Eine ARD-Reportage zeigt auf, warum so viele Geflüchtete aus den Maghreb-Staaten straffällig werden. Der Bremer Innensenator warnt im Film vor der „Hölle auf Erden“ für alle Ausländer in seiner Stadt.
„Vernünftig leben - hat nicht geklappt“In ARD-Doku sprechen Mitglieder der Bremer Straßengangs

ARD-Journalist János Kereszti sprach für seine „Y-Kollektiv“-Reportage mit Mitgliedern einer Bremer Jugendgang. (Bild: ARD / Radio Bremen)
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Die Hansestadt Bremen, so war es unlängst zu lesen, ist deutscher Spitzenreiter. Eine Auszeichnung ist das aber nicht. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2024 im Stadtstaat 89.000 Straftaten registriert, davon auffällig viele Raubdelikte. Im Durchschnitt ereigneten sich vergangenes Jahr zwei Überfälle pro Tag. Heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl gibt es in Deutschland keine gefährlichere Stadt.
Bremen wirke nachts in einigen Vierteln „wie Gotham City“, sagt der ARD-Journalist János Kereszti in seiner neuen Reportage „Y-Kollektiv: Jung, Kriminell, chancenlos?“. Ein Jahr lang begleitete er eine Jugendgang, bestehend aus nordafrikanischen Geflüchteten. Und er sprach mit jenen, die bemüht sind, die Problemlage in den Griff zu kriegen.
„Sie kennen keine festen Strukturen“, sagt vor der Kamera eine Anwältin. „Dann werden sie in feste Strukturen gedrückt, ohne dass man ihnen das erklärt.“ Gerade vertritt sie den Intensivstraftäter Mohamed, der als Teenager mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer kam. Sollte er schuldig gesprochen werden wegen räuberischen Diebstahls, drohen dem 21-jährigen Marokkaner bis zu drei Jahre Haft. Im Falle seines Freispruchs ist die Perspektive kaum besser: „Ich weiß, wenn der draußen ist, sehe ich den in sechs Monaten wieder“, sagt seine Anwältin.
„Man fühlt sich frei - keine Kontrolle“

Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer warnt: „Wenn man diese Entwicklung nicht stoppt, haben wir nicht mehr 1.000 Raubüberfälle, sondern 2.000. Was denken Sie, was in dieser Stadt dann los ist?“ (Bild: ARD / Radio Bremen)
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Mohameds Freunde aus der Gang trifft János Kereszti nach dem Fußballtraining. Um den Reporter hat sich eine Gruppe junger Männer aus dem Maghreb versammelt. Sie alle sind im jungen Teenageralter unbegleitet und ohne Papiere nach Europa gekommen. „Man fühlt sich frei - keine Kontrolle“, beschreibt einer das Lebensgefühl. „Dann macht man Sch...e und so. Und wenn du deine Freunde auf der Straße triffst, die motivieren dich zu schlechten Sachen.“
Einer war zuerst in Belgien und den Niederlanden. Dort sei es langweilig gewesen. Dann habe er sich „informiert“. In Deutschland bekomme man leichter Chancen als in anderen Ländern. „Du musst einfach dein Deutsch-Diplom bekommen.“
Dass es ganz so einfach und ohne eigenes Zutun nicht geht, hat auch Sino erfahren. „Ich wollte gerne einen Job haben, vernünftig leben - hat nicht geklappt“, erklärt der 23-Jährige, der 2020 aus Marokko kam. Deswegen sei er einen anderen Weg gegangen: „Klauen, klauen, klauen.“ Wie fast alle der jungen Intensivstraftäter mit Fluchterfahrung nimmt er Drogen. Nur so schaffe er es, Leute „abzuzocken“. Sino ist in Deutschland geduldet. Nach drei Gefängnisaufenthalten müsste er müsste eigentlich ausreisen. Dazu fehlen aber die nötigen Papiere aus der Heimat.
Bremer Innensenator: „Dann haben alle Ausländer hier die Hölle auf Erden“

