ReportageDer Schwindler mit der Stola

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Köln – Benediktiner sind gastfreundliche Leute – das hat ihnen schon ihr Ordensgründer ins Stammbuch geschrieben. „Unsere Gemeinschaft freut sich“, verkündet denn auch das Heidelberger Stift Neuburg auf seiner Webseite, „immer über Gäste, die im Kloster nie fehlen (Benediktus-Regel)“. Ob der Mann Mitte 60 im dunklen Mantel mit einem markanten weißen Spitzbart, der jüngst vor der Klosterpforte stand, diese freundliche Einladung kannte, ist nicht überliefert. Jedenfalls wurde er problemlos eingelassen.

„Wir erwarteten an diesem Abend einen Pater aus Einsiedeln“, erzählt Tage später Abt Franziskus Heereman van Zuydtwyck. Dem Neuankömmling ging es aber weder um Exerzitien noch um geistliche Gespräche. Er war sich sicher, dass der Abt ihn nicht einfach wegschicken würde, schließlich kennen sich die beiden seit langem. Trotzdem staunte van Zuydtwyck nicht schlecht über den ungebetenen Gast, der aus zahlreichen Besuchen in den vergangenen 30 Jahren wusste, dass die legendäre Gastfreundschaft des Ordens ausdrücklich auch Sünder einschließt. Der Abt hatte schon gehört, dass ein „66-jähriger Rentner ohne festen Wohnsitz, der sich als Erzbischof von Sao Paulo ausgibt“, seit Wochen in Süddeutschland sein Unwesen treibt. „Ich hatte früher oder später mit ihm gerechnet. Wir liegen ja quasi auf seiner Einflugschneise.“

Übernachtung erschlichen

Er wurde in wallendem weißen Gewand und mit roter Stola im Würzburger Kiliansdom gesichtet, erschlich sich eine Übernachtung beim Stadtpfarrer m oberbayerischen Weilheim. In Eberbach im Rheingau „mischte er“, wie der Hessische Rundfunk etwas übertrieben meldete, „das ehemalige Kloster auf“, als seinetwegen Dreharbeiten in der Basilika unterbrochen wurden. In Frankfurt war der seltsame Unbekannte schon im Dezember aufgefallen, als er bei einer Besichtigung des ehemaligen Dominikanerklosters eine alte Bibel eingesteckt hatte. Zuvor war der Mann bei der katholischen Flughafenseelsorge gestrandet. Bevor er vorübergehend im Stift Neuburg Zuflucht suchte, hatte er in einem Heidelberger Seniorenheim wegen Schmerzen in der Brust um ärztlichen Beistand gebeten. Man entließ den wundersamen brasilianischen Gottesmann ohne Diagnose, aber mit dem Gefühl, einem Schwindler Erste Hilfe geleistet zu haben.

Abt Franziskus jedoch kann der Gast nichts vormachen. „Ich kenne Wolfgang Sch. seit einer halben Ewigkeit“, erzählt er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mitte der 80er Jahre war er Gastpater in Mariawald in der Eifel, „und Herr Sch. nahm eine Weile an unserem Klosterleben teil“. Danach hatte man sich aus den Augen verloren – bis Sch. eines Abends an der Pforte eines französischen Trappistinnen-Klosters anklopfte, in dem Heereman van Zuidtwyck Exerzitien leitete. Sch. war mit seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern nach Südfrankreich unterwegs und hatte eine Autopanne. Der Abt hält es für durchaus möglich, dass Sch. damals eine Lehrtätigkeit in Montpellier ausgeübt hat. Dagegen bezweifelt er, dass der mehrsprachige und klassisch gebildete Mann geweihter Priester ist. Aber er habe vermutlich Kloster-Erfahrung. Überall, wo er auftaucht, brilliert er mit solidem theologischem und historischem Wissen – und auch mit intimen Kenntnissen über Vorgänge in der katholischen Kirche. Als Abt Franziskus ihn jetzt mit den jüngsten Eskapaden konfrontiert, antwortet Sch. nur lakonisch: „Sie sind halt Internet-gläubig.“ Zerstreut oder verwirrt habe der fromme Hochstapler nicht auf ihn gewirkt. „Für mich ist er ein Fantast, der an seine Rolle glaubt und sich nicht der bösen Wirklichkeit stellen mag.“

