Rebellion aus der NotWieso im Bistum Essen Frauen taufen dürfen

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Claudia Schwab tauft den einjährigen Moritz. 

Oberhausen – Als seine Mutter ihn über das Taufbecken hält, ist Moritz Prazeus ganz ruhig. Gerade hat er noch geschrien, weil er beim Krabbeln in der Kirche gegen einen Kerzenständer gestoßen ist. Claudia Schwab drückte ihm kurzerhand die geleerte Kanne für das Weihwasser zwischen die kleinen Kinderhände, schon versiegten die Tränen des Einjährigen. Dreimal lässt Schwab das Weihwasser über Moritz‘ Kopf träufeln. „Moritz“, sagt sie, „ich taufe dich im Namen des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Eine Taufe in der Oberhausener Sankt-Johannes-Kirche ist eigentlich nichts Besonderes. Eine katholische Taufe eben, in einer katholischen Kirche. Doch für Moritz spendet das Sakrament der Taufe kein Priester, kein Diakon – kein Mann: Seine Täuferin ist Claudia Schwab, Gemeindereferentin und Leiterin der Gemeinde Sankt Johannes Evangelist.

Frauen, die taufen – was bei den Protestanten alltäglich ist, war lange Zeit in der katholischen Kirche undenkbar. Seit März geht das Bistum Essen aber einen Sonderweg: Erstmalig in der Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland dürfen dort Frauen offiziell die Taufe spenden. Aber nicht, weil die Kirche ihre patriarchalen Strukturen verändert hätte. Nein, dem Bistum gehen die Priester und Diakone aus. So entstand eine Rebellion aus der Not.

„Frauen können genauso gut taufen wie Männer“

„Frau Schwab kenne ich schon aus dem Kindergarten und von der Kindermesse“, sagt Julia Prazeus und setzt sich auf einen schattigen Mauervorsprung vor der Sankt-Johannes-Kirche. Es ist ein warmer Sommermorgen, perfekt für die kleine Tauffeier im Familienkreis. Für die Mutter stand von Geburt ihrer beiden Söhne an fest, dass Jonas und Moritz katholisch getauft würden. Das gehört eben dazu in ihrer Familie. Wie der erste Wackelzahn, wie die Einschulung. „Als Frau Schwab uns sagte, der Moritz könne von ihr oder einem Priester getauft werden, habe ich gesagt: Lieber von Ihnen.“

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Julia Prazeus mit Moritz und Claudia Schwab kurz vor der Taufe

Mit dieser Entscheidung zeigt sich Prazeus auch im Nachhinein zufrieden. Die Taufe sei sehr persönlich gewesen, sagt sie, Moritz‘ sechs Jahre alter Bruder Jonas sei in Schwabs Ansprache mehrfach erwähnt worden, lobt sie. Der Täufling durfte im Altarraum herumkrabbeln, musste nicht gegen seinen Bewegungsdrang auf der Bank sitzen. „Dass der katholischen Kirche immer noch keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gelungen ist, finde ich katastrophal“, sagt Prazeus. „Ich würde mir wünschen, dass Frauen auch außerhalb des Bistums Essen taufen dürfen. Sie können es doch genauso gut wie Männer.“

Der logische nächste Schritt

Claudia Schwab hat sich in eine Kirchenbank gesetzt und blickt Richtung Altar. Das bodenlange weiße Gewand, in dem sie Moritz getauft hat, hat die 55-Jährige direkt nach dem Gottesdienst wieder abgelegt. Sie sagt: Eigentlich hat sich schon viel geändert in der katholischen Kirche.

Schwabs Aufgabenspektrum ist umfangreich: Sie betreut alle neun Kitas der Pfarrei und zwei Messdienergruppen, ist in ihrer Pfarrei als Schulungsreferentin für sexualisierte Gewalt tätig. Seit vier Jahren hat sie zudem die Gemeindeleitung inne, ist hauptverantwortliche Entscheidungsträgerin in der Gemeinde Sank Johannes Evangelist. Eine Position, die sie sich nicht erträumen konnte, damals, als sie nach dem Abitur in der Klosterkirche saß, im Zwiegespräch mit Gott. Als sie um eine Antwort rang, ob sie ihr Berufsleben in den Dienst der Kirche stellen solle. Bis der Tag kam, an dem sie aufstand, zur Kirchentür ging und sicher war: Gott will, dass du das machst. „Diese Sicherheit trägt mich durch meinen Beruf“, sagt Schwab mit ihrem breiten Ruhrgebiets-Dialekt. „Ich habe meine Entscheidung nie bereut. Auch, weil sich der Beruf in den letzten Jahren so toll entwickelt hat.“

Die Taufspende für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten zu öffnen war aus Schwabs Sicht nur der nächste logische Schritt. Schließlich kennt sie das Prozedere: Sie führte schon unzählige Vorbereitungsgespräche mit Eltern und Taufkindern, sprach mit ihnen über Gott und die Welt. Plante den Gottesdienst. Und trat beiseite, wenn der Priester zum Taufbecken schritt.

Notlösung für eine Notlage

Eigentlich dürfen nur Priester oder Diakone, geweihte Geistliche, das heilige Sakrament der Taufe spenden. So steht es im Kirchenrecht. Dort, in Canon 861 Paragraf 2, steht aber auch: Sind nicht genügend „ordentliche“ Taufspender verfügbar, darf der Bischof andere Gläubige zu Taufspendern machen. Vorher muss ein Geistlicher sie jedoch über die „rechte Taufe“ belehren. Eine Nottaufe funktioniert ähnlich: Schwebt ein ungetauftes Kind in Lebensgefahr, darf jeder Christ taufen. In Notlagen müssen also keine Geistlichen anwesend sein, um einen Menschen in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen.

