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Dunja Hayali„Ich hatte mal eine Phase in meinem Leben, die ungesund war“

8 min
Dunja Hayali beschäftigt sich in ihrer Reportage „Am Puls mit Dunja Hayali - Die Innere (Un-)Sicherheit“ mit der Frage, warum sich viele Deutsche unwohl im eigenen Land fühlen - weil sie glauben, sich darin nicht mehr sorgen- und angstfrei bewegen zu können. (Bild: ZDF und Klaus Weddig)

Dunja Hayali beschäftigt sich in ihrer Reportage „Am Puls mit Dunja Hayali - Die Innere (Un-)Sicherheit“ mit der Frage, warum sich viele Deutsche unwohl im eigenen Land fühlen - weil sie glauben, sich darin nicht mehr sorgen- und angstfrei bewegen zu können. (Bild: ZDF und Klaus Weddig)

In der Reportage „Am Puls mit Dunja Hayali: Die Innere (Un-)Sicherheit“ zeigt die meinungstarke ZDF-Moderatorin, dass sich gefühlte und echte Bedrohungen in unserem Land durchaus unterscheiden. Ihre Reise durchs „Gefahrengebiet Deutschland“ liefert in mehrererlei Hinsicht spannende Erkenntnisse.

Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali setzt sich in der Reportage „Am Puls mit Dunja Hayali: Die Innere (Un-)Sicherheit“ (Donnerstag, 21. August, 22.15 Uhr, ZDF) mit dem Phänomen auseinander, dass sich die Deutschen immer unsicherer fühlen - obwohl wir statistisch in einem relativ sicheren Land leben. Ein Gespräch über bedrohliche Orte und Gedanken sowie die Frage, woher sie kommen und welche falschen Schlüsse ihnen bisweilen zugrunde liegen.

teleschau: Laut Statistik fühlen sich 40 Prozent der Menschen in Deutschland unsicher. Deutlich mehr als früher. Die Kriminalstatistik liefert aber keinen Grund dafür ...

Dunja Hayali: Fakten, Gefühle, Wahrnehmung, Eigenerfahrung - all das spielt bei „deutlich mehr“ eine Rolle. Ja, es stimmt, wir leben grundsätzlich in einem ziemlich sicheren Land. Und gleichzeitig gibt es Bereiche, wo es einen Anstieg von Gewalttaten zu verzeichnen gibt. Messerdelikte beispielsweise. Eine Statistik, die noch nicht lange erhoben wird. Es fehlen also Langzeitstudien. Die Taten, die wir öffentlich mitbekommen und diskutieren, sind vermehrt jene, wo mutmaßliche Täter eine Migrationsgeschichte haben. Das erzeugt den Eindruck, dass diese Gewalttaten nur in migrantischen Milieus passieren, was nicht stimmt.

teleschau: Also muss man den Leuten nur immer wieder sagen, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen?

Wie sicher ist Deutschland? Dunja Hayali forscht nach - und begleitet unter anderem die Polizeistreife am Bremer Hauptbahnhof.

 (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Wie sicher ist Deutschland? Dunja Hayali forscht nach - und begleitet unter anderem die Polizeistreife am Bremer Hauptbahnhof. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Dunja Hayali: Nein, das funktioniert nicht. Man muss die gefühlte Unsicherheit ernst nehmen, ohne sie dabei aus populistischen Gründen zu dramatisieren. Das klarzustellen ist in erster Linie Aufgabe von Politik. Und es gibt ja auch Orte, an denen Menschen sich unwohler fühlen als früher, zum Beispiel Bahnhöfe. Gründe gibt es einige. Für manche reicht es schon, dass ein Teil der Menschen dort nicht deutsch aussehen. Was auch immer dies bedeuten soll. Hinzukommen neue Drogen und ihre Beschaffungskriminalität. Das zeigen wir im Film. Übrigens, auch soziale Medien spielen eine große Rolle, wenn es um gefühlte Unsicherheit geht.

„Klassische Medien sind Teil des Problems“

teleschau: Sie sprechen das Phänomen an, dass Menschen für soziale Medien Gewalttaten und Übergriffe filmen. Das wiederum wird massenhaft geklickt. Entsteht auf diese Weise das Gefühl, dass wir in einer schlimmen Welt leben?

Dunja Hayali: Man kann es so kurz zusammenfassen. Wie ambivalent die Wirkung sozialer Medien sind, sieht man an Themen wie patriarchale Strukturen, Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt oder Bodyshaming. Große Dunkelfelder, die durch Instagram & Co seit ein paar Jahren massenhaft ins Licht gezogen werden. Was gut und wichtig ist, denn durchs sichtbar machen, können wir Lösungen finden und Veränderungen anstoßen. Allerdings kommen die, die wenig Ahnung von der Problematik haben, voreilig zu dem Schluss: „Das hat es früher nicht gegeben, also hat das ausschließlich etwas mit der Migration zu tun.“ Frauen leiden aber seit Generationen unter übergriffigem Verhalten und Gewalt, insbesondere durch Männer. Neu ist nur, dies zu thematisieren und sichtbar zu machen.

teleschau: Also sind Soziale Medien ein Kontrollinstrument unserer Gesellschaft?

