Organisiertes Verbrechen„Wir verheddern uns in Bürokratie, statt Täter zu jagen“

Lesezeit 6 Minuten
clan symbolbild

Bochum im Januar 2019: Razzia der Polizei in einer Shisha-Bar

Herr Stüve, die Razzia gegen den Al-Zein-Clan in Leverkusen zielte auf die Geldflüsse ab, welche Taktik steckt dahinter?

Stüve: Dahinter steckt die Idee, mit kreativen Ansätzen dem Leitsatz Follow the money nachzugehen. Dabei geht es um die Frage, wo kommen die kriminellen Gewinne her, wo geht das Geld hin und wer bewegt die Beträge? Über diese Strategie sollen am Ende nicht nur illegal erwirtschaftetes Vermögen abgeschöpft, sondern auch Clanmitglieder diverser Straftaten überführt werden. Es gibt beim Landeskriminalamt das Auswerteprojekt Analyse Vermögenstatus krimineller Clanangehöriger (AVC). Die Daten helfen uns, die Geldströme besser zu durchleuchten. Wenn also hierzulande 20 Lkws gekauft und in den Libanon gebracht werden, um sie dort zu veräußern, dann ist das ein klarer Beleg für Geldwäsche. 

Welche Rolle spielt der Sozialbetrug unter kurdisch-libanesischen Clans?

Das ist sicher eine Baustelle. Schauen Sie sich die Großfamilie in Leverkusen an. Die Sippe ist jahrelang unter dem Radar geblieben und lebte offiziell vom Jobcenter. Das ist aber nur ein Nebenschauplatz. In dem Phänomenbereich kommt fast alles vor, was das Strafgesetzbuch hergibt. Diese Leute packen das an, was Gewinn verspricht. Aktuell versuchen Clanableger falsche Impfpässe zu verkaufen, begehen Urkundenfälschung, operieren im Drogenhandel, begehen Schutzgelderpressung, Raubüberfälle oder bringen unverzollten Wasserpfeifentabak auf den Schwarzmarkt.

Andreas Stüve

Andreas Stüve

Nun heißt es, die Al-Zein-Sippe habe ihren Wohnort Leverkusen einzig als Rückzugsraum benutzt, wie sehen Ihre Erkenntnisse aus?

Also erstmal muss man sagen, dass Leverkusen im Bereich des Sozialhilfeschwindels der Tatort ist. Auch die Immobilie in Rheindorf wurde zum Zweck der Geldwäsche erworben, da kann man nicht mehr von Rückzugsraum sprechen. Zugleich ist dieser Clan überall unterwegs gewesen, um durch illegale Geschäfte Gewinne zu erzielen. Diese Gruppe ist national wie international bestens vernetzt im kriminellen Milieu.

Schon bei Al-Capone hieß es follow the money, kommt man nur so an die Bosse in der Clanunterwelt heran?

Vor vier Jahren hat der Gesetzgeber den Strafverfolgern deutlich effizientere Instrumente zur Vermögenabschöpfung an die Hand gegeben. Dadurch avancierten die Finanzermittlungen zu einem weiteren wichtigen Standbein gerade auch im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Sei es beim Sozialbetrug oder der Geldwäsche. Wenn die Zollfahnder etwa am Flughafen in einem Koffer eine Million Euro in kleinen Scheinen finden, dann dürfen sie laut den neuen Regelungen diesen Betrag beschlagnahmen. Es sei denn, der Besitzer kann plausibel die legale Herkunft der Barsummen nachweisen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wo liegen die Schwierigkeiten, den Geldflüssen auf die Spur zu kommen?

Oft laufen die Beträge über eine Vielzahl von Konten, mitunter werden Strohleute und Tarnfirmen zwischen geschaltet, oder das Geld wandert ins Ausland, taucht teilweise in Kryptowährung ab und anderswo in analoger Währung wieder auf. Die Spur solcher Finanzströme zu verfolgen, ist häufig sehr komplex und arbeitsintensiv. Aber auch hier helfen uns die neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch. Nur ein Beispiel: Früher musste die Justiz beschlagnahmtes Geld oder Vermögenswerte wieder an ihre Eigner herausgeben, sollten die Beweise zur Geldwäsche nicht für einen Schuldspruch ausreichen. Wenn die Staatsanwaltschaft aber belegen kann, dass diese Dinge nicht aus legalen Einkünften stammen, fällt das Geld an die Staatskasse.

 Wieso braucht es eine landesweite Zentralstelle zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität namens ZeOS?

Weil Staatsanwaltschaft und Polizei die Strukturen der Strafverfolgung auf diesem Feld dem Gegner anpassen müssen, um den überregional agierenden Banden Paroli bieten zu können. Wenn ich als Düsseldorfer Staatsanwalt einen Tatverdächtigen in Erkrath verfolge, habe ich eigentlich keine Befugnis, weil dort die Zuständigkeit der Kollegen in Wuppertal anfängt. Dann beginnen Zuständigkeitsfragen, Abstimmungsprobleme, das verzögert das Verfahren. Letztlich verheddern wir uns in administrativen Fragen, anstatt die Täter zu jagen. Gerade in komplexen OK-Verfahren dauert es viel zu lange in der Justiz, ehe entschieden wird, wer den Fall letztlich anpackt. 

