Prozess gegen Polizistenmörder von KuselAngeklagter war schon seit Jahren auffällig

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Ein Holzkreuz und Kerzen steht an einer Landstraße zwischen Kusel und Ulmet an einer Gedenkstätte für zwei getötete Polizisten.

Die schwarze Gedenktafel steht nur unweit vom Tatort bei Ulmet im rheinland-pfälzischen Kusel. „Zwei von uns“, lautet der Titel der Inschrift. Ein pensionierter Polizeibeamter hat mit Hilfe von Spenden ein kleines Plätzchen gepflastert, um an das Schicksal einer jungen Kollegin und eines jungen Kollegen zu erinnern. An jenem frühen Morgen des 31. Januar sollen die beiden Polizisten durch gezielte Schüsse des Wilderers Andreas S. getötet worden sein. Offenbar wollte der Todesschütze seine illegalen Tierabschüsse in jener Nacht verdecken. 

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 38-jährigen Geschäftsmann in ihrer Anklage unter anderem zweifachen Mord vor. Zudem haben die Ankläger im Falle eines Schuldspruchs angeregt, die Frage der anschließenden Sicherungsverwahrung zu prüfen.

Die kaltblütige Hinrichtung von Yasmin B., 24, und ihres Kollegen Alexander K., 29, während einer Verkehrskontrolle hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Zehntausende Polizisten gedachten der beiden Opfer in einer Trauerminute.

Prozessbeginn in Kaiserslautern

Von Dienstag an müssen sich der mutmaßliche Todesschütze sowie sein Jagdhelfer Florian V., 33, vor dem Schwurgericht in Kaiserslautern verantworten. Dabei geht es auch um gemeinschaftliche, gewerbsmäßige Jagdwilderei. Ferner werfen die Strafverfolger ihm Strafvereitelung vor. So soll V. nach den Morden dabei geholfen haben, das Tatfahrzeug von Blutspuren zu säubern, laut Anklage verbrannte er die Kleidung, auch die Tatwaffen ließ er verschwinden.

Geständiger Gehilfe

Kurz nach seiner Festnahme legte der Hartz-IV-Empfänger umfassende Geständnisse ab und offenbarte den Todesermittlern das Waffenversteck. Vor dem Hintergrund sieht sein Verteidiger Christian Kessler „eine Strafbarkeit in diesem Punkt als nicht gegeben an, da mein Mandant selbst offenbart hat, wo die Waffen zu finden sind“. Der Hauptangeklagte hat sich bis heute nicht zu den Tatvorwürfen geäußert.

Andreas S. weist eine Vita mit vielen Brüchen auf. Bereits in der Schule, so die Nachforschungen, ließ der Angeklagte einen Hang zur Gewalt erkennen. Nach dem Tod seines Vaters begann er offenbar exzessiv zu trinken, bekam sich aber nach einiger Zeit wieder in den Griff. In seinem Bekanntenkreis galt S. als Waffen-Fan, ein brillanter Schütze mit einem großen Faible für die Jagd.

Allerdings fiel er immer wieder unliebsam auf. So hatte der Saarländer sich im Oktober 2004 im Bereich Bexbach als Pächter eines Reviers mit einem Bekannten auf Hasenjagd begeben. Ohne ausreichenden Blick auf das Ziel feuerte er seine Schrotflinte ab. Dabei traf er versehentlich den Jagdkollegen in Hals und Brust. Das Geschoss verletzte insbesondere den Augenbereich erheblich.

Mehrfach wegen Wilderei aktenkundig

Im Jahr 2006 verurteilte das Landgericht Saarbrücken den Jäger wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4500 Euro. Die Strafkammer hielt dem Angeklagten seinerzeit zu Gute, dass er ein Geständnis abgelegt hatte. Ferner zahlte der Delinquent an das Opfer 5000 Euro Schmerzensgeld.

Andreas S. betrieb eine Bäckerei und einen Wildhandel. Die Geschäfte begannen irgendwann schlecht zu laufen. Gleich mehrfach wurde der Geschäftsmann wegen Wilderei aktenkundig. Mit den illegal getöteten Tieren hoffte der für seine cholerischen Ausbrüche bekannte S. offenbar seine Läden wieder hochzubringen. Zumal die Ermittlungen gegen ihn immer ins Leere liefen.

Mit Auto auf Zeugen zugerast

So auch im Jahr 2017. Andreas S. hatte seine Pacht und seinen Jagdschein verloren. In einem fremden Jagdrevier soll er an einem Tag im September ein Reh geschossen haben. Ein Bekannter schreckte ihn auf, versuchte ihn zu stoppen. Der mutmaßliche Wilderer aber soll mit seinem Wagen auf den Zeugen zugerast sein, so dass dieser sich nur durch einen Sprung zur Seite retten konnte.

