Mafia in den NiederlandenDrogenkrieg und Auftragsmorde

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TatortAmsterdam

Tatort in Amsterdam - die Gewalt der Drogenbanden eskaliert.

Amsterdam – Ein Nachmittag im November. Der niederländische Strafverteidiger Peter Schouten und sein Kollege Onno de Jong schalten sich aus Amsterdam per Videokonferenz zu. Die beiden Anwälte vertreten den wichtigsten Kronzeugen im Prozess gegen den inhaftierten marokkanischen Mafiapaten Ridouan Taghi, Spitzname „De Kleine“. Über ihre persönlichen Lebensumstände reden sie nur ungern. Schwerbewaffneten Personenschützern der Polizei begleitet sie täglich auf Schritt und Tritt.

„Das ist etwas, womit wir leben müssen und wir kommen sehr gut damit zurecht“, sagt Schouten dem „Kölner Stadt-Anzeiger". „Aber Einzelheiten dazu dürfen wir nicht erzählen, dass würde nur unsere Sicherheit gefährden.“

Bruder und Anwalt des Kronzeugen erschossen

Nachdem der erste Anwalt und der Bruder des Kronzeugen 2019 ermordet wurden, besteht die höchste Gefahrenstufe für die zwei Strafverteidiger. Zwei  Männer, die den Anwalt erschossen haben sollen, wurden am Donnerstag in Amsterdam zu jeweils 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Sicherheitsbehörden verdächtigen Drogen-Boss Taghi, die Todesschützen entsandt zu haben, auch wenn bisher keine Beweise dafür vorliegen.

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Die Anwälte Peter Schouten und Onno de Jong beim Facetime-Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger"

Der Mafia-Pate soll auch der Drahtzieher des tödlichen Attentats auf den Kriminalreporter Peter R. De Vries am 6. Juli diesen Jahres sein. Der Journalist spielte eine Mittlerrolle zwischen Justiz und dem Kronzeugen Nabil B., verzichtete aber stets auf Personenschutz. Ein bezahlter Killer schoss ihn auf offener Straße nieder, am 15. Juli später verstarb de Vries. Der Mordanschlag löste im liberalen Nachbarstaat eine Schockwelle aus. Wenn schon Anwälte und Journalisten sterben mussten, wer würde als Nächster drankommen? Politiker, Staatsanwälte, Richter - so wie bei der Mafia in Italien oder den Drogenkartellen in Mexiko?

Marokkanische Mafia fordert Staatsmacht heraus

Mit dem Mord an de Vries forderte die sogenannte „Mocromaffia“, die vorwiegend aus marokkanischen Migranten der dritten Generation besteht, die holländische Staatsmacht heraus. Taghi gilt mit seiner Bande „Angels of Death“ als einer der Hauptakteure im holländischen Kokaingeschäft.

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Von seiner Zentrale in Abu Dhabi aus führte er bis zur Festnahme im Jahr 2019 sein Syndikat mit harter Hand. So sollen mindestens drei Morde an Bandenmitgliedern auf sein Konto gehen, die er verdächtigte, als Polizeispitzel zu arbeiten.

Provinz Limburg gilt als Silicon Valley der Ecstasy-Produktion

Der Fall Thagi offenbart das grundlegende Problem jenseits der Grenze. Manche Kolumnisten vergleichen die Niederlande mittlerweile mit einem Narco-Staat. Längst gelten die Seehäfen von Rotterdam und Amsterdam als Einfallstor für Kokainlieferungen aus Südamerika. Hunderte Tonnen werden laut Europol über diese Stationen nach Europa geschleust. Inzwischen ist das Nachbarland nicht nur berühmt für seinen Käse, sondern auch für seine synthetischen Drogen. In den vergangenen 20 Jahren schossen die chemischen Rauschgiftlabore wie Pilze aus dem Boden.

So gilt etwa eine Provinz in Limburg weltweit als das Silicon Valley der Ecstasy-Produktion. Inzwischen exportieren die Drogen-Gangs ihr Know-how nach NRW. „Wir haben zum Beispiel bei Cannabis-Plantagen und Drogenküchen Rezepte zur Herstellung oder Pflege der Pflanzen gefunden, die von Experten aus den Niederlanden stammen“, berichtet der Leitende Kriminaldirektor Achim Schmitz vom Landeskriminalamt NRW.

Viele Gang-Mitglieder wachsen in den sozialen Brennpunkten von Utrecht und Amsterdam auf. Oft brechen sie früh die Schule ab und starten ihre kriminelle Karriere in einer Bande von Geldautomatensprengern, die auch die Städte und Dörfer in NRW heimsuchen. „Das kann für diese Täter auch der Einstieg in eine spätere kriminelle Karriere im Drogengeschäft sein“, sagt LKA-Abteilungsleiter Schmitz.

Netzwerk aus italienischen, albanischen und marokkanischen Banden

Mafia-Banden der süditalienischen N’Drangheta, die in NRW ihre Zentralen unterhielten, bezogen ihr Koks aus Kolumbien über Einfuhren in die Niederlande. Dabei ging es arbeitsteilig zu. Albanische Gruppierungen kontrollierten die Seehäfen. Gegen eine Provision holten sie den Stoff von den Containerschiffen aus Südamerika von Bord. Der Zoll wurde geschmiert. Wenn die Lieferungen aus Südamerika stockten, bedienten sich die Mafiosi örtlicher marokkanischer Groß-Lieferanten.

