Nach schwerem AutounfallLebendig im Leichenwagen

Die vermeintlich Tote hatte schwere Kopfverletzungen nach einem Autounfall. (Symbol)
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Hamburg – Schreiende Menschen, Tote, Schwerverletzte zwischen zwei völlig zertrümmerten Autos: In diesem Horrorszenario auf der A23 in Itzehoe hat gestern früh eine Notärztin eine fatale Fehlentscheidung getroffen. Sie erklärte eine Schwerverletzte für tot. Auf dem Weg in die Pathologie gab die 72-Jährige plötzlich Lebenszeichen von sich. Sie lag lebendig im Leichenwagen.
Strömender Regen und eine Verengung der A23 in einer Baustelle auf der Störbrücke – mit dieser Verkehrssituation war ein 18-jähriger Armenier gestern um 7.20 Uhr offenbar überfordert. Im Baustellenbereich raste er mit einem Audi A4 Kombi in den Gegenverkehr, stieß frontal mit einem VW Passat zusammen. Von den sieben Insassen des Audi waren eine 36-jährige Frau und ihr Sohn (6) sofort tot. Der Fahrer und drei weitere Kinder (10-12) sowie der 43-jährige Fahrer des Passats erlitten schwere Verletzungen. Und dann war da noch die 72-jährige Großmutter der armenischen Familie aus Husum, lag mit schwersten Schädelverletzungen auf dem Asphalt.
Mit totem Kind im Leichenwagen
Vom nahen Klinikum Itzehoe rückte ein leitender Notarzt mit einem Kollegen und einer Kollegin aus. Klinikums-Sprecher Prof. Arno Deister (55) sagte der Hamburger Morgenpost: „Die Situation war extrem unübersichtlich und problematisch. Es galt zu entscheiden, wer am schwersten verletzt war und Hilfe am dringendsten benötigte.“ Da die 72-Jährige offene Schädelverletzungen hatte und nach Angaben Deisters keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab, widmeten sich die Notärzte den fünf weiteren Schwerverletzten.
Danach wurde offenbar versäumt, nochmals den Zustand der Großmutter zu überprüfen. Zusammen mit dem toten Kind wurde sie in einem Leichenwagen zur Pathologie des Klinikums Itzehoe gefahren. Die Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens brachten zunächst das tote Kind in die Leichenhalle. Als sie zu ihrem Fahrzeug zurückkehrten, hörten sie ein Rascheln unter der Plane, mit der die vermeintlich Tote abgedeckt war, dann vernahmen sie sogar ein Röcheln. Die Männer rannten sofort in die Klinik, alarmierten einen Arzt.
Prof. Deister: „Unser Notfallteam konnte die Patientin stabilisieren. Aufgrund ihrer schwersten Kopfverletzungen schwebt sie aber in akuter Lebensgefahr“. Klinik will jetzt genau prüfen, wie es zu der folgenschweren Panne kommen konnte.
Die Befürchtung, lebendig begraben zu werden, gehört zu den menschlichen Urängsten – und ist daher besonders groß. Professor Alex Lechleuthner, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Köln, nennt die Kriterien, nach denen ein Arzt einen Patienten für tot erklären darf.
Als erstes prüft der Arzt die Vitalzeichen: Das sind Atmung, Puls, die Reaktion auf andere Reize. Danach werden (mit Geräten) der Herzschlag untersucht und die Sauerstoffsättigung des Blutes analysiert.
Zweitens werden zuverlässige Todeszeichen wie einsetzende Leichenstarre und Totenflecken überprüft.Selbst Profis können das in Extremsituationen – wie bei Vergiftungen oder extremen Bedingungen wie Frost – nicht sofort entscheiden. „Der Tod ist ja nicht etwas, das wie auf Knopfdruck passiert“, sagt Lechleuthner, „Sterben ist ein Prozess, es kann sein, dass Zuckungen oder ein Röcheln noch als Lebenszeichen gewertet werden, die in Wirklichkeit aber Teil des Sterbeprozesses sind. "
Irrtümer wie der in Erftstadt sind – anders als man vermuten würden – außerordentlich selten, Lechleuthner erinnert sich nur an einen Jahre zurückliegenden Fall in Bonn. Der Ärztliche Leiter des Kölner Rettungsdienstes gibt aber zu, dass er und seine Kollegen immer auf der Hut sein müssen: Nicht jeder Tote, der bei einem Notfalleinsatz als solcher angekündigt wurde, ist auch tatsächlich einer.Schlechtes Licht, ein unübersichtliches Umfeld und anderes können einen Arzt bei der Beurteilung irritieren. „Aber wenn man sorgfältig ist, dann kann man einen Fehler eigentlich ausschließen!“ (bce)