Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview

Spitzenkoch Wissler
„Genuss von Fisch und Fleisch ist sensibler geworden“

Lesezeit 7 Minuten
Herr Wissler ist im Porträt zu sehen. Er lacht in die Kamera.

Joachim Wissler (62) zählt zu Deutschlands absoluter Koch-Elite - seit einem Vierteljahrhundert verantwortet er die Küche im Top-Restaurant von Schloss Bensberg.

Joachim Wissler über Genuss- und Ernährungstrends und Personalmangel in der Gastronomie. Der Sternekoch verrät, wo er in Köln gerne essen geht.

Herr Wissler, Sie leiten seit 25 Jahren das Restaurant „Vendôme“ – wie feiern Sie das persönlich?

Joachim Wissler: 25 Jahre ist eine Zahl, die mir im Moment unrealistisch erscheint. Mir kommt es meistens so vor, als wäre es gerade erst gestern gewesen, dass ich hier in Bensberg angefangen habe. Aber dann fallen mir viele Momente ein, die zeigen: Es war eine lange Zeit an selber Stelle, wo ich meine Arbeit verrichte und viele Menschen erreiche. Das macht mich stolz und gelassen. Und das bringt Freude hervor. Zuerst werde ich das mit unserem Eigentümer Thomas Althoff im allerkleinsten Familienkreis feiern. Wir haben viel erlebt, große Dinge begonnen und mutig weitergeführt. Bis zum heutigen Tag hat das Restaurant mit ihm einen Eigentümer, der sehr viel Verständnis hat, auch wenn die Zeiten mal schwieriger waren. Er steht immer hinter mir. Das ist ein großer Vertrauensbeweis.

Erinnern Sie sich noch an einen Gang aus Ihrem allerersten Menü in Bensberg?

Ja, das legendäre Schweinekinn in Liebstöckelsauce, glasiert mit Saiblings-Kaviar ist mir nachhaltig im Kopf geblieben. Es war eine Zeit des Aufbruchs, und als einer der ersten habe ich mich dazu bekannt, außerordentlich gute Qualität an Schwein in einem Spitzen-Restaurant zu präsentieren. Am Anfang gab es viel Skepsis deshalb. Wenn ich mir heute die Menükarten von früher anschaue, taucht immer mal wieder Schwein auf – und Innereien. Da verfolge ich konsequent eine Linie. Wenn ich Lamm aus Bayern kaufe, dann nicht nur den Rücken, sondern auch Leber und Herz.

Meine Herkunft ist ja der Bauernhof und da besteht ein Tier nicht nur aus den Edelteilen, da gelten die Innereien auch als Delikatesse. Das ist in meiner Heimat im Süddeutschen weiterverbreitet als in NRW. Viele Gäste schätzen das sehr. Heute ist „Nose-To-Tail“ ein Trend – für mich war das schon immer selbstverständlich. Es geht um Nachhaltigkeit. Deswegen gibt es bei uns zum Beispiel auch keine Languste aus Schleppnetzfischerei, bei der Beifang als Abfall und Möwenfutter zurück ins Meer fällt. Für uns werden sie in ausgesetzten Reusen am Meeresboden gefangen, auch wenn das seinen Preis hat. Wir wollen fantastische Produkte, die ressourcenschonend zu uns kommen.

Ein edles Tellergericht ist zu sehen mit vielen Komponenten und aufwändiger Komposition.

Meerestiere, die ohne Beifang gefangen werden, sind für Wissler ein Muss: „Wir wollen fantastische Produkte, die ressourcenschonend zu uns kommen.“

War es damals ein Wagnis, ein Gourmet-Restaurant in direkter Nachbarschaft zu Dieter Müllers bereits mit drei Sternen ausgezeichnetem Schlosshotel Lerbach zu eröffnen?

Ja, das waren keine zweieinhalb Kilometer Luftlinie. Es war alles andere als klar, ob das erfolgreich wird. Wenn du dich in der Nähe dieses Mannes niederlässt, und ein Publikum ansprichst, das quasi identisch ist, dann musst du alle Kraft reinlegen, damit du dich da bewährst und bestehst. Trotz natürlich vorhandener Konkurrenz ist Dieter Müller ein von mir sehr geschätzter, großartiger, wohlwollender Kollege! Als ich meinen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe, habe ich das bei einem Mittagessen in seinem Restaurant getan. Er hat mich Herrn Althoff für Bensberg empfohlen.

