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Apokalyptischer „Tatort“ aus WienWoher kommt der Hass auf den Staat?

Lesezeit 5 Minuten
Die Wiener Innenstadt als Kampfzone: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) geraten als Mordermittler in eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die Demonstranten lehnen den Staat und seine Autoritäten ab. Nun ist einer von ihnen tot. Erschlagen von der Polizei, die ihre Tat vertuschen will? (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Die Wiener Innenstadt als Kampfzone: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) geraten als Mordermittler in eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die Demonstranten lehnen den Staat und seine Autoritäten ab. Nun ist einer von ihnen tot. Erschlagen von der Polizei, die ihre Tat vertuschen will? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) ermitteln im „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“, weil ein Demonstrant auf der Straße starb. Bald erkennen die Wiener Ermittler: Alle Akteure dieses Gesellschaftskrimis sind mit dem Staat unzufrieden. Auf welche „Krisen“ wird angespielt?

Es wird politisch im „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“: Die Wiener Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermitteln unter Menschen, die den Staat ablehnen. Und davon gibt es - analog zur Realität - offenbar immer mehr.
 (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Es wird politisch im „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“: Die Wiener Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermitteln unter Menschen, die den Staat ablehnen. Und davon gibt es - analog zur Realität - offenbar immer mehr. (Bild: ORF/Petro Domenigg)

In Wien herrscht Straßenkampf, ein Demonstrant ist ums Leben gekommen. Es ermitteln im „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“ (von links): Christina Scherrer als Meret Schande, Harald Krassnitzer als Moritz Eisner und Adele Neuhauser als Bibi Fellner. (Bild:  ORF/Landsiedl/Petro Domenigg)

In Wien herrscht Straßenkampf, ein Demonstrant ist ums Leben gekommen. Es ermitteln im „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“ (von links): Christina Scherrer als Meret Schande, Harald Krassnitzer als Moritz Eisner und Adele Neuhauser als Bibi Fellner. (Bild: ORF/Landsiedl/Petro Domenigg)

Aus der österreichischen Parlamentswahl im September 2024 gingen die Rechtspopulisten als Sieger hervor: Mit 29,2 Prozent der Stimmen wurde die FPÖ stärkste Partei in jenem Land, in dem der „Tatort: Wir sind nicht zu fassen“ mit den Ermittlern Fellner (Adele Neuhauser) und Eisner (Harald Krassnitzer) spielt. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Der ORF-Krimi kurz vor der Sommerpause ist eine der politischsten „Tatort“-Folgen aller Zeiten. Sie beschreibt eine neue Zeit verschwimmender Grenzen politischer Lager und Einstellungen. Auf welche gesellschaftlichen Entwicklungen, Putschversuche und politische Gruppen spielt der dystopische Krimi an?

Worum geht es?

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Meret Schande (Christina Scherrer) müssen ihre Dienstwaffen einsetzen. Haben sie die Drahtzieher der Wiener Unruhen erwischt?   (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Meret Schande (Christina Scherrer) müssen ihre Dienstwaffen einsetzen. Haben sie die Drahtzieher der Wiener Unruhen erwischt? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ist in einem „Tatort“, in dem viel geschrien wird, die Stimme der Vernunft. Sie will einfach nur wissen, was geschehen ist und lässt sich von der aufgeregten Atmosphäre innerhalb der Polizei weniger aus der Ruhe bringen als ihr Kollege Moritz Eisner.  (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ist in einem „Tatort“, in dem viel geschrien wird, die Stimme der Vernunft. Sie will einfach nur wissen, was geschehen ist und lässt sich von der aufgeregten Atmosphäre innerhalb der Polizei weniger aus der Ruhe bringen als ihr Kollege Moritz Eisner. (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Wien ist eine Kampfzone, die Innenstadt wegen hitziger Demonstrationen abgeriegelt. Es kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen, Autos brennen, Hubschrauber kreisen über der Szenerie. Auf dem Straßenpflaster liegt Jakob Volkmann (Tilman Tuppy), ein toter Demonstrant. Haben Polizisten des Einsatzkommandos zu hart zugeschlagen, was die stark blutende Kopfwunde des Opfers erklärt? Oder sind andere für den Tod des Systemgegners verantwortlich? Eisner und Fellner ermitteln unter genervten Polizisten, die es satthaben, sich als Prügelknaben vor den Staat zu stellen. Ein Staat, den einige Charaktere dieses Films aufgelöst oder stark verändert sehen wollen. Die Wiener ermitteln unter linken und rechten Eiferern, Geheimdienstlern sowie Staatsschützern - und auch Menschen, die nur schwer einem Lager zuordenbar sind.

