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TV-Doku warnt vor „enormer“ Rechtsterror-Bedrohung„Wir sind an einem Wendepunkt“

3 min
Rechtsextreme und autoritäre Einstellungen werden immer stärker, wie sich auch in den USA beobachten lässt - etwa beim Sturm auf das US-Kapitol in Washington 2021.  (Bild: Ventana Film)

Rechtsextreme und autoritäre Einstellungen werden immer stärker, wie sich auch in den USA beobachten lässt - etwa beim Sturm auf das US-Kapitol in Washington 2021. (Bild: Ventana Film)

Droht ein „Terrorismusproblem enormen Ausmaßes“? Das jedenfalls legt eine mitunter schockierende ARTE-Doku über rechtsextremistischen Terror nahe. Zudem thematisiert der Dreiteiler die Passivität von Social-Media-Diensten und Verfehlungen von Behörden.

Payton Gendron. Anders Breivik. Brenton Tarrant. Diese Namen stehen für Terror, rechtsextremistische Ideologie - und blutige Anschläge, die Dutzenden Unschuldigen das Leben kosteten. Die Täter einte nicht nur die Vorstellung einer weißen Vorherrschaft, sie alle waren auch Teil eines weltumspannenden Netzwerks von rechter Gewalt.

Wenn Rechtsextreme ganze Familien zerstören: Garnell Whitfield ist Sohn eines der Opfer des rechtsextremistischen Anschlags von Buffalo 2022. (Bild: Ventana Film)

Wenn Rechtsextreme ganze Familien zerstören: Garnell Whitfield ist Sohn eines der Opfer des rechtsextremistischen Anschlags von Buffalo 2022. (Bild: Ventana Film)

Die dreiteilige ARTE-Doku „World White Hate“ (Dienstag, 8. Juli, 20.15 Uhr) wirft einen bestürzenden Blick hinter das Ausmaß einer sich zunehmend radikalisierenden Hassspirale.

Wie ein „Krebsgeschwür“ breite sich die „Ideologie der weißen Vorherrschaft“ aus, beschreibt es Garnell Whitfield. Die Mutter des US-Amerikaners wurde von einem weißen Rassisten in einer Kirche erschossen. „Wir sind an einem Wendepunkt, das ist ein Krieg, Sie haben ihre Waffen gezückt und ihre Kapuzen abgenommen. Sie scheuen das Tageslicht nicht mehr.“

Forscher befürchtet „Terrorismusproblem enormen Ausmaßes“

Wie tickt die extreme Rechte? Einblicke liefern Protagonisten wie Kelvin Pierce, der Sohn des rechtsextremen Vordenkers William Pierce, dem Autor der „Turner Tagebücher“. (Bild: Ventana Film)

Wie tickt die extreme Rechte? Einblicke liefern Protagonisten wie Kelvin Pierce, der Sohn des rechtsextremen Vordenkers William Pierce, dem Autor der „Turner Tagebücher“. (Bild: Ventana Film)

Ehe die Täter - und das rund um den Globus - aus dem Schatten treten, haben sie sich vielfach im Netz radikalisiert, wie die Doku von Dirk Laabs zeigt. Die Radikalen inspirieren sich gegenseitig, putschen sich mittels Manifesten hoch und schicken ihre Taten aus Ego-Shooter-Perspektive gefilmt per Live-Stream um die Welt. Omar Haijawi-Pirchner, Leiter Staatsschutz und Nachrichtendienst Österreich, bestätigt nicht nur den „weltweiten Austausch“, sondern warnt auch: „Wir haben Zehn-, Elfjährige, die sich im Internet radikalisieren.“

