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Hitze anno 1540Der Sommer, der sich in die Geschichte brannte

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2014 gab es eine große Debatte darüber, ob 2003 den Rekord innehabe oder nicht doch 1540.

Berlin – Seit Mai heißt es: „Heiß, heißer am heißesten“. Ein Hitzerekord jagt den nächsten. „Wenn das der Klimawandel ist, verbringe ich ihn im Freibad“, sagen die einen. Die anderen rufen nach dem Staat, der ihre Ernteausfälle kompensieren soll. Wir suhlen uns in der Katastrophe. Wer noch nicht seinen Verstand an Herrn Alzheimer abgegeben hat, der erinnert sich an die Hitzewelle 2003. 2014 gab es eine große Debatte darüber, ob 2003 den Rekord innehabe oder nicht doch 1540.

Eine umfangreiche Studie war zu dem Schluss gelangt, dass in diesem Jahr, mitten in der kleinen Eiszeit, die uns aus den Winterbildern der niederländischen Malerei entgegentritt, Mitteleuropa von einer monatelangen Dürre- und Hitzeperiode erfasst worden war. Mehr als 300 Quellen waren von einer von der Universität Bern aus geleiteten Forschergruppe ausgewertet worden. Eine schwierige Arbeit. Thermometer, die den Namen verdienten, gab es noch nicht. In manchen Chroniken wird erwähnt, dass man jetzt schon Monate auf Regen warte. In Brandenburg zum Beispiel soll es 1540 sechsundzwanzig Wochen keinen Niederschlag gegeben haben.

Wie verlässlich sind solche Sätze? Wie sah es in Berlin aus? Über das Wetter weiß man wenig. Im März 1540 wurde auf dem Rabenstein, der Berliner Richtstätte vor den Toren der Stadt, also dort wo heute der Strausberger Platz ist, Hans Kohlhase zusammen mit seinen Freunden Georg Nagelschmidt und Thomas Meißner zu Tode gerädert. Der um 1500 in der Gegend des märkischen Müncheberg geborene Kohlhase handelte mit Honig, Heringen und Speck. 1530 wurde er Bürger von Cölln und bezog ein Haus auf der Fischerinsel. 1532 raubte ihm ein sächsischer Adliger seine Pferde.

Kohlhase zog vor Gericht, verlor den Prozess. Daraufhin erklärte er dem Land Sachsen und dem Adligen in einem offenen Brief vom 12. März 1534 die Fehde, also Brandschatzung, Raub und Entführungen. Er soll, so die späteren Gerichtsakten, 300 Unterstützer gehabt haben. Hans Kohlhase diente 1810 Heinrich von Kleist als Vorlage für seinen „Michael Kohlhaas“. Aber das alles interessiert uns heute nicht. Wir reden vom Wetter und müssen feststellen: Die Kohlhase-Chroniken tun das nicht.

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Der Berliner Stadtmuseum hat in diesen heißen Tagen in seiner Bibliothek tatsächlich eine Notiz zum Sommer 1540 in Berlin gefunden. Im „Microcronicon Marchicum“ von Peter Hafftiz, abgedruckt in „Riedel’s Codex diplomaticus Brandenburgensis“ aus dem Jahr 1862, heißt es demnach unter Bezugnahme auf das Jahr, in dem Kohlhase „für Berlin aufs Rad gelegt“ wurde: „In diesem Jahre ist ein solcher heisser Sommer gewesen, dass sich auch an vielen orten die Wälde angezündt haben und die Wasser sehre ausgetrocknet sindt, Daher ist ein solcher Köstlicher und herrlicher Wein gewachsen, desgleichen seidther nicht geworden.“

Auch dass der Rhein im Sommer an mehreren Stellen durchwatet werden konnte, dass man auch die Bodenseeinsel Lindau zu Fuß erreichen konnte, das sagt etwas aus über die Zustände jener Monate. Aber sahen die Chronisten das alles selbst oder schrieben sie nur auf, wovon sie gehört hatten? Wie groß waren die Waldbrände wirklich, über die sie berichteten?

Im Zustand eines MorphinistenDie Berner Forscher kamen 2014 zu dem Schluss, dass die Dürre von 1540 eine der größten, verheerendsten der europäischen Geschichte war. Wie man das wissen kann, angesichts der spärlichen Überlieferung und der Schwierigkeiten dendrologischer Untersuchungen, bleibt unklar. Wenn man zusammenträgt, wo überall die Wassermühlen nicht funktionierten, weil es kein Wasser gab und wo man sie nicht brauchte, weil das Getreide verdorrt war, das man hätten mahlen wollen, dann bekommt man ein Bild. Die Forscher zitieren einen Elsässer Weinbauern, der erklärte „der Juli war bis an sein Ende glühend und schrecklich gewesen“.

Damit kann man uns jetzt im August 2018 nicht so richtig schrecken. Die Temperatur in diesem Jahr ging seit Mai nur noch an wenigen Tagen unter 30 Grad. Außerdem soll es niemals einen so süßen Wein gegeben haben wie 1540. Heute, da man sie lieber trocken genießt, klingt das nicht so verheißungsvoll wie noch bei 1902 bei Rainer Maria Rilke: „Dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.“ Eine Flasche dieses Jahrtausendweins wird Besuchern bei einer Führung durch das Weingut Bürgerspital in Würzburg heute noch hinter Panzerglas gezeigt.

Am 14. August 1904 – zwei Jahre nach Rilkes zitiertem „Herbsttag“ – schrieb die Berliner Illustrierte Zeitung: „Greise jammern, Männer stöhnen, Frauen klagen, Kinder wimmern: die Hitze! Der Mensch hat nur einen Wunsch: Kühlung! Kühlung! Kühlung! Die Glücklicheren verbringen ihre Tage im Zimmer hinter fest verschlossenen Jalousien, auf dem Sofa liegend, im lethargischen Zustand eines Morphinisten.“ Die diesem Sommer folgenden Missernten machten aus vielen Landarbeitern und Bauern in Brandenburg Arbeitsmigranten, die in den USA ihr Glück versuchten. Damit ist heute nicht zu rechnen. Wir leben in glücklicheren Zeiten.