Worum geht es wirklich?

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) findet die verletzte Katja Ralko (Julia Windischbauer). Ist sie der Schlüssel zur Aufklärung des Falles um den toten Demonstranten?  (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) findet die verletzte Katja Ralko (Julia Windischbauer). Ist sie der Schlüssel zur Aufklärung des Falles um den toten Demonstranten? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Heiko Tauber (Gerald Votava) und Aktivistin Katja Ralko (Julia Windischbauer) tauschen eine Tasche aus. Für welche Ziele arbeiten die Demonstranten in Wien? (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Heiko Tauber (Gerald Votava) und Aktivistin Katja Ralko (Julia Windischbauer) tauschen eine Tasche aus. Für welche Ziele arbeiten die Demonstranten in Wien? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Autor und Regisseur Rupert Henning legt einen als Krimi verkleideten System-Check der Demokratie vor. In Österreich, aber auch Deutschland ist sie so bedroht wie seit dem Kriegsende 1945 nicht mehr. Wer sind die Gegner des Staates? Es sind Schwurbler und Verschwörungstheoretiker, die „das System“ abschaffen wollen, um die ersehnte Freiheit des Einzelnen zu finden. Die Staatshasser können aus dem rechten, aber auch dem linken Lager kommen. Der Krimi spielt bewusst mit Demonstranten, die eher aussehen wie Links-Autonome, die aber letztlich eher rechten Überzeugungen folgen. Die Schwierigkeit der Unschärfe, solche demokratiefeindlichen Gruppen klar zu benennen und zu verstehen, ist die größte Stärke dieser „Tatort“-Folge.

Was sagt der Filmemacher?

Meret Schande (Christina Scherrer) ist verletzt und gehört eigentlich ins Krankenhaus oder zumindest nach Hause. Doch das Wiener Ermittlungsfieber lässt auch sie nicht kalt. Sie muss einfach weiterarbeiten ... (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Meret Schande (Christina Scherrer) ist verletzt und gehört eigentlich ins Krankenhaus oder zumindest nach Hause. Doch das Wiener Ermittlungsfieber lässt auch sie nicht kalt. Sie muss einfach weiterarbeiten ... (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Jessica Plattner (Julia Edtmeier) ist eine notorische Systemkritikerin und provokanter Dauergast bei den Wiener Demos. Doch hat sie auch etwas mit dem Todesfall während einer Demonstration zu tun? (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Jessica Plattner (Julia Edtmeier) ist eine notorische Systemkritikerin und provokanter Dauergast bei den Wiener Demos. Doch hat sie auch etwas mit dem Todesfall während einer Demonstration zu tun? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

„In den vergangenen Jahren konnten wir beobachten, dass die Grenzen zwischen dem linken und dem rechten Lager immer mehr verschwimmen“, sagt auch Autor und Regisseur Rupert Henning über seinen Film. „Die Protestszene ist äußerst heterogen. Da kommen Menschen zusammen, die es früher tunlichst vermieden hätten, gemeinsam aufzutreten. Darunter sind freiheitsliebende Bürger, Leute aus dem Querdenker-Milieu, QAnon-Anhänger, Libertäre, Esoteriker, aber auch linke wie rechte Extremisten. Was sie alle eint, ist ein großes Nein zu staatlicher Bevormundung, zu den Mainstream-Medien, zu den Wissenschaften, zu 'denen da oben'. Studien besagen, dass inzwischen ein Drittel der Bevölkerung zumindest teilweise an Verschwörungstheorien glaubt.“

Machen sich Krassnitzer und Neuhauser Sorgen um die Demokratie?

