“, was ihnen ein solches als Werbegeschenk einbrachte. All die Wikileaks, Smartphones, Lakritzas und andere Unglücksraben können sich nur dann umbenennen lassen, wenn zwingende Gründe und psychologische Gutachten vorliegen sowie der Nachweis eines langen Leidensweges. Was auch eine „Carmen“ geltend machen kann, deren Äußeres eher dem einer Zehnkämpferin entspricht als der rassigen Schönen in gleichnamiger Bizet-Oper.

1000 neue Vornamen jedes Jahr

„Nur in 20 Prozent solcher Fälle wird dem Wunsch entsprochen“, sagt die Leipziger Wissenschaftlerin. Geänderte Namen können vorrangig die erhalten, die Geschlecht oder Religionszugehörigkeit wechseln oder als Kind missbraucht wurden. Natürlich auch Menschen, die mit einem anzüglichen Nachnamen gesegnet sind, der unterhalb der Gürtellinie angesiedelt ist. Wer mit Vor- und Nachnamen so heißt wie ein Krimineller und ständig mit ihm verwechselt wird, dem widerfährt genauso die Gnade der Umbenennung wie jenem Norddeutschen namens Malte: Er wurde in München ständig als Frau angesprochen. Wenn gar nichts mehr hilft, kann man sich einen Künstlernamen zulegen oder einen eigenen Namen kreieren. Beides wird offiziell eingetragen, wenn man auf das Gewohnheitsrecht pocht. Gabriele Rodríguez: „Jedes Jahr sind 60 Prozent aller Eintragungen Namen, die nur einmal verwendet werden.“ Und erstaunlich genug: „Jedes Jahr werden 1000 neue Vornamen ins Register der Standesämter eingetragen.“

Trendy bei Jungs sind mehr denn je weiche Vornamen mit Wohlklang dank Endungen auf „-ian“, wie „Julian“ und „Christian“. Rodríguez hat herausgefiltert, dass man mit der weichen Variante bei Männern deren empfindsame Seite betonen möchte. Im Gegenzug zu den 1960er und -70er Jahren, als nordische Namen ohne weiche Assoziation wie Carsten und Kerstin dominierten.