Das Bistum Essen erlebt eine permanente Notlage: Ihm fehlen Priester und Diakone. In der Oberhausener Pfarrei St. Marien zum Beispiel gehen in den nächsten zweieinhalb Jahren die letzten beiden Priester in Rente. Einer von ihnen arbeitet schon über die Altersgrenze hinaus. Also öffnete das Bistum Essen die Taufspende für Gemeindereferenten und Pastoralreferenten.

Schwab und ihre Kollegen besuchten Anfang des Jahres einen Ausbildungskurs, vier Tage, Kirchenrecht, ein Treffen mit einem Priester. Generalprobe einer Taufe. Im März ernannte Bischof Franz-Josef Overbeck die Gruppe zu Taufbeauftragten. Teile des Ritus wie die Chrisamsalbung werden jedoch bei einer Taufe durch nicht-geweihte Taufbeauftragte nicht durchgeführt.

Schwab muss Priester vor Taufe wegschicken

Claudia Schwabs erstes Taufkind heißt Toni. Die Achtjährige kennt Schwab schon lange, durch die Kindermessen, den Kindergarten, den Erstkommunionsunterricht von Tonis Schwester. Und Toni wollte unbedingt von Schwab getauft werden. Vor dem Taufgottesdienst wusste die Gemeindereferentin nicht, wer nervöser war: Sie oder Toni. „Wir sind beide total aufgeregt“, sagte sie zu dem Mädchen. „Aber zusammen kriegen wir das hin.“

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Claudia Schwab, Gemeindereferentin, Gemeindeleiterin und Täuferin

Seither hat Claudia Schwab fünf Kinder getauft. An einem Sonntag wollte der Priester, der zuvor die Messe zelebriert hatte, für die Taufe bleiben und zugucken, wie seine neue Taufkollegin vorgeht. „Nee“, sagte Schwab zu ihm. „Du musst jetzt gehen. Ansonsten darf ich nicht taufen.“ Die Taufe durch Frauen, sie bleibt eine Notlösung: Sobald ein Priester oder Diakon anwesend ist, muss dieser selbst das Sakrament spenden.

Fortschrittliche Kirche in Regionen, die auch den Fortschritt wollen

Im Bistum Essen, sagt Claudia Schwab, habe sich unter dem derzeitigen Bischof vieles verändert. Overbeck, der noch 2010 Homosexualität als Sünde bezeichnete, fordert heute eine Zuwendung der Kirche zu queeren Menschen und kündigte an, keinen Priester seines Bistumes zu maßregeln, der homosexuelle Paare segnet. Er befürwortet Ausnahmen vom Zölibat für Priester und sagt: Seiner Erfahrung nach verstehen die allermeisten Christen den Ausschluss von Frauen für Weiheämtern nicht mehr.

Für eine fortschrittlichere Kirche, sagt Claudia Schwab, brauche es jedoch auch fortschrittliche Regionen und Christen, die diese Veränderung wollen. Als sie die Gemeindeleitung vor vier Jahren übernahm, erreichten sie nur positive Rückmeldungen. Bisher sagte ihr kein Elternteil: Ich möchte nicht, dass Sie unser Kind taufen. „Hier im Ruhrgebiet sind die Leute anders eingestellt, da ist sowas einfacher“, sagt sie. In anderen Teilen Deutschlands würde eine weibliche Gemeindeleitung mehr Gegenwind bekommen, glaubt sie. Als auf katholisch.de über den Tauf-Sonderweg des Bistum Essen berichtet wurde, habe jemand kommentiert: „Da kann ich auch zuhause bleiben und mein Kind selber taufen.“ Und der Synodale Weg, auf dem Bischöfe und Laien über die Zukunft der Kirche, ihre Machtstrukturen und die Rolle der Frau diskutieren, wurde vergangene Woche vom Vatikan in die Schranken gewiesen.

Bistum Essen prüft Trauung durch nicht-geweihte Personen

Die Kirche wandle sich, sagt Claudia Schwab. Was die Rolle der Frau angeht, müsse jedoch noch viel getan werden. Die Spitze der katholischen Machtpyramide ist eben nach wie vor männlich. „Du weißt doch, für wen du arbeitest“, entgegne ihr Mann stets, wenn Schwab sich mal wieder über die patriarchalen Strukturen ihres Jobs ärgert, den sie doch liebt.

Im Bistum Essen prüft eine Arbeitsgruppe, welche weiteren Sakramente rechtmäßig auch von nicht-geweihten Personen gespendet werden könnten. „Ich wünsche mir sehr, dass Krankenhausseelsorger künftig Krankensalbungen machen dürfen“, sagt Claudia Schwab. „Bei der Krankensalbung sind Menschen wirklich in Not und wünschen sich diese Stärkung. Und das wollen wir ihnen verwehren, weil wir nicht genug Priester haben? Das finde ich nicht gut.“

Auch an der kirchlichen Trauung durch Gemeinde- und Pastoralreferenten arbeitet das Bistum. Ein Paar aus der Gemeinde habe schon gefragt, ob Claudia Schwab sie bald trauen könne. Dann nämlich würden sie eine kirchliche Hochzeit in Erwägung ziehen.

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