Dunja Hayali (links) begleitet in ihrem Film auch Lea, die 2024 beim Messerangriff in Solingen schwer verletzt wurde. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Dunja Hayali (links) begleitet in ihrem Film auch Lea, die 2024 beim Messerangriff in Solingen schwer verletzt wurde. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Dunja Hayali: Einerseits sind sie es, sie dienen zudem der Aufklärung und Sichtbarkeit, andererseits steigern sie genau dadurch das Gefühl der Unsicherheit. Weil die Leute massenhaft Übergriffe und Gewalttaten vorgeführt bekommen, glauben sie, es gäbe heute mehr davon. All diese Dinge kamen vor Social Media genauso vor. Nur wurden sie nicht medial verbreitet.

teleschau: Auch klassische Medien spricht Ihre Doku nicht frei. Laut Kriminalstatistik sind 33 Prozent der Täter Ausländer. In den klassischen Medien nehmen ausländische Täter jedoch über 80 Prozent des Raumes in der Berichterstattung ein.

Dunja Hayali: Man muss leider sagen, dass klassische Medien Teil des Problems sind. Ich persönlich glaube, dass die Vorwürfe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wir hätten gesellschaftlich eine rosarote Brille auf, vielleicht sogar zu einer unbewussten Schärfe geführt haben. Jedenfalls, wenn es darum geht, Probleme und Herausforderungen mit Migration zu benennen. Natürlich diskutieren wir darüber, was, wann und warum wir auf welche Art und Weise berichten. Dabei zählt wie immer das journalistische Einmaleins: Relevanz, Neuigkeitswert, gesellschaftliche Dimension. Die Herkunft der Beteiligten sollte dabei nicht das entscheidende Kriterium sein.

„Es gibt nicht nur Messerstecher Ali, sondern auch Messerstecher Uwe“

teleschau: Ist es immer die Tat selbst, die darüber entscheidet, wir intensiv darüber berichtet wird?

Dunja Hayali: Wenn es so einfach wäre. In unserem Film zeigen wir einen Fall aus Magdeburg, wo ein junger Mann mit islamischem Hintergrund Opfer eines rassistisch motivierten Messerangriff wurde, den er nur knapp überlebte. Angriffe auf Menschen mit Migrationsgeschichte haben in Magdeburg nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt deutlich zugenommen. Doch davon hört man fast nichts in den Medien. Wäre es andersrum - der Täter Migrant, das Opfer Deutscher - was dann?

Der Syrer Anas (zweiter von links) überlebte einen  Messerangriff in Magdeburg. Dunja Hayali spricht mit ihm und seinem Vater über die Tat und ihre Folgen. (Bild: ZDF/Felix Korfmann)

Der Syrer Anas (zweiter von links) überlebte einen Messerangriff in Magdeburg. Dunja Hayali spricht mit ihm und seinem Vater über die Tat und ihre Folgen. (Bild: ZDF/Felix Korfmann)

teleschau: Ist es ein Problem, dass bildungsferne Menschen Statistiken oft nicht glauben, weil in ihrer Wahrnehmung Ereignisse, die besonders laut und auffällig sind, in Häufigkeit und Bedeutung überschätzt werden?

Dunja Hayali: Nein. Das ist zu schlicht. Ich glaube, dass alle Menschen die Tendenz haben, in ihrer Meinung bestätigt werden zu wollen. Deshalb hinterfragt man Artikel oder Beiträge nicht, die einen in der eigenen Überzeugung stützen. Stoße ich mich jedoch an einem Bericht, suche ich aktiv nach möglichen Fehlern und Widersprüchen. Ich denke, das kennt jeder von uns. Aber gerade wir Journalistinnen und Journalisten müssen uns dessen besonders bewusst sein, um gegen diesen Impuls anzuarbeiten.

teleschau: Die renommierte Wissenschaftlerin Julia Ebner offenbart im Film, dass es nicht die Gegenden mit vielen Migranten sind, die in Deutschland gefährlich sind, sondern prekäre - also arme - Gegenden. Kann man das so leicht auseinanderhalten?

Dunja Hayali: Nein. Was man jedoch untersuchen kann, ist, ob Gewalt- und Straftaten mehr werden, wenn sich in prekären Gegenden der Ausländeranteil erhöht. Genau das ist aber nicht der Fall. Es gibt dort eben nicht nur Messerstecher Ali, sondern auch Messerstecher Uwe - um es etwas plakativ zu sagen. So habe ich Julia Ebner und auch andere Studien verstanden.

„Wir müssen viele gesellschaftliche Diskussionen vom politischen Ballast befreien“

Der junge Syrer, der in Magdeburg schwer verletzt wurde, zeigt seine Narben. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Der junge Syrer, der in Magdeburg schwer verletzt wurde, zeigt seine Narben. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

teleschau: Können kulturelle Hintergründe für eine höhere Gewaltbereitschaft verantwortlich sein?

