In Deutschland kommen immer weniger Kinder zur Welt. Reporterin Eva Schulz fragt sich, was sich ändern muss. In einer ZDF-Doku spricht sie dafür mit Müttern, Vätern und Familienministerin Karin Prien.
„Das gehört dazu“Familienministerin schiebt die Schuld für sinkende Geburtenraten auf junge Menschen

Eva Schulz stellt in der ZDF-Reportage fest: Deutschland hat ein Betreuungsproblem. Es mangelt an Kitaplätzen und pädagogischen Mitarbeitern. (Bild: ZDF/Theresa Maué)
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„Will ich Kinder oder nicht? Kann ich das in unserer Gesellschaft überhaupt wagen?“ Das fragt sich ZDF-Reporterin Eva Schulz, genau wie viele andere Frauen. In der ZDF-Doku „Am Puls mit Eva Schulz: Wie die Politik Familien im Stich lässt“ will die Journalistin herausfinden, was Mütter und Familien belastet und was sich politisch und gesellschaftlich verändern muss.
Deutsche Frauen bekommen durchschnittlich 1,35 Kinder und sind bei der Geburt immer älter. Viele schieben ihren Kinderwunsch aus Angst vor Nachteilen im Beruf auf und auch diejenigen, die sich für Kinder entscheiden, haben es nicht leicht.
In Deutschland fehlen alleine für Kinder unter drei Jahren 300.000 Kitaplätze - und das, obwohl die Regierung jedem Kind ab einem Jahr einen Platz garantiert. Gleichzeitig fehlen laut dem paritätischen Gesamtverband etwa 125.000 pädagogische Mitarbeiter und auch bei älteren Kindern ist die Betreuung nicht gesichert. Zwar hat ab 2029 jedes Grundschulkind einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung, doch in Kommunen und Städten fehlt es an Geld und Personal.
Karriere oder Kinder: „Ich habe direkt weitergemacht, aus Angst“
Die schlechte Betreuungslage macht es insbesondere Frauen schwer, Karriere und Kinder miteinander zu vereinbaren. „Das ist überhaupt keine Option, dass ich Vollzeit zu Hause bleibe. Es ist immer noch die Zeit, beruflich irgendwie durchzustarten“, erklärt der Journalistin eine Freundin. Sie ist Mitte 30 und hat noch keine Kinder. Eine andere Freundin, die wiederum bereits Kinder hat, gesteht: „Ich habe direkt weitergemacht, aus Angst.“ Auch deshalb wird „Social Freezing“ immer beliebter. Dabei werden Eizellen eingefroren, um die Familienplanung verschieben zu können. Dr. Corinna Mann bietet das in ihrer Praxis in München an und sagt dennoch: „Gesellschaftlich sehe ich das als Riesen-Problem.“

Reporterin Eva Schulz will wissen, wie Deutschland familienfreundlicher werden kann. Dafür spricht sie mit Müttern, Vätern, Kitaleitungen und Familienministerin Karin Prien (CDU). (Bild: ZDF/Theresa Maué)
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Ob sie warten oder nicht - Frauen haben deutliche Nachteile. Laut ifo Institut verdienen Mütter in ihrem Leben, je nachdem wie viele Kinder sie bekommen, zwischen 40 und 70 Prozent weniger als kinderlose Frauen. Sie sind es, die in Elternzeit gehen und in Teilzeit arbeiten, um sich um Familie und Haushalt zu kümmern. Studien zeigen, dass dieses Rollenbild in Deutschland immer noch weitverbreitet ist. Über die Hälfte der jungen Männer wollen der Haupternährer ihrer Familie sein. Hausarbeit und Kindererziehung sind für sie Frauensache.
Frauen leisten 825 Milliarden Euro unbezahlte Sorgearbeit
Egal, ob beide Elternteile arbeiten oder ob einer von beiden zu Hause bleibt - die Familien, die Schulz besucht, spüren täglich, wie sie von der Politik im Stich gelassen werden. Lydia und Marcel aus Erfurt arbeiten beide, anders könnten sie sich ihr Leben mit drei Kindern nicht leisten, erzählen sie der Reporterin. Eva und ihr Mann machen es anders: Während sie zu Hause backt, kocht und sich um Kinder und Haushalt kümmert, geht ihr Mann arbeiten.
Entspannter ist das nicht: „Wenn man es genau nimmt, ist es eine Vollzeitbeschäftigung“, erklärt die vierfache Mutter. Durchschnittlich wenden Frauen laut Bundesfamilienministerium 43 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf. Pro Jahr entspricht das etwa 825 Milliarden Euro unbezahlte Care-Arbeit, rechnete das Bayerische Staatsministerium für Familie aus.
Darüber, was im Falle einer Scheidung passiert, habe sie noch nie nachgedacht, gibt Eva zu. Dabei ist eine Trennung in Deutschland eines der größten Armutsrisiken für Frauen. 40 Prozent der alleinerziehenden Mütter sind armutsgefährdet. Für sie gebe es ebenfalls nicht genügend Unterstützung, kritisiert die alleinerziehende Jacinta aus Berlin. Wohnen müsse günstiger, Kitas bezahlbar und das Kindergeld erhöht werden, dann „könnten wir uns viel Stress sparen“.
Für Reformen fehle „politische Mehrheit“, sagt die Familienministerin
Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) warnt im Gespräch mit Schulz davor, zu viele Ansprüche an die Politik zu stellen: „Wir können nicht alles gleichermaßen und dann auch noch kostenfrei finanzieren.“ Dass mehr Geld mehr Kinder bedeute, glaubt sie nicht. Auch den Wunsch nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann die Politikerin nicht nachvollziehen, schließlich habe sie selbst solche Gedanken nie gehabt. Stress, Müdigkeit - „das gehört einfach dazu“. Sie wolle dennoch „die Rahmenbedingungen weiter verbessern“. Doch die Politikerin sieht auch junge Leute in der Pflicht: Sie müssten ihr „Mindset“ ändern.
Dabei würde es besser gehen. Das zeigt ein Blick nach Frankreich, hier können Familien sich auf die Betreuung ihrer Kinder verlassen. Das dritte Kind wird sogar als „das Goldene“ bezeichnet, weil Eltern danach in vielen Lebensbereichen deutlich entlastet werden: Sie zahlen weniger Steuern und Bus- und Bahnfahrten sowie der Eintritt für Museen und Zoos werden günstiger.
Wäre das nicht auch eine Möglichkeit für Deutschland? „Dass wir auf Dauer das Ehegatten-Splitting in ein Familien-Splitting weiterentwickeln müssen, das würde ich unbedingt so unterschreiben“, stimmt Prien zu. Doch dafür fehle es an „politischer Mehrheit“, so die CDU-Politikerin.
„Am Puls mit Eva Schulz: Wie die Politik Familien im Stich lässt“ ist bereits jetzt in der ZDF-Mediathek und am 28. August, 22.15 Uhr, im ZDF zu sehen. (tsch)