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Peter R. de Vries, niederländischer Kriminalreporter, wurde von einem Auftragskiller erschossen.

Ein über Jahrzehnte gewachsenes Business, das nach Ansicht des niederländischen Schriftstellers Leon de Winter mit der teilweise missglückten Integration marokkanischer Einwanderer aus dem Rifgebirge zusammenhängt. „Diese Menschen“, die kein arabisch könnten sondern „die Sprache der Berber“ sprechen, würden „ohne besondere Identität“ aufwachsen, schrieb der Autor jüngst in einer analytischen Betrachtung der „Mocromaffia“ in der „Neuen Züricher Zeitung".

20 bis 30 Auftragsmorde pro Jahr

Nach einem Einstieg als Kleinkriminelle kann die Karriere weitergehen: „Später steigen diese Leute dann zu führenden Figuren im Drogengeschäft auf“, weiß LKA-Kripochef Schmitz.

Auch Mord gehört zum Geschäft. „In den Niederlanden sind wir mittlerweile bei 20 bis 30 Liquidationen im Jahr auf offener Straße“, berichtet Robin Hoffmann, Kriminologe an der Uni Maastricht. Die Gewaltspirale drehe sich seit 2013 immer weiter. Damals verschwand im Hafen von Antwerpen eine große Kokain-Ladung. Das Morden begann. Ähnlich wie zu den Prohibitionszeiten in den US-Städten der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts löschten die Mocro-Banden nicht nur die Zielpersonen aus, sondern auch das Leben ihrer Killer.

Ein Auftragsmord ist für drei- bis fünftausend Euro zu haben

„Neben den Auftragsmorden innerhalb der Szene kamen dann irgendwann auch die Attentate beispielsweise auf Journalisten und Anwälte dazu“, sagt Professor Hoffman. „Und diese Spirale, die dreht sich jetzt immer weiter. Dabei geht es vor allem darum, maximale Aufmerksamkeit zu erregen.“

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Auch im Amsterdamer Rotlichviertel gibt es zahlreiche Coffee-Shops.

Nach seinen Erkenntnissen stammen die Auftragsmörder aus den Hochhaussiedlungen in den prekären Vierteln. „Diese Leute fühlen sich abgehängt. Die führen den Auftragsmord für drei- bis fünftausend Euro durch.“ Je höher die Erfolgsrate, desto schneller klettern sie in der Bandenhierarchie nach oben.

Liberale Drogenpolitik ermöglichte Aufstieg der Banden

Der Aufstieg der Kokain-Barone hängt nach Ansicht des Kriminologen vor allen Dingen mit der liberalen Drogenpolitik zusammen. In den 70er Jahren billigte die niederländische Regierung den Konsum von Haschisch und Marihuana. Coffee-Shops avancierten allerorts zum Big Business.

Dann aber geschah Folgendes: Drogenbanden schmuggelten den Stoff aus Marokko und der Türkei im großen Stil in die Niederlande. Hier bauten die Dealer ein gut organisiertes Vertriebsnetz auf. „Das erstreckte sich über ganz Europa“, berichtet Hoffmann.

Coffee-Shops verkauften illegal beschafftes Cannabis

In den Niederlanden führte dies dazu, dass die Coffee-Shops am Tresen die Ware legal verkauften, die illegal durch die Hintertür eingeschleust worden war. Großzügig schauten die Behörden darüber hinweg. In den 1990er Jahren stiegen die Cannabis-Schmuggler auf härtere Drogen um. Der Koks-Handel versprach weitaus höhere Renditen. Mit dem steigenden Gewinnen wuchs auch die Macht der Narco-Banden im Nachbarstaat.

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Ein Mitglied einer speziellen Polizeieinheit steht Wache vor dem Hochsicherheitsgericht ´De Bunker» in Amsterdam, in dem der so genannte Marengo-Prozess stattfindet.

Polizei und Justiz liefen dem besorgniserregenden Trend lange Zeit hinter her. Das liegt daran, dass in den Niederlanden ein anderes Rechtsprinzip gilt. Hier entscheiden die Provinzen über das Budget der Polizei und die Kriminalitätsschwerpunkte. Alles andere fällt weitgehend hinten runter. Während Polizei und Justiz hierzulande jegliche Straftaten verfolgen müssen, entscheiden die holländischen Kollegen, ob sie einem Verbrechen nachgehen oder nicht.

„Man hat zu lange weggeschaut“

So schraubten die Strafverfolger etwa die Bemühungen im  Kampf gegen die marokkanischen Geldsprengerbanden herunter. Da die Gangster überwiegend in NRW agieren, wurden die Ermittlungskommissionen bis auf eine eingestampft.

Ähnlich verhielt es sich lange Zeit mit den marokkanischen Rauschgift-Banden. Zwar hat die niederländische Regierung nach dem Mord an dem Journalisten de Vries eine halbe Milliarde für den Kampf gegen die „Moccromafia“ freigegeben. Für den Kriminologen Hoffmann liegen die Fehler aber offensichtlich in der Vergangenheit: „Man hat zu lange weggeschaut, das ist ganz klar.“

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