Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Pick-up-Seminare in DeutschlandAbgerichtet zum Aufreißen

4 min

"Ozzie" (links) nennt sich der Mann, der ein Abschlepp-Seminar in Berlin veranstalten will.

Köln – Ein Jüngling pirscht sich sperrig und scheu an das andere Geschlecht heran, um mit zaghaftem Blick, zappeliger Beinarbeit – und unter den Argusaugen eines smarten Herren Marke Staubsauger-Vertreter - ein Kompliment heraus zu stottern. Wer sich jemals länger als 30 Minuten am Bahnhofsvorplatz aufgehalten hat, kennt diese Szenerie. Zu verbuchen unter der Kategorie „Flirtseminar“. Je nach Gebaren des Probanden Mitleid erzeugend - oder ein müdes Lächeln. Doch das, was sich da unter dem Stichwort „Pick-up-Artists“ („Aufreiß-Künstler“) von den USA aus in der Welt verbreitet, ist mehr als nur harmlose Nachhilfe in Sachen Anmache.

Hier bekommt der Begriff „Aufreißen“ eine neue Dimension. Es geht dabei um Männer, die anderen Männern beibringen, wie sie - wenn nötig mittels Gewalt, konkret: Würgen und würdelosem Verhalten -  Frauen gefügig machen.  In bis zu 3000 Dollar-teuren Seminaren. In mehr als 70 Ländern weltweit. Unter Regie der Firma „Real Social Dynamics“ (RSD) und ihres berühmtesten Vertreters Julien Blanc. RSD-Trainer gehen mit ihren Seminaren jetzt auch auf Deutschland-Tournee. Frauenrechtsorganisationen, politische Bewegungen und einzelne Politiker fordern ein Einreiseverbot. 

Die Pick-up-Szene: So ist sie entstanden

Entstanden ist die Subkultur bereits in den USA der Siebziger mit Eric Webers Buch „How to pick up girls.“ Einer breiten Masse zugänglich wurde sie mit der Veröffentlichung von „The Game“ (Die perfekte Masche, 2005), einer Anmach-Abhandlung des ehemaligen Rolling-Stone-Journalisten Neil Strauss sowie der TV-Sendung „The Pick-up Artist“ (2007). Mittlerweile gibt es Bücher, DVDS, Foren und Seminare, die sich mit der frauenverachtenden Thematik beschäftigen, also konkret damit, Männer darin zu trainieren, Frauen durch psychische Manipulation und physischen Zwang zum Sex zu zwingen und/oder emotional an sie zu binden.

Real Social Dynamics: Der Hauptakteur

Im Jahr 2002 gründete Owen Cook die Firma Real Social Dynamics (RSD)  - die inzwischen nach eigenen Angaben mehr als 100 000 Anhänger hat und in mehr las 70 Ländern für jährlich 40000 Interessierte Seminare anbietet - Inhouse, also in geschlossenen Räumen. Und als „Bootcamp“, quasi in freier Wildbahn, wie auf offener Straße, in Diskotheken oder Bars. Dabei geht es um einen der Psychologie und Evolutionsbiologie entlehnten Mix aus Verhaltens- und Kommunikationstechniken, mit denen die Teilnehmer Frauen vermeintlich leicht rum- und flachkriegen. Möglichst viele – frei nach dem Motto: Sammeln und Jagen. Menschenverachtend ist auch das Vokabular, mit dem die „Beute“ kategorisiert oder das „Jagdverhalten“ dokumentiert wird: Frauen sind „Targets“ (Ziele), die die Anmach-Jünger je auf einer Skala von eins „Warthog“ (Warzenschwein) bis zehn „Hot-Babe“ (Attraktive Frau) durchnummerieren. KC heißt „Kiss Close“, man hat es bis zum Kuss geschafft. NC meint „Number Close“, die Telefonnummer wurde erbeutet. Und SNL ist ein „Same Night Lay“, was heißen soll, dass man das „Target“ am Tag des Dates ins Bett bekommen hat.

Bekenntnis zu sexueller Gewalt: Widerstand formiert sich

Gegen diese frauenverachtende Geschäftsidee formiert sich internationaler Widerstand – nicht erst seitdem Videos im Netz kursieren, in denen Julian Blanc Tipps verbreitet, wie sich weiße Männer in Japan extrem übergriffig verhalten können. („Wenn man eine japanische Frau mit lauten "Pikachu"-Rufen ablenkt, kann man sie einfach am Schopf packen und ihr Gesicht zwischen die eigenen Beine drücken“).

Einen Skandal löste zuletzt ein, inzwischen aus dem Netz verschwundenes YouTube-Video aus, in dem ein RSD-Trainer mit einer Vergewaltigung brüstet. (Er habe eine Frau penetriert, die das gar nicht wollte. Sie hatten am Abend zuvor Sex gehabt, am nächsten Morgen wollte sie nicht mehr – aber das sei ihm egal gewesen.)

Das "Time Magazine" fragte daraufhin: "Ist dies der meistgehasste Mann der Welt?" Auf Twitter rufen Aktivisten unter den Hashtags #takedownrsd und #takedownjulienblanc zu Demonstrationen an den Veranstaltungsorten der RSD-Seminare auf. Auch auf der Petitionsplattform Change.org fordern knapp 50 000 Menschen alle Veranstaltungsorte auf, diese Seminare abzusagen. In Australien taten das Hotels nach massiven Protesten, Blanc wurde vom australischen Innenministerium das Visum entzogen. Auch deutsche Politiker schließen sich dem Protest an.

Seminare in Sexismus: Pick-Up-Artisten in Deutschland

Das für dieses Wochenende geplante, bereits ausgebuchte, Berliner Seminar soll nicht RSD-Guru Julien Blanc halten, sondern Trainer „Ozzie“, Verfasser des Buches: „Physical Game. Wie man Frauen physisch führt und ins Bett kriegt.“ Mitte Dezember bietet RSD auch in München einen Workshop an. 2015 sollen Termine in Hamburg und Frankfurt folgen. In welchen Hotels die Veranstaltungen stattfinden, hält die Firma geheim. Mittlerweile formiert sich deutschlandweit massiver Widerstand – nicht nur in sozialen Netzwerken. Frauenrechtsorganisationen wie Terres des femmes und einzelne Politiker sprechen sich gegen RSD aus. Sie verfassen Briefe an Bürgermeister, Polizeipräsidenten, mit der Bitte, die Seminare zu verbieten. Und fordern Hotels und Anbieter dazu auf, ihre Räumlichkeiten nicht für gewaltverherrlichende Seminare und Bootcamps der Firma RSD zur Verfügung zu stellen.

Am Freitagmittag verteilten Aktivisten am Alexanderplatz Flugblätter gegen das "Trainingslager" des professionellen Aufreißers. Unter anderem die Grüne Jugend und die Jungen Piraten haben sich dem Aufruf angeschlossen. Inzwischen ist auch in Deutschland ein Einreiseverbot gegen RSD-Trainer in der Diskussion.