Dunja Hayali: Es ist wichtig, dass wir keine falschen Kausalketten bilden. Gewalt hat in der Regel mit bildungsfernen, finanzschwachen Strukturen und auch oft mit Traumatisierung zu tun. Man muss bei jeder Person, die gewalttätig geworden ist, schauen, was der Grund dafür war. Leider interessieren immer mehr Menschen weniger die Hintergründe als vielmehr die Herkunft. Da ist der Impuls zu sagen: „Grenzen zu“ schneller, effektiver und öffentlichkeitswirksamer als Integrations- und psychosoziale Maßnahmen. Die aber würden Menschen mehr helfen - übrigens egal, ob es sich um Zugewanderte handelt oder nicht.

teleschau: Sie zeigen ein Beispiel aus der belgischen Stadt Mechelen, die früher sehr unsicher war. Der Bürgermeister dort hat mit unkonventionellen Methoden zur Gewaltprävention große Erfolge erzielt ...

Dunja Hayali: Ich hab mir das vor Ort angeschaut. Der öffentliche Raum ist kameraüberwacht, damit ist man offen und transparent umgegangen. Zudem hat man mit den Familien jugendlicher Straftäter gesprochen und sie mit handfesten wirtschaftlichen Konsequenzen in die Pflicht genommen. Gleichzeitig hat der Bürgermeister den Menschen klargemacht, dass alle dazugehören und niemand ausgegrenzt wird. Kurzum: Hart und herzlich. Die Gewalttaten in Mechelen sind durch diese und andere Maßnahmen drastisch zurückgegangen.

teleschau: Der Bürgermeister weist im Interview auf einen interessanten Punkt hin. Er sagt, dass die Diskussion über Gewalt politisch viel zu aufgeladen sei. Dass die Rechten immer durchgreifen wollen und die Linken Angst vorm zu starken Staat haben ...

Oft fühlen sich junge Frauen beim Ausgehen aus Angst vor Belästigung unsicher. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Oft fühlen sich junge Frauen beim Ausgehen aus Angst vor Belästigung unsicher. (Bild: ZDF / Felix Korfmann)

Dunja Hayali: Ich finde auch, dass wir viele gesellschaftliche Diskussionen vom politischen Ballast befreien müssen. Es kann nicht sein, dass Probleme nicht gelöst werden können, weil diese Lösungen nicht ins politische Narrativ passen. Man muss sachorientiert an Problemen arbeiten und die Menschen einbeziehen.

„Die eigene Erfahrungswelt in puncto Gewalt ernst nehmen“

teleschau: 30 Prozent der Geflüchteten sind so traumatisiert, dass sie dringend eine Therapie bräuchten, aber nur jede zehnte Person erhält eine. In der Doku stellen sie ein Projekt der Uni Konstanz und der Leopoldiner vor, die auf diesem Gebiet mit schnell geschulten Traumaberatern große Erfolge erzielen ...

Dunja Hayali: Das sind angelernte Laien, die oft die Landessprache der Geflüchteten sprechen und einen festen Fragebogen durcharbeiten. Die Methode ist kostengünstig und effizient. Sie wurde der Bundesregierung schon 2018 vorgeschlagen, aber sie hat nicht reagiert. Wir müssen damit anfangen, gesellschaftlichen Probleme auch mal mit unkonventionellen Methoden abseits alter politischer Schubladen zu begegnen. Dieses Projekt hätte viel mehr Beachtung verdient, finde ich.

teleschau: Sie sind als Journalistin selbst eine Figur, die polarisiert. Man weiß, dass Sie persönlichen Anfeindungen ausgesetzt waren, die weit über eine normale Kritik Ihrer Positionen hinausgingen. Haben Sie manchmal Angst, Ihnen könnte etwas passieren?

Dunja Hayali: Angst ist kein guter Begleiter. Aber ich hatte mal eine Phase in meinem Leben, die ungesund war, weil ich in fast jeder Person einen möglichen „Hater“ gesehen habe. Das war zu einer Zeit, als Bedrohungen und Beleidigungen massiv stattgefunden haben. Online wie offline, inklusive Übergriffe. Deshalb weiß ich: Die eigene Erfahrungswelt in puncto Gewalt ist etwas, das man ernst nehmen muss.

teleschau: Wir müssen die Ängste der Leute also sehr ernst nehmen?

Dunja Hayali: Noch nie hat jemand weniger Angst gehabt, nur weil jemand gesagt hat: Stell dich nicht so an! Im Gegenteil. Mir hat - neben ein paar Sicherheitsmaßnahmen - geholfen, darüber zu reden. Im Freundeskreis, mit der Familie oder auch mit Kolleginnen und Kollegen.

teleschau: Und geht es Ihnen heute besser damit?

Dunja Hayali: Ja, die Auseinandersetzung mit dem Thema, auch der Support durch andere Menschen, hat mir Kraft gegeben. Man darf nie vergessen: Das Ziel öffentlicher Beleidigungen und Drohungen ist immer, dass man sich zurückzieht. Diese Genugtuung sollte man den Tätern nicht geben. (tsch)