Auch Terrorismusforscher Matthew Feldman weiß: „Es ist kein nationales Problem, es ist global.“ Gleichzeitig klagt er an: „Die Big-Tech-Unternehmen ignorieren das Problem völlig.“ Bereits nach fünfsekündiger Recherche sei es ihm und seinem Team gelungen, „verbotenes, terroristisches Material anzusehen“. Es handele sich um eine „riesige Untergrundbewegung“, pflichtet Feldman dem Terrorismusforscher Jacob Ware bei. Er prognostiziert, viele der in den USA ansässigen Gewaltbereiten würden handeln, „wenn der Anführer es befiehlt. Und für sie ist der Anführer Trump.“ Ein „Terrorismusproblem enormen Ausmaßes“ könne im schlimmsten Fall folgen: „Sie wollen das Ganze niederbrennen und auf den Ruinen ein faschistisches Reich errichten.“

Radikalisierte Soldaten zurück in der Heimat: „Alles, was sie wollen, ist noch mehr Krieg“

Veteran Kristofer Goldsmith hat die rechtsradikale Szene in den USA im Blick und analysiert, wie sie funktioniert. (Bild: Ventana Film)

Veteran Kristofer Goldsmith hat die rechtsradikale Szene in den USA im Blick und analysiert, wie sie funktioniert. (Bild: Ventana Film)

Ex-Veteranen bei Sturm auf Kapitol, Umsturzfantasien deutscher Ex-Soldaten, Nazis im Ukraine-Krieg: Der dreiteilige Film offenbart zudem auf drastische Weise, wie sich Soldaten radikalisieren - und anschließend zurück in der Heimat, oft traumatisiert, ihre eigenen „Missionen“ starten oder sich von rechtsterroristischen Gewaltzellen mobilisieren lassen. „Diese Leute sind wie die apokalyptischen Reiter: Alles, was sie wollen, ist noch mehr Krieg“, schildert der Journalist Leonid Ragozin die Gesinnung von besonders hartgesottenen Vertretern solcher Gruppierungen.

Im Ukraine-Krieg würden bekennende Nazis auf beiden Seiten sogar kooperieren - „über die Frontlinie hinweg“. Ragozin weiß: „Der Unterschied war immer, wo die Hauptstadt in ihrem vierten Reich sein sollte, in Moskau oder in Kiew. Bei allem anderen waren sie sich einig.“ Sie eine der Hass auf Migranten, dazu „propagieren sie extreme Gewalt und Sadismus“, beschreibt der Journalist. Besonders gefährlich: Die Köpfe der Zellen seien keineswegs tumbe Parolenbrüller, sondern Strategen mit einem großen Ziel vor Augen: „Diese Bewegung will alle Weißen von Nordamerika über Europa bis Australien vereinen.“

Ranghoher spanischer General zeigt SS-Grüße - und wird befördert

Behörden wie Regierungen scheinen die Dringlichkeit der Lage aber noch nicht verinnerlicht zu haben. Das legt zumindest ein brisanter Fall aus Spanien nahe. Journalist Carlos Enrique Bayo recherchierte im Fall des Neonazi-Hauptmanns Antonio Meroño Jiménez. Dieser zeigte bei öffentlichen Paraden ungeniert SS-Grüße und prahlte mit einem echten Eisernen Kreuz der Wehrmacht. Doch ungeachtet von 100 Seiten Recherchen, die Bayo an die spanische Verteidigungsministerin, an EU-Abgeordnete und Abgesandte der Nato schickte, folgte keine Reaktion.

Im Gegenteil: Jiménez wurde sogar befördert - zu einem ranghohen Ausbilder von spanischen und NATO-Offizieren und zum Leiter des Nachrichtendienstes. „Er hat Zugang zu allem Möglichen und kann anderen Zugang zu geheimen NATO-Dokumenten geben“, so Journalist Bayo. Doch bei den offiziellen Stellen stünden die Zeichen auf „Beschwichtigung“. Selbst geleakte Pläne über eine Machtübernahme und Bombardierung des katalanischen Parlaments aus einer rechtsradikalen Chatgruppe mit Nähe zu Jiménez führte zu keinem entschiedenen Einschreiten. (tsch)