Am 20. Mai verabschiedete die Europäische Union ihr nunmehr 17. Sanktionspaket gegen Russland. Ziel sei es einer Erklärung der deutschen Bundesregierung nach, die „Einnahmen aus dem Energiesektor, die den Krieg gegen die Ukraine finanzieren, erheblich zu reduzieren“.

Im Fokus steht dabei die sogenannte Schattenflotte - eine lose organisierte Gruppe von Tankern, die trotz Sanktionen weiterhin russisches Öl transportieren. Die NDR-Dokumentation „ARD Story: Die Spur der Tanker“ stellt nun infrage, warum es dem Westen bislang nicht gelang, die russischen Exporte effektiv zu kontrollieren.

Über 600 sogenannte „rust buckets“, also „Rosteimer“, zählt die russische Tankerflotte. Die Schiffe, oft fast 20 Jahre alt, werden günstig aufgekauft und gezielt eingesetzt, um Sanktionen zu umgehen. „Die Kaufkraft Russlands ist durch den Ölpreisdeckel, den die G7 Russland auferlegt hat, unmittelbar bedroht“, erklärt Robin Brooks vom Washington Thinktank Brookings Institution in der Doku. Dies sei für den Kreml „ein Riesenproblem“: „Die ganze russische Wirtschaft hätte kollabieren können. Und wenn du so einen Kollaps hast, ist es natürlich sehr schwierig, einen Krieg weiter fortzuführen.“

Roderich Kiesewetter fordert „eine härtere Gangart“ gegenüber Russland

Um die Kriegskasse füllen zu können, habe Russland in den vergangenen Jahren systematisch die Schattenflotte aufgebaut - in vielerlei Hinsicht ein erhebliches Risiko. Die veralteten Tanker transportieren nicht nur Öl, sondern beschädigen auch Infrastrukturen wie Stromleitungen und gefährden durch mögliche Havarien die Umwelt. Auch sicherheitspolitisch wird die Schattenflotte zunehmend zum Problem: Die Schiffe schalten oft ihr automatisches Identifikationssystem ab oder geben falsche Positionen an; zudem kommt es deutschen Marineeinheiten zufolge immer wieder zu Vorfällen wie elektronischen Störungen und Drohnenangriffen.

Zwar beobachtet eine internationale Ostseewache die rostige Flotte rund um die Uhr. Wirklicher Schutz sei dadurch jedoch nicht gewährleistet, mahnt CDU-Mann Roderich Kiesewetter: „Da diese Schiffe eine Gefahr für die Umwelt darstellen und von ihnen auch Spionagegefahren ausgehen, reicht es nicht, sie zu beobachten“, sagt der Außenpolitiker im Film. Er glaubt, „dass wir hier eine härtere Gangart brauchen“ - schließlich reagiere Russland „nur auf Härte“.

Wird ein Schattentanker auf die Sanktionsliste gesetzt, darf er keine westlichen Häfen mehr anlaufen und ist vom Zahlungsverkehr mit Euro - oder US-Dollar - ausgeschlossen. „Wenn amerikanische oder europäische Sanktionen auf ein Schiff auferlegt werden, dann bricht die Aktivität in diesem Schiff zusammen“, erläutert Wirtschaftswissenschaftler Robin Brooks. „Deshalb ist das Kalkül der Schattenflottenbesitzer: 'Lasst uns alte Schiffe kaufen, damit wir nicht so viel Geld verlieren, wenn das passiert.'“

Insider: Minimale Investitionen führen zu enormen Profiten

Der finanzielle Anreiz ist enorm. Ein anonymer Insider behauptet im Film, dass sich mit nur einem Schiff zwischen 30 und 40 Millionen Dollar pro Jahr verdienen ließen. Die meisten alten Tanker würden im Einkauf indes nur etwa zwölf Millionen Dollar kosten. „Meistens kaufen sie die billigsten Rosteimer. Sie nutzen sie ein paar Monate, für ein paar Fahrten, und hören wieder auf, damit sie im Schatten bleiben“, sagt er.

Mit dem Export von Öl und Gas hat Russland im vergangenen Jahr Schätzungen zufolge etwa 230 Milliarden Dollar verdient. Zu den wichtigsten Abnehmerländern zählen die Türkei und Indien. Dort wird das Öl zu Benzin oder Diesel verarbeitet. Ein „lokaler Kontakt“ spielt den ARD-Filmemachern Aufnahmen aus dem indischen Jamnagar zu. Dort, auf dem Gelände der größten Raffinerie der Welt, sind am Hafen die ankommenden Tanker aus Russland zu sehen. Auch sanktionierte Schiffe legen an.

Das Endprodukt landet schließlich in aller Welt - auch Deutschland. 2024 importierten westliche Staaten Ölprodukte im Wert von 18 Milliarden von indischen und türkischen Raffinerien. Gegen Sanktionen verstoße das nicht, heißt es im Film: Schließlich, so die Auffassung der Bundesregierung, sei aus Indien exportiertes Benzin „indisches Benzin“ - ungeachtet der Tatsache, dass das dafür verwendete Rohöl aus Russland stammt und somit den Krieg gegen die Ukraine mitfinanziert.

„Letzten Endes ist es eine Frage des politischen Willens“

Roderich Kiesewetter vermutet, dass Wirtschaftsinteressen härtere Sanktionen bislang verhindert haben. „Man versucht damit, Russland zu signalisieren, dass man nicht in jeder Gangart bei allen Sanktionen mitgeht, um möglicherweise nach einem Ende des Krieges rasch wieder Anknüpfungspunkte zu haben“, glaubt der CDU-Außenpolitiker. Er ist überzeugt: „Da spielen auch verdeckte politische Absichten eine eindeutige Rolle.“

Auch Robin Brooks kritisiert die westliche Zurückhaltung: „Wir haben die Mittel. Wir wissen genau, was wir hätten machen sollen - wir haben es aber nicht getan“, moniert der US-Experte. „Letzten Endes ist es eine Frage des politischen Willens. Wir hatten zu viel Angst vor den Konsequenzen. Wir hatten zu viel Angst vor kurzfristigem schlechteren Wirtschaftswachstum. Wir hatten zu viel Angst vor einem möglichen Anstieg der globalen Ölpreise, und deshalb haben wir Russland nicht in die Ecke getrieben, wie wir es hätten tun können.“

Brooks fordert, die Schattentanker gänzlich aus der Ostsee auszuschließen: „Das würde den Preis für Rohöl aus dem Ural senken und Russland in die Wirtschaftskrise schicken. Das Einzige, was es dafür braucht, ist Mut.“ (tsch)