Wer ist dieser Mann, der im November von der Polizei in Sao Paulo festgenommen worden war, nachdem er in Kirchen und Klöstern immer wieder Messen zelebriert, die Beichte gehört und als „Kardinal von Hohenzollern“ aufgetreten war, sich aber nicht ausweisen konnte? Allemal eine schillernde Figur mit einer bizarr anmutenden Lebensgeschichte, von der große Teile vermutlich frei erfunden sind oder sich zumindest einer objektiven Überprüfung entziehen. Eine Geschichte, die aber nicht komplett seiner Fantasie oder seinem Wunschdenken entsprechen muss, weil es im biografischen Puzzle immer wieder Versatzstücke gibt, die der Wahrheit entsprechen könnten.

Fiktion und Wirklichkeit sind bei Padre André von Hohenzollern-Sigmaringen – so meldet er sich im Juli 2011 erstmals per E-Mail aus dem nordostbrasilianischen Salvador de Bahia beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ – schwer auseinanderzuhalten. Offenbar möchte er zu mir als ehemaligem DDR-Korrespondenten der Zeitung Kontakt aufnehmen, weil er einen tragischen Teil seiner Vita – drei Jahre als politischer Häftling in Bautzen – publik machen möchte. Die Fülle an schwer bis gar nicht überprüfbaren Fakten ist groß, und sowohl seine angebliche Herkunft aus dem Hochadel als auch seine Behauptung, er sei im Auftrag des vatikanischen Geheimdienstes mit falschem Pass an der „ungesetzlichen Ausreise“ eines Mönchs aus der DDR beteiligt gewesen, machen stutzig.

Nachforschungen ergebnislos

Allerdings klingen die geschilderten Umstände seiner Festnahme Ende der 70er-Jahre in einem Thüringer Pfarrhaus äußerst präzise, konkret und deswegen glaubwürdig. Ehemalige Bürgerrechtler, die sich mit der unseligen Kooperation zwischen Kirche und Stasi in dieser Zeit auskennen, halten die Geschichte für durchaus vorstellbar. Im Pfarrhaus von Siemerode mit dem Fall konfrontiert, kann sich der heutige Pastor Josef Beykirch „beim besten Willen“ nicht erinnern, von so einem Vorkommnis je gehört zu haben, desgleichen die damaligen Vorgesetzten. Nachforschungen bei der Gedenkstätte Bautzen und beim Bundesarchiv bleiben ergebnislos. Denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich sei, dass der angebliche Häftling unter einem Decknamen geführt wurde.

Die Vereinigung der deutschen Adelsverbände hat keinen Andreas von Hohenzollern – mit oder ohne Sigmaringen – verzeichnet. Ist er, was Experten nicht ganz ausschließen, womöglich ein ausgestoßener und enterbter Blaublütiger aus einer in Ungnade gefallenen Seitenlinie? Was er über wirtschaftliche Hintergründe seiner „buckeligen Verwandtschaft“ berichtet, könne nach Einschätzung von Kennern des Hauses Hohenzollern nicht bloß aus dem Internet zusammengeklaubt sein. Einige Details klingen nach Insider-Wissen. Überprüfen lassen sie sich freilich nicht – das Finanzamt Sigmaringen verschanzt sich ebenso wie das Erzbistum Freiburg hinter dem Steuergeheimnis.

Zahlreiche Mails gehen im Lauf von gut drei Jahren zwischen Köln und Salvador de Bahia und später Sao Paulo hin und her. Eine Weile arbeitet der vermeintliche Alt-Erzbischof, der sich irgendwann nur noch schlicht mit „A.v.H.“ oder „Andreas“ nennt, als Aushilfe im Hotel eines Deutschen und hält sich mit privatem Sprachunterricht über Wasser. Bei unseren gelegentlichen Telefonaten wirkt der Mann, der sich vom brasilianischen Klerus“ verfolgt sieht, liebenswürdig, manchmal niedergeschlagen bis verzweifelt, aber nie neben der Spur. Seine Ausdrucksweise ist gewählt, seine kirchliche Terminologie perfekt.