Was war die aufregendste Zeit in den 25 Jahren?

Selbstverständlich 2004, als nach so kurzer Zeit der dritte Stern kam. Dann der internationale Aufbruch durch die Bewertungen wie in den Top zehn bei den „50 Best Restaurants Of The World“ zu sein. Den Effekt hat man im Restaurant gesehen, plötzlich hat man sehr viele Menschen aus allen Kontinenten hier sitzen gehabt. Ich denke gerne daran zurück, als sich dieses Tor in die Welt öffnete. Aber mir war die gute Mischung mit Stammkunden immer wichtig. Internationale Gäste sind schön, aber wenn du in deiner Region nicht angekommen bist, dann ist das nie gut.

„Ich würde über die Generation Z nicht pauschal sagen, dass sie nicht mehr so viel Leistung bringt“

Aktuell ist es ein großes Problem in der Gastronomie Personal zu bekommen. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Wenn ich das Patentrezept für Personal hätte, würde ich es Ihnen gerne verraten. Aber das gibt es nicht. In der heutigen Zeit ist es eine Herausforderung, Menschen zu gewinnen, die mit einem intensiv und mit viel Eigeninitiative an einer Sache arbeiten. Aber ich glaube, früher war es auch nicht einfacher, Menschen dafür zu gewinnen, außergewöhnliche Leistungen mit einem zu erbringen. Vielleicht sind einfach nicht mehr so viele verfügbar.

In den 2000er waren wir eines von nur wenigen Sternerestaurants, heute gibt es viel mehr, und die suchen alle Personal. Ich würde über die Generation Z nicht pauschal sagen, dass sie nicht mehr so viel Leistung bringt. Aber viele haben in der Pandemie darüber nachgedacht, wie es mit dem Leben weitergehen soll. Da haben sich diejenigen, die etwas wankelmütig waren, aus dem Beruf zurückgezogen. In der Summe ist es sogar noch schwieriger im Service Personal zu finden als für die Küche.

„Uns ist Interaktion im Restaurant wichtig geworden, um den Gast mitzunehmen“

Wie haben sich die Gäste geändert?

Ein Besuch in einem Restaurant wie dem Vendôme hat heute einen gewissen Erlebnisfaktor - das ist Fluch und Segen zugleich. Nach einem Abend bei uns erscheinen sofort Bilder auf Instagram. Die Optik ist viel wichtiger geworden, die muss man als Koch im Hinterkopf haben, aber nicht zu weit vorkommen lassen. Denn was nützt einem ein Gericht, das aussieht wie gemalt, bei dem aber die geschmackliche Tiefe fehlt?

Uns ist Interaktion im Restaurant wichtig geworden, um den Gast mitzunehmen. Vor 20, 25 Jahren habe ich keinen Koch in einem Restaurant gesehen, außer dem Chef, der seine Honneurs machte. Früher tranchierten die Ober einen Rehrücken am Tisch, heute geht der Koch raus und erklärt, was das Besondere am Stück Fleisch ist. Das bewerten Gäste sehr wohlwollend.

Blick in das weiß eingedeckte Restaurant Vendome.

Interaktion beim Restaurantbesuch ist für Köche und Gäster wichtiger geworden.

Was haben Sie für Ihre Gäste jetzt zum Jubiläum geplant?

Jeden zweiten Sonntag im Monat gibt es mittags ein Jubiläums-Menü. Ein Vier-Gang-Menü für 190 Euro mit Grüßen aus der Küche, einem speziellen Aperitif und Petit Fours von unserer mehrfach ausgezeichneten Patissière Larissa Metz. Es ist natürlich auch komplett vegetarisch möglich. Ich bin ja nur noch sehr selten als Gastkoch unterwegs, aber beim letzten Mal wurde ich von Gästen angesprochen, die erzählten, wie gern sie früher am Wochenende zu mir gekommen seien, und dass sie das sehr vermissen. Wir starten mit dem Angebot am 15. Juni bis August. Am 13. Juli wird es am Abend zudem ein Four-Hands-Dinner mit einem Gastkoch aus Österreich geben. Dennis Ilies aus dem Hotel Tannenhof wurde aus dem Stand mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet, darauf freue ich mich ganz besonders.