Jakob Volkmann (Tilman Tuppy) und Katja Ralko (Julia Windischbauer) sind ein Paar, das den Staat kritisch sieht. Doch wie weit sind sie bereit zu gehen? Und wer sind ihre Hinterleute? (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Jakob Volkmann (Tilman Tuppy) und Katja Ralko (Julia Windischbauer) sind ein Paar, das den Staat kritisch sieht. Doch wie weit sind sie bereit zu gehen? Und wer sind ihre Hinterleute? (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Gerold Schubert (Dominik Warta) vom Staatsschutz wollen beide in Österreich für Recht und Ordnung sorgen. In ihren Methoden und Werten unterscheiden sich die Männer allerdings deutlich. (Bild:  ORF/Petro Domenigg)

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Gerold Schubert (Dominik Warta) vom Staatsschutz wollen beide in Österreich für Recht und Ordnung sorgen. In ihren Methoden und Werten unterscheiden sich die Männer allerdings deutlich. (Bild: ORF/Petro Domenigg)

Harald Krassnitzer, ein sehr politischer Schauspieler, hat sich wiederholt dem linksliberalen Spektrum zugeordnet. Er macht sich Sorgen um die weltweite Demokratie, sieht in der neuen „Meinungsvielfalt“ aber auch Chancen: „Wir werden für das, was wir schon immer erträumt und erhofft haben, etwas tun müssen. Diesen Zustand betrachte ich nicht als unangenehm. Auch auf der großen Bühne stellen wir fest, dass die europäischen Staaten in Bewegung geraten sind und nach gemeinsamen Strategien in den Bereichen Verteidigung, Energie oder Mobilität suchen. Wir werden schon in den nächsten Monaten sehen, wie mutig wir diesen Aufbruch in Angriff nehmen.“

Adele Neuhauser sieht die Lage in ihrem Statement etwas düsterer: „Es sind gruselige Zeiten. Wir sind in Österreich nur knapp an einer rechtsextremen Regierung vorbeigeschlittert. Manchmal frage ich mich, welchen Anteil habe ich daran, was mein Sohn und meine Enkelkinder jetzt zu erwarten haben? Ich stehle mich da nicht aus der Verantwortung. Möglicherweise war ich zu blauäugig in meinem Glauben, dass die Dinge schon einen guten Weg nehmen werden. Da hatte ich noch nicht mit Verrückten wie Trump, Putin und anderen Autokraten gerechnet, vor denen wir uns schützen müssen.“

Gab es in Österreich oder Deutschland den Versuch eines Staatsstreichs?

Die Zusammenarbeit der beiden großen Parteien, ÖVP und SPÖ, vergleichbar mit CDU/CSU und SPD in Deutschland, sicherte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Faschismus die Stabilität der Zweiten Republik und verhinderte radikale politische Umsturzversuche. Allerdings hat Österreich schon länger mit einer erfolgreichen rechtspopulistischen Partei (FPÖ) zu tun als die Deutschen mit der AfD. Bei der Nationalratswahl 2024 erreichte die FPÖ mit 29,2 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis und wurde erstmals stärkste Partei im österreichischen Parlament. Sie übertraf das bisherige Rekordergebnis aus dem Jahr 1999 unter Jörg Haider. Nur durch eine Koalition anderer Parteien konnte eine rechtspopulistisch geführte Regierung verhindert werden.

Das Finale des Krimis spielt aber auch auf einen gescheiterten Putsch in Deutschland an. Im Dezember 2022 wurden Verschwörer mit dem Namen „Patriotische Union“ von Sicherheitsbehörden hochgenommen. Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, mehrere Ex-Bundeswehrsoldaten und andere hatte laut Bundesanwaltschaft seit Ende 2021 geplant, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gewaltsam zu beseitigen und eine eigene Regierung einzusetzen. Zu den Plänen gehörte ein bewaffneter Sturm auf den Bundestag, die Festnahme von Bundeskanzler, Ministern und Abgeordneten sowie die Ausrufung eines Ausnahmezustands und die Installierung einer Übergangsregierung. Mehr als 20 Personen wurde festgenommen und zahlreiche Wohnungen durchsucht.

Wie geht es beim Wiener „Tatort“ weiter?

Der nächste Wiener Fall dürfte auf den schillernden Namen „Der Elektriker“ hören. Ende 2024 wurde die Folge (Drehbuch: Roland Hablesreiter und Petra Ladinigg, Regie: Harald Sicheritz) abgedreht. Sie spielt in einem Pflegeheim. Das gestresste Personal dort arbeitet täglich am Anschlag. Ein gehbehinderter Pensionär ist in seiner Badewanne ertrunken. Fremdeinwirkung kann nicht ausgeschlossen werden. Ein Ausstrahlungstermin steht noch nicht fest. Der Film könnte aber noch vor dem Jahreswechsel 2024 zu sehen sein. (tsch)