Einst floh Sulaiman Tadmory aus Syrien. Jetzt ist der Bürgerkrieg vorbei, gleichzeitig werden anti-migrantische Stimmen in der deutschen Politik immer lauter. Der deutsch-syrische Journalist fragt sich in einer neuen ARD-Reportage: „Ist es Zeit zu gehen?“
Syrer konfrontiert CDU-Mann mit seinen Ängsten - die barsche Antwort macht ihn „kurz sprachlos“

Sulaiman Tadmory arbeitet als Journalist und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. (Bild: NDR)
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Sulaiman Tadmory floh vor zehn Jahren vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland. Er musste dort mit ansehen, wie ein Freund direkt neben ihm von einer Granate getötet wurde, er hungerte und wurde vertrieben. Heute arbeitet er als Journalist beim NDR. Auch Tadmorys Mutter lebt mittlerweile in Deutschland.
Seit dem Sturz Assads und dem Ende des Bürgerkriegs fragt er sich: „Was heißt das für uns Syrer hier in Deutschland?“ In der ARD-Dokumentation „Panorama: Zeit zu gehen? Deutschland, Syrien und Ich“ spricht Tadmory mit Landsleuten, die genau wie er vor dem Krieg flohen. Herrscht wirklich Frieden in ihrem Heimatland? Ist es Zeit, zurückzukehren?
Laut einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarktforschung aus dem Dezember 2024 wollen 66 Prozent der geflohenen Syrerinnen und Syrer dauerhaft in Deutschland bleiben, während 25 Prozent sich noch unsicher sind. Sechs Prozent wollen das Land wieder verlassen. Geht es nach Bundeskanzler Friedrich Merz und anderen politischen Stimmen, sind das längst nicht genug.

NDR-Journalist Sulaiman Tadmory floh aus Syrien. Mittlerweile hat er in Deutschland Wurzeln geschlagen. Soll er trotzdem zurückkehren? (Bild: NDR/Henning Wirtz picture alliance / imageBROKER | Schoening)
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„Besuchen: Ja, Dortbleiben: Nein“, sagt Studentin Leen über ihr Heimatland. Sie floh mit ihrer Familie nach Deutschland, als sie zwölf Jahre alt war. Sie kenne Syrien nicht genug, um dorthin zurückzukehren. Zwar sei die Entwicklung in der Politik „nicht die beste“, findet Leen, „aber ich kenne dieses Land gerade besser als mein eigenes Land“.
Joe Chialo reagiert verständnislos: „Was soll ich dazu jetzt sagen?“
„Nicht die beste“ politische Entwicklung - damit meint die Studentin den Aufstieg der AfD. Plötzlich werden Forderungen wie „Remigration“ nicht mehr in klandestinen Kreisen diskutiert, sondern in aller Öffentlichkeit eingebracht. Die Zustimmungsrate für die AfD macht dem NDR-Reporter Angst. Er spürt, „wie sich die Stimmung gegen uns alle wendet“.
Tadmory fragt Politikerinnen und Politiker der CDU/CSU am Abend der Bundestagswahl am 23. Februar ganz direkt: Soll er, der den deutschen Pass hat, arbeitet und integriert ist, gehen? Thorsten Frei (CDU) verweist lediglich auf den wegfallenden Fluchtgrund und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dorothee Bär (CSU) spricht davon, dass straffällige Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren sollen. Eine Antwort auf seine Frage bekommt der Journalist nicht.
Von CDU-Bundesvorstandsmitglied Joe Chialo will Tadmory wissen, ob er verstehen könne, dass ihm die politische Entwicklung Angst mache. Der Politiker reagiert schroff und abweisend: „Angst ist ein individuelles Gefühl, was soll ich dazu jetzt sagen? Ich habe keine Angst.“ Tadmory macht diese Antwort „kurz sprachlos“.
Deutschland verlassen? „Wenn alle Stricke reißen“