Ist das der einzige Grund?

 Häufig stellt die Polizei fest, dass ein und dieselbe Bande in mehreren Städten Straftaten begeht. Dann braucht es viel Überzeugungsarbeit, ehe diese Verfahren bei einer Staatsanwaltschaft gebündelt werden. ZeOS kann hingegen überall in NRW agieren, wenn sich ein organisiertes Verbrechen zeigt – und zwar ohne besondere Befugnis. 

Der ehemaliger Chef der OK-Abteilung in Köln Egbert Bülles hat mal gesagt, wenn kein Personal da ist, wird das Verfahren einfach kaputt geschrieben, wie ist es heute?

So ist es nicht. Aber ZeOS will auch Fälle übernehmen, die keine Heimat finden. Wenn wir hier ein großes OK-Verfahren haben, dann finden sich Lösungen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Deshalb ist unsere zentrale Dienststelle vor neun Monaten gegründet worden, um genau dieses Problem zu beheben. Ein weiterer Aspekt: Die ZeOS spricht im OK-Bereich für das ganze Land. Bei den Betrüger-Banden, die von der Türkei aus getarnt als falsche Polizeibeamte viele alte Menschen abzockten, mussten einheitliche Richtlinien entwickelt werden. So etwa zur Frage, von welchem Zeitpunkt an ist der Anruf solcher Betrüger bei ihren Opfern strafbar. Der letzte Pluspunkt: Für ausländische Behörden wie die italienischen Mafia-Jäger gibt es in NRW nun einen Ansprechpartner. Das hilft, zügig Amtshilfe zu leisten oder gemeinsame Ermittlungen aufzunehmen. 

Apropos Mafia, wie agiert das Organisierte Verbrechen im digitalen Zeitalter?

 Die Gegenseite kommuniziert möglichst über abhörsichere Kommunikationsmittel. Das fängt schon bei WhatsApp an. Mit den normalen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung sind solche Nachrichten nicht abzuhören. Da kommt man nur mit einem Bundestrojaner hinein. Entweder benutzen die Gangster Codewörter oder sie treffen sich. Natürlich spielen auch spezielle Kryptohandys mit einer Verschlüsselungssoftware wie Encrochat eine Rolle. Diese Leute sind sehr kreativ, und wir versuchen sie mit ebenso findigen Mitteln zu schlagen.

Nun haben Parteien gegen den Staatstrojaner beim Bundesverfassungsgericht geklagt, Vorratsdatenspeicherung ist immer noch tabu, wie sehr behindert dies die Praktiker?

Als Ermittler versuchst Du so viele Daten von den Tatverdächtigen wie möglich zu generieren. Andererseits ist der Datenschutz aus gutem Grunde ein hohes Gut. Aber der häufig kolportierte Vorwurf, die Strafverfolgungsbehörden würden jeden Bürger überwachen, wenn sie per Spähsoftware auf einen PC oder ein Handy zugreifen könnten, geht an der Realität völlig vorbei. Wir sind ohnehin personell so dünn besetzt, dass dies gar nicht möglich wäre. Aber als Strafverfolger hätte ich gerne die Möglichkeit, eine WhatsApp-Kommunikation unverschlüsselt mithören zu können, falls nötig.

In der Operation Trojan shields hat das FBI eine Verschlüsselungs-App in die Unterwelt eingeschleust und die kryptierten Handys der Kriminellen angezapft, über Europol wurde dann ein großer Schlag mit 800 Festnahmen und der Beschlagnahme von 32 Tonnen Rauschgift durchgeführt, wäre so eine Aktion auch in Deutschland möglich?

Von der Idee ist das durchaus ein gangbarer Weg solche organisierten Strukturen zu infiltrieren – sei es über Technik oder über Personen. Der Grundgedanke kann doch nur lauten: Wir müssen in die Organisationen hinein, um hinter die Abläufe zu kommen.

Inzwischen gelang es französischen Ermittlern, die mit der Verschlüsselungssoftware Encrochat ausgestatteten Krypto-Handys von Verbrecherbanden zu knacken, wie wirkt sich dieser Erfolg auf ihre Ermittlungsarbeit aus?

Es gibt einen massiven Zulauf. Schätzungsweise bis zu 40 Encrochat-Verfahren hat allein unsere Behörde erreicht. Meist drehen sich die Verfahren um Drogenhandel im großen Stil.  

Ist das der Durchbruch, um bessere Einblicke in die hiesige Unterwelt zu gewinnen?

Auf jeden Fall ist es ein großer Schritt, um beispielsweise ein Personengeflecht herauszufiltern oder die illegalen Geldflüsse nebst Handelswegen beim Rauschgift aufzuhellen. Durch das Knacken der Encrochat-Handys gewinnen die Strafverfolger weitaus tiefere Einblicke in die Strukturen des Organisierten Verbrechens. 

KStA abonnieren