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„Ich zerstöre alles, was du hast“Wie Patrick Opfer eines globalen Betrügernetzwerks wurde

Lesezeit 5 Minuten
Ermittler, Forscher und Anwälte versuchen, die Betrüger zu stoppen. Ein Weg: „Follow the money“. (Bild: NDR/Lutz Westphal)

Ermittler, Forscher und Anwälte versuchen, die Betrüger zu stoppen. Ein Weg: „Follow the money“. (Bild: NDR/Lutz Westphal)

Patrick K. und Thomas W. sind Opfer von Onlinebetrug. Dahinter steckt ein globales Netzwerk, das auf Geld fixiert ist und selbst vor Menschenhandel und Folter nicht zurückschreckt. Die investigative ARD-Dokumentation „Im Inneren der Cybermafia - Love.Like.Lost“ blickt hinter die Kulissen eines perfiden Systems.

Patrick K. ist verzweifelt. Gerade noch war auf dem Handybildschirm seine Onlinebekanntschaft zu sehen, plötzlich dann diese Nachricht: „Ich habe dich gefilmt“, der Videocall ist abrupt vorbei. Der 35-Jährige solle 5.000 Euro zahlen, sonst werde das Video an alle seine Freunde geschickt. „Ich zerstöre alles, was du hast“ und „Ich ruiniere dein Leben“, droht die andere Person, die sich hinter einem Fakeprofil versteckt hatte. Patrick ist Opfer eines Onlinebetrugs geworden - so wie immer mehr Menschen in Deutschland. In der ARD-Story: „Im Inneren der Cybermafia - Love.Like.Lost“ begleiten drei NDR-Reporterinnen Patrick und weitere Opfer eines weltweit agierenden Betrugnetzwerks und reisen dafür von Deutschland bis nach Thailand und Myanmar.

Einer von ihnen ist Thomas W., ein Rentner und ehemaliger Geschäftsführer aus München. Über die Plattform LinkedIn schreibt ihn die vermeintliche asiatische Geschäftsfrau Jin Wenja aus London an. Sie will von Thomas mehr über Deutschland erfahren und die Sprache lernen, da sie angeblich geschäftlich im Land tätig werden wolle. Immer wieder kommunizieren die beiden miteinander, Jin schickt Fotos von teuren Autos und zeigt ihr Luxusleben. „Ich habe sie eigentlich als sehr authentisch angesehen, diese Person und auch ehrlich“, erzählt Thomas in der ARD-Story.

Nach einiger Zeit schickt Jin Thomas angeblich profitable Anlagen und zeigt ihm eine App, mit der er in diese investieren kann - zumindest scheint es so. Der Rentner will es versuchen - „warum nicht?“. Zuerst investiert er 1.000 Euro, dann immer höhere Summen. Am Ende werden es mehr als 250.000 Euro sein. Gewinne, die auf sein Konto überwiesen werden, mindern das Misstrauen. Doch die App ist eine Fälschung, genauso wie sein Kontakt Jin Wenja. Thomas' Geld landet auf Krypto-Konten. Als er Betrug wittert, ist es schon zu spät, das Geld ist weg.

„Enge Verbindung zwischen Onlinekriminalität und diesen Betrugszentren und dem Menschenhandel“

Thomas W. (Name geändert) aus München ist eines von vielen Opfern der Cybermafia. (Bild: NDR/Lutz Westphal)

Thomas W. (Name geändert) aus München ist eines von vielen Opfern der Cybermafia. (Bild: NDR/Lutz Westphal)

Zwei, die ganz genau wissen, wie so ein Betrug funktioniert, sind Yiao Lu und James. Der 30-jährige Chinese und der 31-Jährige Kenianer wurden mit einem Jobangebot nach Bangkok, Thailand, gelockt. Doch als sie jeweils dort ankommen, werden sie über die Grenze nach Myanmar verschleppt, in eines von vielen Betrugszentren der chinesischen Mafia. Diese macht sich die unsicheren Machtstrukturen im Nachbarland zunutze.

„Es gibt eine sehr enge Verbindung zwischen Onlinekriminalität und diesen Betrugszentren und dem Menschenhandel“, erklärt Benedikt Hofmann, UN-Experte für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Südostasien in der ARD-Story. Das Zentrum des Betrugsgeschäfts liegt in Südostasien und sei dort mittlerweile genauso lukrativ wie der Drogenhandel, so der Experte. Beide würden im Jahr jeweils zwischen 70 und 80 Milliarden Dollar ausmachen.

