WissenschaftDer Mensch, die lahme Ente

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Wenn Neil Shubin eine menschliche Hand betrachtet, dann sieht er darin auch eine Flosse mit Fingern. Als Paläontologe hatte er sich lange nur mit dem Körperbau von ausgestorbenen Tieren beschäftigt. Eines Tages jedoch gab es an der Universität Chicago Personalmangel. Shubin sollte nun auch einen Anatomiekurs für Humanmediziner leiten. Als seine Studenten die Hand einer Leiche sezierten, wurde er nachdenklich. Ihm fiel die Ähnlichkeit im Bau der Gliedmaßen von Fischen und Menschen auf. Erst ein großer Knochen, dann zwei kleinere, am Ende viele kleine Knochen – Oberarm, Elle, Speiche und Hand. „Das ist der Fisch in uns“, sagte er zu seinen Studenten. Sie lachten.
Halb Fisch halb Krokodil
Doch etwas später, im Jahr 2004, machte Shubin die dazu passende Entdeckung. In Kanada gruben er und sein Team ein seltsames Ur-Tier aus. Eine Art Zwischending, halb Fisch halb Krokodil. Es hatte Schuppen, konnte sich aber auf seine stummeligen Brustflossen stützen und so im flachen Wasser oder im Schlamm herumrobben. „Wir hatten einen Fisch mit Handgelenk gefunden“, schrieb Neil Shubin später, „er hätte Liegestütze machen können.“ Der Tiktaalik, wie man das bisher unbekannte Wesen taufte, war ein Sensationsfund, über 380 Millionen Jahre alt, ein Bindeglied zwischen Wasser- und Landbewohnern, fossiler Zeuge dafür, dass das Leben vom Wasser aus das Land eroberte.
„Physisch sind wir Menschen noch immer Fische, wenn auch stark modifizierte. Unsere Körperteile erinnern daran, dass wir von Lebewesen abstammen, die vor 385 Millionen Jahren im Wasser gelebt haben“, schreibt Shubin in seinem Bestseller „Der Fisch in uns“. So haben alle menschlichen Embryonen im Mutterleib noch Schwimmhäute zwischen den Fingern, die sich bis zur Geburt wieder zurückbilden. Zudem besitzt der Mensch in diesem frühen Stadium außer einem Schwanz auch Kiemenspalten, die sich im Laufe der Entwicklung schließen.
Und noch ein anderes Phänomen verdanken wir Neil Shubin zufolge den Wasserbewohnern der Vergangenheit: den Schluckauf. Dabei verschließt ein Gewebelappen im Rachen reflexartig den Eingang zur Luftröhre, was folgt, ist jedem mehr oder weniger bekannt: Hicks. Was uns lästig erscheint, ist für Kaulquappen durchaus praktisch. Sie leiten auf diese Weise das Wasser über ihre Kiemen, ohne dass es in die Lunge gelangen kann.
Mensch ist kein Schwimmtalent
Dieses Hicks-Erbe nutzt uns im nassen Element allerdings kein bisschen. Vom Schwimmtalent seiner Urahnen ist dem Mensch nicht viel übrig geblieben. Sein außergewöhnliches Hirn hat den Homo sapiens Schnellboote, Surfbretter und Sauerstoffflaschen erfinden lassen. Doch ohne all diese Hilfsmittel ist er im Wasser ein bedauerlich träges Geschöpf. Ja, er beherrscht viele Disziplinen, wie es derzeit bei der Schwimm-EM in Berlin wieder zu sehen ist: Kraulen, Rückenschwimmen, Schmetterling und Wasserspringen. Im Vergleich zu vielen Tieren, die perfekt an den Lebensraum Wasser angepasst sind, kann er jedoch nichts davon richtig gut. Der Schwertfisch, einer der schnellsten Fische der Welt, beschleunigt, wenn er jagt, auf Spitzengeschwindigkeiten von um die 100 Kilometer pro Stunde. Die besten menschlichen Schwimmsportler bringen es auf etwas über sieben km/h. Ungeübte sind nicht einmal halb so schnell und somit sogar langsamer als die gar nicht so „lahme Ente“, die sie mit bis zu fünf km/h überholen könnte. Ein Thunfisch kann 100 Meter in vier Sekunden zurücklegen. Britta Steffen schwamm die gleiche Strecke in 52 Sekunden. Hummer schwimmen sogar rückwärts schneller als ein Mensch – nämlich bis zu 28 km/h.