Konfrontiert mit Zweifeln an vielen seiner Behauptungen, erklärt er sich bereit, Geistliche zu benennen, die ihn kennen und seine Angaben bestätigen können. Als Referenz gibt er zum Beispiel den früheren Limburger Bischof Franz Kamphaus an. Doch der kann zu seinem Bedauern mit dem Namen nichts anfangen. Thomas Denter, zuletzt Interims-Abt des Zisterzienser-Klosters Himmerod in der Eifel, hat immerhin flüchtige Erinnerungen. Einzig Schwester Benedicta Waurick, damals Äbtissin des Klosters Marienstern in der Oberlausitz, sind Besuche eines sonderbaren Geistlichen zu tiefsten DDR-Zeiten in Erinnerung. „Er stellte sich“, erzählt sie, „als Kaiserliche Hoheit vor.“

Im Herbst 2012 schickt er die Bescheinigung der Polizeibehörde von Salvador de Bahia über den Verlust seiner Papiere auf den Namen André von Hohenzollern, geboren in Auckland (Neuseeland) und über seinen Status als „sacerdote“, Geistlicher. Die Stempel sind eindrucksvoll, das Dokument ganz offenkundig echt, die Beweiskraft allerdings eingeschränkt. Irgendwann berichtet Dom André mir, er habe in den 90er Jahren eine unerlaubte Liebesbeziehung gehabt und sei Vater geworden. Der behauptete Deal mit dem Vatikan über eine wechselseitige Schweigeverpflichtung ist freilich ebenso abstrus wie die Darstellung, vor seinem Wechsel nach Brasilien sei er Erzbischof von Wellington gewesen.

Zur Sicherheit Nachfrage bei der neuseeländischen Bischofskonferenz. Eine freundliche Dame von der Bistumsverwaltung in Wellington teilt mit, niemand in der überschaubaren katholischen Kirche ihres Landes kenne einen Würdenträger dieses Namens. Nach solchen negativen Recherche-Ergebnissen wittert Padre André jedes Mal ein Komplott der römischen Amtskirche. Immer häufiger klagt er in seinen Mails, er wisse nicht mehr weiter. Er lebe von Essensresten aus dem Abfall, lasse Kleinigkeiten aus Supermärkten mitgehen und sei durch viele Jahre, die er, mit Unterbrechungen, auf der Straße gelebt hat, gesundheitlich ein Wrack.

„Hochstapler, aber kein Krimineller“

Einer, der lange zu ihm gehalten hat, ist der aus Oberösterreich stammende Alt-Abt des brasilianischen Klosters Jequitiba, Meinrad Schröger. Es ist eine Mischung aus Interesse an dem ungewöhnlichen Mitbruder und aus Sorge, dass er ihn monatelang in seine Kommunität aufnimmt. „Mit der Zeit wuchsen die Zweifel“, berichtet er am Telefon. „Der Wolfgang Schuler ist vielleicht ein Hochstapler, aber kein übler Krimineller.“

Wolfgang Schuler – diesen Namen hat er trotz einer gewissen Vertrautheit über die lange Zeit unseres Kontakts nie gebraucht. Von 2013 an benutzt er für seine E-Mail-Adresse allerdings überraschend einen anderen Namen – den eines gestorbenen deutschen Zahnarztes aus Salvador de Bahia. Eine „pure Schutzmaßnahme“, nichts weiter, lautet seine Erklärung.

Der Mann brauche dringend psychiatrische Hilfe, sagt ein evangelischer Pfarrer aus Sao Paulo, der ihn gut kennt. Sch. sei „hochgradig schizophren“, und er leide unter Verfolgungswahn. Ein paarmal ist der falsche Kardinal in Deutschland inzwischen beim Schwarzfahren erwischt worden, und es wird wegen Titelmissbrauchs ermittelt. Der Stiftung Eberbach hat er mitgeteilt, er wolle das 1803 säkularisierte Kloster zurückkaufen und wieder mit Zisterzienser-Mönchen besiedeln.

Gebotene Kaufsumme: 500 Millionen Euro. Der handgeschriebene Brief ist mit „Wolfgang Kardinal Schuler“ unterzeichnet.

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