Alleine in Myanmar arbeiten schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen in sogenannten Scam Centers; die meisten von ihnen werden dazu gezwungen, so wie Yiao und James. Sie werden gefangen gehalten und sollen Menschen wie Patrick und Thomas betrügen. „Wir haben Frauenprofile genutzt und dabei vorgetäuscht, eine Geschäftsfrau zu sein“, erklärt James eine Betrugsvariante. „Ich habe mich richtig schlecht gefühlt, jeden Tag aufzuwachen und zu wissen, dass ich wieder Menschen betrügen werde.“

„Hier ist es wie die Hölle auf Erden“

Yihao Lu machte während seiner Gefangenschaft heimlich Fotos. (Bild: NDR/Yihao Lu)

Yihao Lu machte während seiner Gefangenschaft heimlich Fotos. (Bild: NDR/Yihao Lu)

Betrügen die Gefangenen nicht, droht ihnen Folter. „Sie werden in dunkle Räume gesperrt, ohne Essen, ohne Wasser, gefesselt, geschlagen, mit Holzstöcken oder Metallstangen. Und letztendlich führt das dann dazu, dass fast jeder gezwungen ist, beim Betrug mitzumachen“, weiß Jay Kritiyan. Sie ist Teil einer Hilfsorganisation in Thailand, die versucht, Menschen aus den Scam Centers zu retten. Sie steht immer wieder mit Gefangenen in Kontakt. „Bitte hilf uns. Hier ist es wie die Hölle auf Erden“, schreibt ihr einer von ihnen.

Ein Ausbruch aus dem Betrugssystem ist lebensgefährlich: Die Gefangenen werden rund um die Uhr bewacht. Trotzdem gelingtJames nach vier Monaten die Flucht. „Ich bin um mein Leben gerannt. Und für meine Familie. Ich habe nicht zurückgeschaut. Ich weiß nicht, woher die Kraft kam, aber ich bin einfach gerannt, so schnell ich konnte“, erzählt er.

Yiao bietet sich dem Syndikat indes als Buchhalter an, um nicht betrügen zu müssen. Heimlich sammelt er Unterlagen, macht Fotos und Videos und gibt damit einen seltenen Einblick hinter die Kulissen dieses riesigen Betrugssystems. Dafür zahlt der 30-Jährige einen hohen Preis. „18 Tage war ich im Folterzimmer. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich verprügelt wurde.“ Erst, als seine Eltern ein Lösegeld von 39.000 US-Dollar zahlen, kommt Yiao nach sieben Monaten wieder frei. Seitdem will er vor allem zwei Dinge: Gerechtigkeit und Rache. Aber er wolle auch aufklären, um andere Menschen vor seinem Schicksal und vor Betrug zu bewahren.

Mit KI: Wissenschaftler wollen Betrügern auf die Schliche kommen

Gerechtigkeit, das wollen auch Patrick K. und Thomas W. Sie bringen ihre Fälle jeweils zur Anzeige, Thomas beauftragt außerdem eine Anwaltskanzlei. Diese erklärt, dass Ermittlungen in Onlinebetrugsfällen einerseits durch gesetzliche Hürden bei der Beschlagnahmung von Kryptowährung, andererseits durch mangelnde Kooperation anderer Staaten schwierig seien.

In Patricks Fall werden die Ermittlungen eingestellt. Da sei er schon enttäuscht gewesen, sagt der 35-Jährige. Thomas wartet hingegen nach mehreren Monaten immer noch auf Ergebnisse. Der schleichende Fortschritt sei wie eine „Einladung“ für Betrüger, findet der Rentner. Er leide immer noch unter dem Betrug. „Das ist nicht schön, wenn man so viel Geld in den Sand gesetzt hat. Es beeinflusst das Leben von mir und der Familie.“

Doch es gibt Hoffnung. Wissenschaftler versuchen, die Methoden der Betrüger besser zu verstehen, um ihnen das Handwerk legen zu können. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz erschaffen sie wiederum künstliche Opfer, die sich mit den Betrügern austauschen, ihre Zeit verschwenden und vor allem ihre Bankverbindungen herausfinden. „Wenn wir die Zahlungsinformation haben, verstehen wir auch, wie sie vorgehen und können das im Idealfall dann auch stoppen“, erklärt einer der Forscher.

Die „ARD-Story: 'Im Inneren der Cybermafia - Love.Like.Lost'“ ist am 10. Juni um 22.50 Uhr in der ARD zu sehen. (tsch)