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„Haben Sie das Deutschland jemals verziehen?“Weltkriegs-Zeitzeugin reagiert emotional auf Lanz-Frage

Lesezeit 4 Minuten
Die 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann stellte bei „Markus Lanz“ klar: „Nicht alle Deutschen waren Nazis!“ (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Die 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann stellte bei „Markus Lanz“ klar: „Nicht alle Deutschen waren Nazis!“ (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand in Deutschland langsam aber sicher eine Demokratie. Bei „Markus Lanz“ erinnerte sich die 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann an die letzten Kriegstage. Dabei warnte sie auch vor dem Anstieg rechtspopulistischer Parteien wie der AfD.

Am 8. Mai 1945 ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Seitdem herrscht zwar Frieden in Deutschland, doch spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine steht der Krieg wieder vor der europäischen Haustür. Derweil gerät in Deutschland die Demokratie immer mehr unter Druck, nicht zuletzt aufgrund des großen Zulaufes für rechtspopulistische Parteien wie der AfD. Bei „Markus Lanz“ äußerte sich die 96-jährige Zeitzeugin Ruth Winkelmann, die zum Kriegsende 16 Jahre alt war, besorgt über die aktuelle Entwicklung im Land. Als Lanz wissen wollte, was sie über den Erfolg der AfD denkt, antwortete die 96-Jährige nachdenklich: „Ich habe ein bisschen Angst natürlich davor, was kommen kann.“

Ruth Winkelmann äußerte sich sorgenvoll zum politischen Erfolg der AfD: „Ich habe ein bisschen Angst natürlich davor, was kommen kann.“ (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Ruth Winkelmann äußerte sich sorgenvoll zum politischen Erfolg der AfD: „Ich habe ein bisschen Angst natürlich davor, was kommen kann.“ (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Dennoch gab sie zu: „Ich kann daran leider nichts ändern, und ich kann nur erklären, was war. (...) Vielleicht hilft das was.“ Auch der amerikanische Faschismusforscher Jason Stanley warnte in der ZDF-Sendung vor dem Zerfall der deutschen Demokratie, die „so wichtig für die Welt“ sei. „Die AfD bringt eine Art und Weise von Sprache zurück, (...) die ein Teil der Nazi-Vergangenheit war. Das ist, wie es anfängt“, gab Stanley zu bedenken. Grund genug für Lanz, genauer bei Zeitzeugin Ruth Winkelmann nachzufragen. Als Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter erinnerte sie sich an ihre Jugend: „Das ganze Leben damals war ein Seiltanz.“

Zeitzeugin Ruth Winkelmann: „Nicht alle Deutschen waren Nazis“

Faschismusforscher Jason Stanley (links) erklärte bei „Markus Lanz“, dass die USA mittlerweile „keine Demokratie mehr“ sei. (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Faschismusforscher Jason Stanley (links) erklärte bei „Markus Lanz“, dass die USA mittlerweile „keine Demokratie mehr“ sei. (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Mit Blick auf das Ende des Krieges wollte der ZDF-Moderator wissen: „Die Tage davor, die Tage danach - wie haben Sie das in Erinnerung?“ Winkelmann antwortete prompt: „Davor hatten wir nur Hunger und haben gehofft, dass recht bald die Russen kommen, dass wir frei sind.“ Die 96-Jährige weiter: „Als ich (...) die Russen hörte, bin ich meiner Mutti um den Hals gefallen und habe ganz laut im Bunker gesagt: 'Mutti, wir haben's geschafft. Wir haben überlebt. Wir sind jetzt frei'.“ Eine Aussage, die Lanz sichtlich überraschte: „Das haben nicht alle so gesehen, dass das ein Moment der Befreiung war.“ Ruth Winkelmann nickte und erklärte: „Es war der Tag, wo die Bomben nicht mehr gefallen sind. (...) Es war eine Stille.“

Im Krieg verlor Winkelmann unter anderem ihren jüdischen Vater, der in einem Nebenlager von Auschwitz ermordet wurde. Lanz wollte daher wissen: „Haben Sie das Deutschland jemals verziehen?“ Sichtlich emotional erklärte die 96-Jährige: „Meinen Vater zu verlieren, das ist heute noch für mich etwas ganz, ganz Schlimmes. Nach so vielen Jahren auch noch. (...) Wenn ich an meinen Vater denke, tut mir das immer noch weh.“

Am Donnerstagabend sprach Markus Lanz mit seinen Gästen unter anderem über die Zukunft der Demokratie in Deutschland. (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Am Donnerstagabend sprach Markus Lanz mit seinen Gästen unter anderem über die Zukunft der Demokratie in Deutschland. (Bild: ZDF / Cornelia Lehmann)

Trotzdem merkte die Zeitzeugin an, dass sie keinen Groll gegen Deutschland hege, denn: „Ich bin Deutsche innerlich viel mehr als viele andere. Den Nazis, denen habe ich das nie verziehen. (...) Deutschland ist mein Land und unser Land, in dem ich sehr gerne lebe.“ In dem Zusammenhang stellte Ruth Winkelmann klar: „Nicht alle Deutschen waren Nazis!“ Weiter erklärte sie: „Sonst hätten diejenigen, die überlebt haben, nicht überlebt, in Berlin, in Deutschland. Wir waren auf Menschen angewiesen, die uns Gutes getan haben.“

Dennoch wollte Markus Lanz wissen, wie Ruth Winkelmann ihr Schicksal verarbeiten konnte. Sie gab daraufhin zu: „Abschließen mit der Geschichte kann ich nicht. Solange, wie ich lebe, werde ich in Schulen und Universitäten gehen und jungen Menschen das erzählen, was ich durchgemacht habe.“ Diese Bildungsarbeit als Zeitzeugin habe dazu geführt, dass sie sich „wieder gesünder gefühlt“ habe, einen „Psychiater oder einen Therapeuten“ brauche sie daher nicht.

Faschismusforscher Jason Stanley über Trumps USA: „Das ist keine Demokratie mehr“

Abseits von Winkelmanns Geschichte war auch die politische Lage in den USA Thema des ZDF-Talks am Donnerstagabend. Der amerikanische Philosoph Jason Stanley gab wegen US-Präsident Donald Trump jüngst seine Professur an der Elite-Universität Yale auf und zog nach Kanada. In der ZDF-Sendung warnte Stanley, dass viele Menschen in Amerika mittlerweile Angst hätten, frei ihre Meinung zu äußern. „Das ist keine Demokratie mehr - auch wenn man sicher ist“, stellte der Faschismusforscher fest.

Als Lanz ihn nach dem Klima an amerikanischen Universitäten fragte, erklärte Jason Stanley, dass die Meinungsfreiheit massiv „unter Druck“ sei, denn ohne amerikanische Staatsbürgerschaft könne „man wirklich nicht jetzt über Politik sprechen“. Über seine Entscheidung, das Land zu verlassen, sagte er weiter: „Trump will patriotische Erziehung haben. Ist das ein Witz? Ich will nicht, dass meine Kinder in einem Land sind, wo sie lernen müssen, dass das Land das Größte aller Zeiten ist.“ (tsch)