Mittlerweile lebt auch seine Mutter in Hamburg. Sie kann sich nicht vorstellen in das vom Bürgerkrieg zerstörte Syrien zurückzukehren. (Bild: NDR)
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In der Politik wird viel über Flüchtlinge gesprochen, die sich nicht integrieren wollen, die straffällig werden, die nicht arbeiten. Aber wie sieht die Realität aus? Laut Bundesagentur für Arbeite bezieht etwa die Hälfte aller Syrerinnen und Syrer in Deutschland Bürgergeld. 282.000 von ihnen könnten arbeiten, tun es aber aus verschiedenen Gründen nicht, etwa, weil sie die Sprache nicht sprechen. So geht es der Mutter des NDR-Reporters. Sie habe es versucht, erzählt sie, doch nach Krieg und Flucht ist sie traumatisiert. Ihr fehle die Kraft, erklärt sie ihrem Sohn.
Die anderen syrischen Bürgergeldempfänger sind 71.000 Aufstocker und 165.000 Kinder. Syrer wie Tadmory, die den deutschen Pass besitzen und arbeiten, tauchen in dieser Statistik nicht auf.
Einer, der ebenfalls nicht mitgezählt wurde, ist Maher. Er floh 2014, studierte Zahnmedizin und arbeitet heute an der Uni Münster. Maher ist mit einer Deutschen verlobt. Wird er nach Syrien zurückkehren? Maher möchte bleiben, denn Deutschland sei mittlerweile seine Heimat. Aber „wenn alle Stricke reißen sollten in Deutschland“, dann sei Syrien sein „Plan B“.
Kollegin weint um Syrer, der heimkehrt - dann sagt sie: „Ich bin AfDler“

Mohammad (rechts) verlässt Deutschland und kehrt nach Syrien zurück. Er will beim Wiederaufbau helfen. (Bild: NDR)
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Mohammed sieht es anders. Er floh 2015 und machte in Dortmund seinen Meister im Metallbau. Er will zurück nach Syrien. „Heimat ruft“, erklärt er Tadmory lächelnd. „Wir müssen aufbauen. Wenn wir alle hierbleiben, dann bleibt das Land so - 100 Jahre noch“, glaubt er. Angst, seine Entscheidung zu bereuen, habe er trotzdem.
Der NDR-Reporter begleitet ihn an seinem letzten Arbeitstag. „Ich bin richtig traurig, dass er geht“, sagt Tanja, eine Kollegin. Ihr kommen beim Abschied die Tränen. Gleichzeitig erklärt sie ganz offen: „Ich bin AfDler.“ Eine seltsame Situation, findet Tadmory.
„Wird es jemals ein Ende des Krieges für Syrien geben?“
Nach seiner Rückkehr meldet sich Mohammed bei dem NDR-Reporter. Es gehe ihm gut und er fühle sich sicher. Gerade renoviere er einen Laden in seiner Heimatstadt Aleppo. Dort will er eine Werkstatt eröffnen. Ist Syrien also wieder sicher?
Trotz des Bürgerkriegsendes kommt es immer wieder zu Konflikten im Land. „Es ist noch alles instabil“, erklärt auch der Zahnarzt Maher einige Zeit später. Er besuchte gerade Verwandte, als Israel das syrische Verteidigungsministerium in Damaskus bombardierte. Dabei wurde er selbst verletzt. „Es kommt alles wieder hoch, weil es fühlt sich wie damals an“, erzählt er. Eine Rückkehr sei für ihn erst mal keine Option mehr. Der Journalist fragt sich: „Wird es jemals ein Ende des Krieges für Syrien geben?“
„Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal alles hinter mir zu lassen“
Tadmory ist zwiegespalten. Da sei zum einen „die Sehnsucht nach zu Hause“, die er jahrelang unterdrückt habe, und der Wunsch, beim Aufbau des Landes und einer friedlichen Gesellschaft zu helfen. „Gleichzeitig baue ich mir seit zehn Jahren ein Leben in Deutschland auf - will ich das aufgeben?“, überlegt er bei einem Besuch seiner Heimatstadt in Syrien, kurz nach dem Sturz des Diktators.
Er will bleiben, beschließt er für sich. Nur falls seine Mutter abgeschoben werde, würde er nach Syrien zurückkehren. „Ich habe hier Wurzeln geschlagen und ich bin nicht bereit, ein zweites Mal alles hinter mir zu lassen.“
„Panorama: Zeit zu gehen? Deutschland, Syrien und Ich“ ist am Donnerstag, 7. August, 21.45 Uhr, im Ersten und bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen. (tsch)