Zurück zu den WurzelnEdel-Restaurants entdecken das Gemüse wieder

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Illustration: Gemüse und Kräuter auf einem tisch

Noch vor 20 Jahren war Gemüse in Gourmetrestaurants oftmals nur schmückendes Beiwerk.

Die Kulinarik denkt das Gemüse neu. Gemüseparfüms sollen das Geschmackserlebnis verbessern. Und manche Köche experimentieren mit neuen Reifegraden auf dem Acker.

Noch vor 20 Jahren war Gemüse in Gourmetrestaurants oftmals nur schmückendes Beiwerk. Rote Bete etwa wurde in Form von Chips oder Püree zur Taube serviert. Blumenkohl lag in Form von Creme unter Rochenflügeln. Wurden dann doch mal pflanzliche Zutaten zum Hauptakteur auf dem Teller gemacht, handelte es sich um edle Trüffeln.

Dem nachhaltigen Zeitgeist und Küchenbewegungen wie der New Nordic Cuisine ist es geschuldet, dass die Arbeit und Auseinandersetzung mit Gemüse in Restaurantküchen stetig zunehmen, nicht nur in der Breite, vor allem auch in der Tiefe.

Andreas Mayer aus dem Schloss Prielau in Zell am See experimentiert etwa seit Jahren mit Gemüseparfüms, er hat dem ausgefallenen Thema sogar sein jüngstes Kochbuch „Der Duft von Gemüse: Vegetarische Gerichte für Genießer“ gewidmet. Möhren, Rote Bete oder Paprika werden bei ihm in Alkohol eingelegt und mittels eines Rotationsverdampfers extrahiert. Mehr als 130 Kräuter, Früchte und Gemüse hat der Koch mittlerweile auf Flakons gezogen, die dezent als Effekt in seine Menüs eingebaut werden. Lorbeeressenz wird etwa auf einen Duftstreifen gesprüht und den Gästen zu „Orangen-Ravioli mit grünem Spargel“ gereicht. An einem Limettenparfüm dürfen Gäste vor einer „Zitronentarte mit Zitronensorbet“ schnuppern.

Geruch als Geschmacksverstärker

Die Düfte sollen die Gäste auf die Speisen einstimmen und versprechen ein ganzheitliches sowie intensiveres Genusserlebnis. Abwegig ist das nicht: Der Mensch kann zwar nur wenige Geschmacksrichtungen (wie salzig, sauer oder süß) wahrnehmen, dafür aber bis zu 20.000 Geruchsnuancen unterscheiden. Nicht zuletzt deswegen wirken duftlose Gerichte oft seelenlos, was sich in der Hochphase der Molekularküche erleben ließ: Zutaten wurden in den Avantgardeküchen gern getrocknet, geliert, verkapselt und Pop-Art-gleich in knallbunten Farben auf dem Teller arrangiert. Sah toll aus, schmeckte aber selten, wenn jeglicher Geruch verloren gegangen war.

„Erinnerungen an gutes Essen sind oft mit dem Geruch verbunden“, sagt Andreas Mayer, der bei der Qualität seiner Parfüms nicht nur auf moderne Technik, sondern vor allem auf den perfekten Reifegrad der Gemüse setzt. Er bewirtschaftet sogar einen eigenen kleinen Gemüsegarten – denn alle Lebensmittel haben einen oder mehrere Höhepunkte in ihrer Vegetationsphase.

Das Leaf-to-Root-Prinzip

Wohl jeder hat schon Erdbeeren gekostet, die besonders aromatisch waren. Oder Spargel, der sehr süßlich schmeckte. Die Japaner haben diesen kurzen Genussmomenten sogar einen Küchenstil gewidmet: In der Kaiseki-Küche bereitet ein Koch ein Menü aus saisonalen Zutaten zu, die es gerade im besten Zustand gibt. „Das hat etwas mit Naturverbundenheit und Naturerleben zu tun. Der Geist eines Moments wird in einem Gericht eingefangen“, erklärt Japan-Kenner, Koch und Philosoph Malte Härtig.

Aber auch bei uns finden diese Erkenntnisse vermehrt Beachtung. Bekannt ist dafür seit Jahrzehnten etwa das Nürnberger Essigbrätlein. Bereits in den frühen Morgenstunden ist Küchenchef Andree Köthe auf den Gemüsefeldern des fränkischen Knoblauchslands unterwegs, um seine Zutaten im perfekten Reifestadium zu ernten, der sogenannten Mikrosaison. Seien es junge Erbsen, frische Grünkohltriebe oder geschossener Lauch, der nur drei Tage ein wahrer Hochgenuss ist: „Ich glaube, wir kennen nur 15 Prozent der Reifestufen von Gemüse“, ist Köthe überzeugt.

Das Essigbrätlein, aber auch Restaurants wie das Wiener Steirereck, sind außerdem dafür bekannt, ihr Gemüse ganzheitlich zu verwerten, nach dem Leaf-to-root-Prinzip. In den Küchen werden Topinamburschalen getrocknet und pulverisiert als Gewürz eingesetzt. Abschnitte von Rote Bete werden entsaftet, reduziert und geliert. Oder der zarte, erdig-feinbittere Strunk eines Weißkohls ausgelöst und sanft gegart.

Topinambur vor Alpenkulisse

Gemüse ist eben nicht gleich Gemüse, ja sogar Anbaugebiet, Anbauhöhe, Böden, Klima und damit der Ausdruck des Terroirs stehen zur Diskussion. Im österreichischen Verein „Koch.Campus“ mit 71 Mitgliedern wird versucht, das Fachwissen von Landwirten mit Erfahrungswerten von Köchen zusammenzuführen. Dazu gehören auch der Koch Thorsten Probost und der Hotelier Joschi Walch vom Rote Wand Gourmet Hotel in Lech am Arlberg, die auf über 1500 Metern ein besonderes Projekt auf den Weg gebracht haben: Gemüseanbau.

„Es gibt historische Belege, dass hier früher Gemüse angebaut wurde, vielleicht ist es in schneereichen, kalten Perioden in Vergessenheit geraten“, mutmaßt Probost, der den Böden beste Voraussetzungen für Gemüseanbau attestiert. Getüftelt wird mit der Hanglage der Äcker oder dem Sonnenstand. Topinambur, Kartoffeln, Spargel, Petersilienwurzel, Ackersalat oder Buchweizen werden derzeit vor der Alpenkulisse gesät. Im Fokus stehen auch gerne alte Gemüsesorten und Exoten, wie Glücksklee-Rübchen oder Rattenschwanz-Radieschen – aber warum der Aufwand?

„Auch in der Kulinarik ist es entscheidend, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Joschi Walch, der – wenngleich nicht alle Gemüse für seinen Betrieb in Zukunft aus Eigenanbau kommen werden – seine Waren „nicht mehr in der ganzen Welt zusammenkaufen will“. Der Genuss soll dabei nicht zu kurz kommen, im Gegenteil: Das Alpengemüse soll einmal einen eigenen kulinarischen Fußabdruck besitzen, und die Qualität soll schmeckbar sein. Im Herbst möchten sich die Mitglieder vom „Koch.Campus“ sogar zu einer ersten Vergleichsverkostung treffen, auf dem Seziertisch der Analyse: Alpen- versus Bodenseegemüse.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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