In der Gegend um den Bremer Hauptbahnhof halten sich besonders viele Gang-Mitglieder auf. (Bild: iStock / J2R)
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Als der ARD-Reporter die Filmaufnahmen dem Bremer Innensenator Ulrich Mäurer vorspielt, holt der SPD-Politiker tief Luft. „Das ist ja nur einer von vielen“, sagt er sichtlich gequält. Was einer wie Sino für eine Perspektive in Deutschland hat? „Keine“, kommt die Antwort vom Senator mit dem Law-and-order-Ruf. Die Rechtslage sei eindeutig. „Wir würden ihn in seine Heimat zurückführen, wenn wir die Möglichkeit hätten.“ Tatsächlich schafft es Bremen gerade mal, zwei Prozent aller Ausreisepflichtigen abzuschieben.
Die Folgen beschreibt Mäurer mit drastischen Worten: „Wenn sie täglich drei Raubüberfälle haben, das ist polizeilich gar nicht mehr abzuarbeiten.“ Täter zu überführen, gelinge fast nur durch verdeckte Maßnahmen. Es entstehe „ein riesiger polizeilicher Aufwand“ dafür, dass man einen Täter für ein, zwei Jahre aus dem Verkehr zieht, „danach ist er wieder da“. Der Innensenator warnt: „Wenn man diese Entwicklung nicht stoppt, haben wir nicht mehr 1.000 Raubüberfälle, sondern 2.000. Was denken Sie, was in dieser Stadt dann los ist? Dann haben alle Ausländer, die hier integriert sind, die Hölle auf Erden.“
Immerhin: Die Bremer Kripo-Chefin ist überzeugt, dass der harte Kurs gegen Gewalttäter erste Früchte trägt. Nach einem Rekordmonat mit 171 Straftaten habe ein Umdenken eingesetzt. Seither gibt es die Soko „Junge Räuber“, die auf das Täterprofil „jung, in Gruppen organisiert und aus dem Maghreb“ angesetzt ist. Deren Motto „Deutschland lohnt sich“ habe man erfolgreich durchbrechen können. 2024 wurde mehr als jeder zweite Fall aufgeklärt, 70 Haftbefehle wurden ausgestellt.
Das verlagert den Druck naturgemäß auf die JVA, wo sich „diese Männer sehr gewalttätig verhalten, sehr widerständig oft sind und mangelnde Perspektiven haben“, wie die Justiz-Pressesprecherin im Interview erläutert. Psychologinnen würden sagen: „Ich finde keinen Ansatzpunkt, mit diesen jungen Männern überhaupt Themen zu bearbeiten.“ Niemand wolle Ressentiments gegen Menschen einer bestimmten Herkunft schüren. Aber die Täter würden eben in ihrer Biografie „ein Päckchen, eher ein Paket mitbringen, das es so schwierig macht“.
Nach Freispruch vor Gericht: Intensivstraftäter „will jetzt aufwachen“
Dass Law and Order bei dieser Problemlage zu kurz greift, davon ist Nicole Britzke von der ambulanten Suchthilfe überzeugt. Sie vermittelt unter anderem Deutschkurse, um Intensivtäter aus der Kriminalität zu holen. „Wenn ich denke, es gibt Perspektiven, passe ich auf, dass ich nicht andauernd in Kontakt mit der Polizei komme“, erläutert Britkze den Ansatz. „Dann gibt es auch einen Sinn, den Suchtmittelkonsum herunterzuschrauben.“
Am Ende des Films begleitet Reporter Kereszti den Marokkaner Mohamed zur Urteilsverkündung. Es steht seine Aussage gegen die des Opfers. Mohamed bekommt zwei Jahre und drei Monate Haft - wird im Berufungsverfahren ein halbes Jahr später jedoch freigesprochen. „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Für jeden Tag U-Haft gibt es 75 Euro Entschädigung, 20.000 Euro im Ganzen. Das Geld will er seiner Mutter nach Marokko schicken.
Den Freispruch feiert Mohamed mit seinen Gang-Freunden bekifft und betrunken in der Bremer Nacht - allerdings mit besten Absichten für die Zukunft: „Ich war ganz unten. Ich will jetzt aufwachen.“ (tsch)