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„Wenn ich nach 2015 zurückgehe ...“Merkel gesteht im Gespräch mit Geflüchteten, was sie jetzt ändern würde

Lesezeit 4 Minuten
Angela Merkel hat sich in einem syrischen Restaurant in Berlin mit fünf Geflüchteten getroffen, deren Leben sie mit ihrer Politik vor zehn Jahren maßgeblich beeinflusst hat. (Bild: WDR/Mirko Polo)

Angela Merkel hat sich in einem syrischen Restaurant in Berlin mit fünf Geflüchteten getroffen, deren Leben sie mit ihrer Politik vor zehn Jahren maßgeblich beeinflusst hat. (Bild: WDR/Mirko Polo)

Angela Merkel hat in der WDR-Doku „10 Jahre danach: Geflüchtete im Gespräch mit Angela Merkel“ erstmals mit fünf Geflüchteten öffentlich über ihre damalige, aber auch die aktuelle Einwanderungspolitik von Friedrich Merz gesprochen. Dabei muss die Ex-Bundeskanzlerin die ein oder andere Kritik einstecken - teilt aber auch selbst aus.

Im Sommer 2015 flüchteten fast eine Million Menschen nach Deutschland. Zehn Jahre später trifft sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals mit fünf von ihnen in einem syrischen Restaurant in Berlin. In der WDR-Doku „10 Jahre danach: Geflüchtete im Gespräch mit Angela Merkel“ erfährt die CDU-Politikerin offen und auf Augenhöhe, wie sie das Leben der Geflüchteten mit ihrer Entscheidung geprägt hat. Dabei äußert sich die 70-Jährige auch zur aktuellen Flüchtlingspolitik unter der Regierung von Friedrich Merz - und spricht eine klare Kritik aus.

„Wir sprechen zwar sehr oft über Menschen, die zu uns kamen, aber vielleicht nicht oft genug mit Menschen, die zu uns kamen“, erklärt Angela Merkel, warum sie dem WDR exklusiv für dieses erste öffentliche Gespräch mit fünf Geflüchteten zugesagt hat. Die Protagonisten sind damals aus Syrien, dem Iran und Afghanistan gekommen und zeigen sich in der Doku glücklich darüber, in Deutschland ihre Heimat gefunden zu haben. Allerdings hatten sie es nach ihrer Ankunft alles andere als leicht und haben mit der ehemaligen Bundeskanzlerin auch durchaus noch das ein oder andere Hühnchen zu rupfen.

Geflüchtete über Ankunft in Deutschland: „Das war für uns schockierend“

Narges, die vor neun Jahren im Alter von 14 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam, kritisiert beispielsweise die Unterkunft im Flughafen Tempelhof in Berlin, wo sie mit ihrer Familie für anderthalb Jahre nach ihrer Ankunft gelebt hat. „Man denkt, man kommt in Deutschland an als Zentrum von Europa, aber irgendwie landet man in einem Flughafen und das war für uns schockierend. Für mich vor allem“, berichtet die junge Frau in dem WDR-Film und stellt klar, dass sie keinerlei Privatsphäre hatte. „Da fühlt man sich gar nicht angekommen.“ Erst nach sieben Jahren habe sie mit ihrer Familie eine eigene Unterkunft gehabt.

„Das ist natürlich eine schwierige Situation: Einerseits gibt es Menschen, die sind aus einer Notsituation zu uns gekommen und wenn wir jetzt an der Grenze sagen würden, aber wir haben erst mal die Wohnungen abgezählt und haben nun keine und deshalb lassen wir niemanden rein, das können wir auch nicht machen“, erklärt Angela Merkel die Schwierigkeit und fügt an: „Dann sind sehr viele gekommen, aber darauf waren wir auch in dem Sinne nicht vorbereitet.“ Dass Narges trotz dieser schwierigen Umstände ihr Abitur geschafft hat, beeindrucke die Politikerin.

Akram ist aus Syrien geflüchtet und hatte aufgrund des dort herrschenden Krieges ein starkes Trauma. So hätte er selbst noch in Deutschland automatisch Panik bekommen, wenn ein Flugzeug am Himmel zu hören war, erzählt Akram. Diesbezüglich habe es zwar Hilfe gegeben, „aber zu spät, also wirklich zu spät“, wird er deutlich. „Wir haben in vielen Hinsichten vieles geschafft, nur in dieser Hinsicht haben wir das bis heute nicht wirklich geschafft“, meint er weiter. Das sieht Merkel ganz genauso. Das Problem sei in dem Fall das mangelnde medizinische Personal, „das können wir auch nicht aus dem Boden stampfen“, gibt sie zu verstehen: „Das ist schwierig.“

„Bin ich anderer Meinung“: Angela Merkel distanziert sich von Zurückweisungspolitik unter Friedrich Merz

Joud aus Syrien möchte von der Ex-Bundeskanzlerin wissen, ob sie erneut ihren berühmten Satz „Wir schaffen das!“ sagen und die Entscheidung zur Flüchtlingsaufnahme so treffen würde, wenn sie jetzt zurück ins Jahr 2015 kehren würde. „Wenn ich jetzt nach 2015 zurückgehe, dann würde ich die Entscheidung in der Situation, wie sie damals war, so treffen. Wenn ich nach 2013 zurückgehe, würde ich alles tun, mehr für die Unterstützung von Flüchtlingslagern im Libanon zu geben. [...] Dann würde ich an der Stelle mehr machen“, antwortet Merkel ehrlich.

Von der Flüchtlingspolitik der aktuellen von ihrer Partei geführten Regierung distanziert sich die CDU-Politikerin wiederum in einem Punkt: „Wo ich anderer Meinung bin: Wenn jemand an der deutschen Grenze 'Asyl' sagt, dann muss er erst mal ein Verfahren bekommen. Meinetwegen direkt an der Grenze, aber ein Verfahren“, kritisiert Merkel die derzeitige Zurückweisungspraxis unter Bundeskanzler Friedrich Merz.

Dass illegale Migration allerdings begrenzt werden müsse und kriminell auffällige Personen in ihr Heimatland zurückgeschickt werden sollten, sieht Merkel genauso, betont jedoch auch: „Was mich unterscheidet, ist, dass ich der Meinung bin, wir müssen das Ganze europäisch denken. Wir haben eine Freizügigkeit in Europa, wir müssen unsere Außengrenzen schützen.“

Angesprochen auf die AfD verweist Angela Merkel auf die elf Prozent, welche die kontroverse Partei noch bei ihrem Amtsaustritt innehatte und die sich inzwischen verdoppelt haben. „Das besorgt mich“, gibt sie zu, findet aber auch, dass nicht immer nur über die AfD gesprochen werden könne. Wenn über die Sorgen der Menschen gesprochen wird, „die jetzt sagen, es sind zu viele gekommen, dann muss ich auch über die Sorgen der anderen in Deutschland sprechen, die zum Beispiel den Flüchtlingen geholfen haben, die eine andere Einstellung zu Menschen in Not haben“, so Merkel.

Die komplette WDR-Doku „10 Jahre danach: Geflüchtete im Gespräch mit Angela Merkel“ ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen. (tsch)