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Handschlag, Umarmung und KussWir werden anders mit unseren Mitmenschen umgehen

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In ihrer jetzigen Form wird die freundschaftliche Umarmung die Krise nicht überstehen. (Symbolbild)

  1. Die Kontaktsperre fordert uns auf, Abstand zu unseren Mitmenschen zu halten.
  2. Das wird zur Folge haben, dass wir mit anderen Menschen dauerhaft anders umgehen als noch vor wenigen Wochen, meint unser Autor Frank Nägele.
  3. Laut Nägele wird es Gesten wie das Händeschütteln zur Begrüßung, die Umarmung im Freundeskreis oder den beiläufigen Wangenkuss in dieser Form in unserer Gesellschaft erstmal nicht mehr geben.
  4. Lesen Sie die ganze Kolumne mit KStA PLUS.

Köln – Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass es eine Zeit nach der Corona-Krise geben wird. Aber es ist auch wichtig, sich darauf vorzubereiten, dass es so schnell keine Zeit mehr geben wird wie die Zeit davor. Dieses Virus hat den Menschen auf eine ganz neue Art vor Augen geführt, was auf dieser Welt sie teilen: Luft, Keime, Viren. Das wird zur Folge haben, dass wir mit anderen Menschen dauerhaft anders umgehen als noch vor wenigen Wochen.

Zu den bedrohten Arten der physischen Begegnung gehört der Handschlag als Zeichen der Begrüßung, des Abschieds oder einer geschäftlichen Abmachung. Die regierenden Virologen und Politiker bläuen uns täglich ein, dass die meisten Infektionen mit der Hand beginnen. Es wird den Nationen gelingen, die Corona-Kurven flacher zu gestalten, es wird ihnen auch gelingen, die Sterberaten zu normalisieren und in einen geregelten Alltag zurückzukehren. Aber es wird nicht so schnell gelingen, der Hand ihren Schrecken zu nehmen.

Warum sollten wir, wenn Corona überstanden ist, wegen ihr eine Influenza riskieren, einen grippalen Infekt oder einen Schnupfen? Die Bereitschaft, sich saisonbedingt zu erkälten, weil alle es tun, wie es seit jeher Teil unseres normalen, sozialen Lebens war, wird verschwinden, denn wir lernen gerade, dass es möglich und überlebenswichtig ist, Viren auszuweichen, sie zu bekämpfen.

In ihrer jetzigen Form wird die Umarmung die Krise nicht überstehen

Was wird aus der Umarmung? Bei einer Umarmung fühlen wir die Wärme des Mitmenschen, riechen seinen Atem, wollen ihm ganz nahe sein. Sie ist die Geste maximaler Solidarität. Den Verhaltenswandel durch diese Krise wird die Umarmung als öffentliches Phänomen nicht überleben. Sie wird sich beschränken auf Geliebte und engste Familienmitglieder.

Eine Umarmung ist aus virologischer Sicht ein Akt unverantwortlichen Leichtsinns, eine Art vorsätzliches Sich-Infizierens. Ihre Funktion für unsere Seele, die Weitergabe von Trost und Wärme, wird zurückstehen müssen und selbst dann nicht sofort in den Alltag zurückkehren, wenn die Wissenschaftler ein wirksames Medikament und eine Impfung gegen die aktuelle Pandemie gefunden haben. Denn wir wissen ja: Das Virus mutiert und kehrt mit anderen Eigenschaften zurück. Unsere Umarmung aber kann nur auf eine Weise erfolgen.

Küssen nur noch als Zeichen von Liebe und Vertrauen

Welche Folgen das für den Kuss als intimste Annäherung zweier Menschen hat, ist unabsehbar. Vermutlich werden nur Liebe und große Vertrautheit diesen Vorgang gestatten, bei dem wir bereit sind, unseren Speichel mit dem des Mitmenschen zu vermischen. Selbst die leichteren Formen des Kusses, der Wangen- und der Handkuss, werden erst einmal aus der Öffentlichkeit verschwinden. Man wird, ohne nachzusehen, erkennen, ob Filme vor dem Frühjahr 2020 gedreht wurden oder danach.

Sofern sich ein Paar hemmungslos küssend seinen Gefühlen hingibt, darf man sicher sein: davor. So wie man jetzt schon sicher sein darf, dass Ratesendungen und Quiz-Shows, bei denen sich ein geballtes Studio-Publikum mit dicht nebeneinander sitzenden Kandidaten und Promis freut, aus der Konserve kommen, auch wenn das eigentlich verheimlicht werden sollte.

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Wir lernen in diesen Wochen der Quarantäne schmerzhaft, dass unsere Zukunft entscheidend davon abhängt, allen so fern zu bleiben, wie irgend möglich. Zwei Meter Luft zwischen mir und dem nächsten sind gut, 1,5 Meter zwingend erforderlich. Am besten, wir setzen uns dazu noch eine Maske auf, hinter der alle am Gesicht erkennbaren menschlichen Regungen verschwinden.

Gehören Menschenmassen bei Konzerten und Fußballspielen der Vergangenheit an?

Der Zwang zur Distanz zwischen allen Menschen, die nicht in einer Gruppe zusammenleben, ist gesetzlich angeordnet und Zuwiderhandlungen werden unnachgiebig bestraft. Das ist in der Geschichte der Menschheit ein einzigartiger Vorgang, wie es ihn nicht einmal in Kriegen und großen Krisen gegeben hat. Das Begreifen dieser Situation befindet sich noch im Anfangsstadium. Seine Folgen werden unser Leben noch sehr lange bestimmen.

Ich habe keine Ahnung, was das mit Freitagabenden machen wird oder mit Partys oder dem Karneval oder Konzerten oder Fußballspielen. Werden wir unseren Enkelinnen und Enkeln in familientauglichen Details irgendwann erzählen, wie das war, als Menschen in Massen von Menschen untergetaucht sind und dieses kollektive Gefühl des Eins-Seins genossen?

Wie lange wird sich die in den meisten Menschen genetisch programmierte Notwendigkeit der Nähe zu anderen Menschen unterdrücken lassen? Im Moment sind keine verlässlichen Aussagen möglich. Nur eben diese: Es wird anders. Und das wird dann lange so bleiben.