Als das Opfer Strafanzeige erstattete, wartete der Beschuldigte mit zwei Zeugen auf, die ihm ein Alibi für die Tatzeit verschafften. Notgedrungen stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Die Folgezeit wurde für Andreas S. immer krisenhafter. Finanziell scheint ihm das Wasser bis zum Hals gestanden zu haben. Im Zusammenhang mit seiner Bäckerei und einem rollenden Imbiss laufen weitere Verfahren wegen Insolvenzverschleppung und nicht gezahlter Sozialabgaben und Löhne für seine Mitarbeiter. Ein Justizsprecher beziffert den Schaden auf 100.000 Euro. Weitere Ermittlungen laufen wegen Versicherungsbetrügereien.

Der Angeklagte bediente sich am Waffenschrank seiner Frau

Nach dem Verlust seiner Jagderlaubnis und der Waffenbesitzkarte bediente sich Andreas S. laut Staatsanwaltschaft am Waffenschrank seiner Frau. Diese war auch passionierte Jägerin und besaß offenbar ein ganzes Arsenal an Gewehren, Munition und Schalldämpfern. Gegen die Ehepartnerin ermittelt die Justiz wegen fahrlässiger Tötung und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Das Verfahren wurde abgetrennt.

Der Anklage zufolge versuchte Andreas S. in den Wochen vor der Tat mittels Wilderei über die Runden zu kommen. Dabei engagierte er Florian V. als Helfer. Die beiden gingen mit Nachtsichtgeräten auf die Pirsch nach Wildschweinen und Damwild. Der Gehilfe sollte die erlegten Tiere per Wärmebildkamera aufspüren, aufbrechen und in einen Kastenwagen verladen. Zehn Euro pro Stück waren garantiert. Die Jagd und die Abgabe des Wildfleisches an Kunden verliefen dem Vernehmen nach erfolgreich und lukrativ.

In der Tatnacht 22 Wildtiere erlegt

In jener Nacht des 31. Januar wollten die beiden Wilderer für Nachschub sorgen. Andreas S. hatte eine Schrotflinte seiner Frau und ein zerlegbares Jagdgewehr nebst Schalldämpfer mitgenommen. Die Jagd verlief erfolgreich. 22 Wildtiere lagen im Kastenwagen, als sich gegen vier Uhr nachts eine Polizeistreife näherte. Yasmin B. bat Andreas S. den Ermittlungen zufolge um seine Papiere.

Als die Kontrolleure die toten Tiere im Laderaum entdeckten, lief Polizeikommissar Alexander K. zum Streifenwagen auf der gegenüberliegenden Fahrspur. Er gab durch, dass ein Verdacht auf Jagdwilderei vorliege. Weder gab er Personalien noch das Kennzeichen des kontrollierten Fahrzeuges durch. In der Zwischenzeit soll Andreas S. laut Anklage unter einem Vorwand seine Schrotflinte aus dem Wagen gezogen und die Polizeianwärterin niedergeschossen haben. Anschließend soll er die zweite Patrone auf ihren Kollegen abgefeuert haben. Der gab erneut per Funk durch: „Kommt schnell, die schießen auf uns.“

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Unterdessen habe Andreas S. zu seinem Jagdgewehr und einer Handvoll Patronen gegriffen. Die Waffe im Anschlag soll er auf den Polizeibeamten zugegangen sein. Der bereits einmal getroffene Beamte flüchtete in ein Feldstück und leerte sein Magazin, ohne seinen Angreifer zu verletzen. Der aber habe seine Zielperson ins Bein, dann in den Bauch getroffen. Als der Polizeikommissar wehrlos vor ihm lag, hat ihm der Angeklagte laut Gerichtsunterlagen aus nächster Nähe in den Kopf geschossen.

Anschließend sei er zurückgegangen und habe seinen Helfer aufgefordert, nach den Ausweispapieren zu suchen. „Sonst lege ich dich daneben“. Der Angeklagte selbst suchte bei Yasmin B. nach ihrem Notizblock, um verräterische Spuren zu verwischen. Bei der Kontrolle habe er bemerkt, dass die junge Frau noch lebte. Erneut soll er nach seiner Schrotflinte gegriffen und ihr in den Kopf geschossen haben.

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Sein Gehilfe schilderte später das Geschehen in Verhören bis ins Detail. Die Aussagen wurden durch die kriminaltechnischen Untersuchungen und aufwändige Tatort-Rekonstruktionen bestätigt - bis hin zur dilettantischen Flucht. Auf dem Weg zu einem Bekannten, bei dem Andreas S. die erlegten Tiere verarbeiten wollte, blieb der Kastenwagen liegen; ein Freund half, ihn abzuschleppen.

Am Tatort fanden sich Ausweispapiere, die schnell zu den beiden Angeklagten führten. Während sein Jagdhelfer nicht zuletzt auf Grund seiner Geständnisse auf eine vergleichsweise milde Strafe hoffen kann, muss Andreas S. mit einem Lebenslang rechnen. Es bleibt abzuwarten, ob er im Prozess sein Schweigen bricht und sich zu den Tatvorwürfen bekennt.

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