Keine Ruderfüße
Der Mensch hat weder eine strömungsgünstige Körperform noch Ruderfüße, er ist schließlich auch ein Landbewohner. Eine Studie ergab einmal: 90 Prozent der Zeit verbringen erwachsene Badegäste am Berliner Wannsee außerhalb des Wassers. Nur zwei Prozent der Zeit schwimmen sie, weitere sechs Prozent stehen sie am Ufer herum oder waten im knietiefen Wasser. Wenn sie trotzdem mal ins Wasser springen und nicht ertrinken wollen, brauchen sie Auftrieb, um nicht abzusinken, und Vortrieb, um von der Stelle zu kommen. Sie müssen strömungsgünstig im Wasser liegen, die Kräfte, die auf sie wirken, gegeneinander ausbalancieren und sich mit Armen und Beinen vom Wasser abstoßen. Gegen unserer tierischen Gegner haben wir einfach keine Chance.
So schwimmt die Tierwelt:
Langstreckenschwimmen
Forscher der Universität Exeter rüsteten Lederschildkröten mit Satellitensendern aus, um ihre Routen durch die Weltmeere zu verfolgen. Von Westafrika aus schwammen einige von ihnen über den Atlantik bis an die südamerikanische Küste – eine Reise von mehr als 7500 Kilometern. Manchmal erreichen sie dabei zehn Stundenkilometer. Etwa alle drei Jahre kehren sie den ganzen langen Weg zurück zum Strand ihrer Geburt, graben Löcher und legen ihre Eier ab. Meeresschildkröten stammen von Land- beziehungsweise Süßwasserschildkröten ab, die sich vor 225 Millionen Jahren dem Lebensraum Meer angepasst haben. Die Extremitäten haben sich für das Leben im Wasser zu Flossen umgewandelt und können nicht mehr in den Panzer eingezogen werden.
Synchronschwimmen
Was Synchronschwimmer jahrelang trainieren, können Fische von Natur aus. Sie verhalten sich wie ein vollendetes Unterwasser-Ballett. In einer Formation bewegen sich Piranhas, Heringe und andere Schwarmfische durchs Wasser, ohne aneinanderzustoßen. Nähert sich ein Feind, ändern alle schlagartig die Richtung. Warum gibt es da kein Durcheinander? Forscher vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei haben beobachtet, dass sich die Fische an drei Regeln halten: 1: Schwimme so, dass du den anderen nicht zu nahe kommst. 2: Schwimme so, dass du dich ungefähr in Richtung deines Nachbarn bewegst. 3: Schwimme so, dass du auf das Zentrum der Tiere zuhältst, die du in deinem Umfeld siehst. So halten Schwarmfische einen Idealabstand zu ihren Nachbarn ein, kommen näher oder weichen zurück.
Freistil
Der Eisbär wirkt zwar auch im Wasser etwas träge, ist jedoch ein exzellenter Schwimmer – wenn auch mit sehr eigenem Stil. Die Vorderbeine benutzt er zum Paddeln, die Hinterbeine zieht er hinter sich her, ähnlich wie ein Hund. Außerdem erhöht die im Fell eingeschlossene Luft zusammen mit der dicken Speckschicht den Auftrieb, sodass es manchmal so aussieht, als würde er im Wasser sitzen. Mit der zunehmenden Eisschmelze wird die Schwimmfähigkeit für den Eisbären überlebenswichtig. Die Tiere verbringen den Winter und das Frühjahr auf dem Packeis in der Arktis, wo sie Robben jagen und sich Fettreserven anfressen. Durch die abnehmende Eisfläche seien sie gezwungen, deutlich längere Strecken zu schwimmen, berichtet die Naturschutzorganisation WWF. Eisbärenmütter schwimmen bis zu 30 Kilometer am Stück.