Mittlerweile herrscht in vielen Spitzenrestaurants Menü-Zwang, was Gäste kritisch sehen. Sie auch?

Ein À-la-carte-Angebot ist immer ein Lotteriespiel. Das Küchenteam weiß vorher ja nicht, welche Speisen bestellt werden. Bei unseren Produkten und der zeitintensiven Vorarbeit dürfen wir keine Gerichte vorhalten und sie dann nicht verkaufen – und die Kostenentwicklung der letzten Jahre ist enorm. Dazu kommt, dass die Lohnkosten sich exorbitant entwickelt haben, das heißt man muss sein Personal effektiv einsetzen. So kommt das zustande. Bei mir hat man an zwei, drei Stellen Wahloptionen, und es gibt auch Zusatzgerichte

„Es gibt eine wesentlich sensiblere Haltung zum Genuss von Fisch und Fleisch, auch was die Menge betrifft“

Welchen Genuss- und Ernährungstrends begegnen Sie?

Die Gesellschaft geht bewusster mit Ernährung um, es gibt eine wesentlich sensiblere Haltung zum Genuss von Fisch und Fleisch, auch was die Menge betrifft. Gemüse muss eine bedeutendere Rolle in unserer Gesellschaft spielen. Und überall wird etwas über gesündere Ernährung mitgeteilt, diese Botschaft ist angekommen. Auch ich habe diese Entwicklung in meine zeitgemäße Küche mit einbezogen.

Aufwändiges Arrangement auf einem Teller in Rottönen.

Ein Teller von der Vendôme-Winterkarte: „Gemüse muss eine bedeutendere Rolle in unserer Gesellschaft spielen.“

Wo gehen Sie in Köln und der Region privat essen?

Im Kölner „Le Moissonnier“ ist immer wieder ein Besuch fällig. Im „Phaedra“ und der „Ouzeria“ war ich auch schon zum Essen, das war sehr gut. Das Restaurant im „Gut Lärchenhof“ ist zu jeder Zeit einen Besuch wert, genau wie das „Ito“ im Belgischen Viertel. Da geht man hin und kann zwei kleine Gerichte essen oder sich den ganzen Abend vergnügen. Köln ist ein Schmelztiegel mit einer Vielfalt an Kulinarik und einer sehr guten Zahl an Spitzenrestaurants.

Alle Restaurantführer Deutschlands bewerten das Vendôme mit der Höchstnote, nur der Michelin stufte es 2022 von drei auf zwei Sterne ab. Erwarten Sie diesen wieder zu erhalten?

Diese Entscheidung und Bewertung habe ich reflektiert und verarbeitet. Meine Antwort darauf lautet, du machst das, was du machst; und du machst das weiterhin mit allerhöchsten Ansprüchen. Damit komme ich gut klar. Ich schlafe deshalb nicht unruhig, weil ich auf die nächste Guide-Michelin-Bewertung hoffe.

Woher nehmen Sie die Energie für Ihren Beruf?

Zwei Ankerpunkte: die Familie und mein Sport, mit dem ich versuche, mich fit zu halten. Familie für die seelische Grundlage und Sport für die körperliche. Wenn du viele, viele Stunden am Tag drinstehst, muss dein Körper fit sein. Ich bin ein leidenschaftlicher Rennradfahrer, das habe ich leider in letzter Zeit etwas vernachlässigt wegen des großen Zeitfaktors, ich bin dann drei vier Stunden unterwegs. Cardio und so was mache ich in den Morgenstunden, regelmäßig. Dann habe ich die Kraft. Der Tag fängt für mich früh an.

Sie sind in diesem Jahr 62 geworden, wie blicken Sie in Ihre Zukunft?

Ich fühle mich so fit und gut, dass ich keinen Gedanken an ein Ende meiner Tätigkeit verschwende. Mein Fokus ist auf das Tun im Hier und Jetzt gerichtet. Ich mache mir keine Gedanken darüber, was irgendwo in der Welt an neuen Trends aufkommt. Es geht um das, was ich mir in 25 Jahren aufgebaut habe und darum, das mit meiner optimierten und leichteren Art des Kochens, und dem starken Team rund um meinem Küchenchef Dennis Kuckuck weiterzuentwickeln. Je klarer, je besser, heißt mein Credo. Jeder Gang, der serviert wird, muss diesem Anspruch entsprechen.