Wasserspringen
Pinguine gehören eigentlich zu den Vögeln. Im Laufe der Evolution haben sie vor Millionen von Jahren ihre Flugfähigkeit verloren. Offenbar gab es im Wasser mehr Nahrung für sie zu holen als an Land. Heute fliegen sie also durchs Wasser. Zudem beherrschen sie das sogenannte Delfinschwimmen. Für einen kurzen Sprung – bis zu 1,50 Meter Höhe – verlassen sie das Wasser. Kaiserpinguine bleiben manchmal bis zu 18 Minuten unter Wasser. Tauchtiefen bis 500 Metern wurden dabei bereits gemessen. Während des Tauchens reduziert sich der Herzschlag der Tiere, was den Sauerstoffverbrauch verringert. Zoologen haben einmal errechnet, dass Pinguine auf ihre Körperlänge bezogen bis zu siebenmal schneller schwimmen als der Mensch. Im Durchschnitt erreichen sie Geschwindigkeiten bis zu zehn Kilometer pro Stunde.
Delfinschwimmen
Die Art der Delfine, in einem eleganten Bogen aus dem Wasser zu springen und wieder einzutauchen, ziert viele kitschige Poster. Lange nahm der Mensch an, sie hopsten aus purer Lebensfreude. Heute bieten Forscher mehrere andere Erklärungen an. Zum einen sind Delfine natürlich keine Fische, sondern gehören zu den Meeressäugern, die wie der Mensch mit Lungen atmen und ab und zu nun mal das Bedürfnis haben, Luft zu holen. Die Reinigungstheorie besagt darüber hinaus, dass Delfine springen, um einen Schmutzfilm aus Parasiten auf der Haut loszuwerden. Andere Experten vermuten, dass sie über der Wasseroberfläche nach Hinweisen für die Nahrungssuche Ausschau halten. Die dritte Theorie vermittelt, dass sich die Tiere durch Sprünge schneller fortbewegen können, da Wasser einen größeren Reibungswiderstand hat als Luft.
Brustschwimmen
Wenn sich der Mensch das Brustschwimmen irgendwo abgeguckt hat, dann wohl beim Frosch. Die Hinterbeine sind äußerst lang, muskulös und dehnbar. So können die Amphibien zusammen mit den ausgeprägten Schwimmhäuten zwischen den Zehen nicht nur kraftvoll schwimmen, sondern auch wie ein Katapult aus dem Wasser herausspringen. Als Kaulquappe lebt der Froschnachwuchs ausschließlich im Wasser, atmet mit Kiemen und besitzt eine Schwanzflosse zur Fortbewegung. Später bilden sich dann die vier Beine: Ein Leben sowohl an Land als auch im Wasser wird möglich. Erwachsene Tiere haben verschiedene Optionen zu atmen: durch die Haut, durch die Membran im Mund, durch Nase und Lunge und durch Kiemen, welche manche Arten nach der Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch behalten.
Rückenschwimmen
Mancher Besitzer eines Aquariums bekam schon einen kleinen Schock und setzte einen Hilferuf in einem Internetforum ab: „Mein neuer Wels treibt auf dem Rücken. Ist er tot?“ Erfahrene Aquarianer raten in diesem Fall nicht zu Panik. Handelt es sich nämlich um einen Rückenschwimmenden Kongowels, ist dieses Schwimmverhalten ganz normal. Das eigentlich im afrikanischen Kongo beheimatete Tier schwimmt meistens mit dem Bauch nach oben. Am Bauch ist er dunkler, sodass ihn Vögel oder große Fische von oben gegen den Gewässergrund schlechter erkennen können. Der Rücken ist heller, was wiederum eine bessere Tarnung gegen Fressfeinde von unten ist. Eine Theorie besagt, dass der Wels die Rückenlage bevorzugt, weil er so direkt unter der Wasseroberfläche schwimmend Insekten bequemer fressen kann.