10 bittere Erkenntnisse aus dem WeltklimaberichtGegen Risiken wappnen

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Flut

Wetterextreme werden laut Weltklimabericht auch die wichtigen Infrastrukturen immer stärker bedrohen.

  • Der Klimawandel verläuft folgenschwerer als gedacht.
  • Die Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft sind enorm.
  • Erstmals betont der Weltklimarat die Bedeutung von Umweltschutz für unser Wohlergehen.
  • Gegen viele Gefahren können wir etwas tun.

1. Artenvielfalt

Der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC von Montag bezeichnet die Beziehung Mensch, Umwelt, Klima als „gegenseitige Abhängigkeit“. Aber der Klimawandel verursacht an der Natur „substanzielle Schäden“, wie es im Bericht heißt. Das NRW-Umweltministerium legte dazu am Dienstag den Ersten Naturschutzbericht NRW vor. Der macht zwar Verbesserungen sichtbar: Einst verschwundene Tiere sind zurückgekehrt, etwa Biber und Uhu. Die Analyse der einzelnen Lebensräume verdeutlicht aber den kritischen Zustand der Biodiversität im Land. Handlungsbedarf bestehe weiterhin, kommentiert Ministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Auch Verbraucher können dazu beitragen, indem sie nachhaltige, regionale und saisonale Produkte kaufen sowie heimisches Holz nutzen und Gärten blühen lassen.

2. Ökosysteme

Ohne gesunde Ökosysteme kann der Klimawandel kaum gestoppt werden, denn sie sind als CO2-Speicher unerlässlich und tragen dazu bei, dass Klimafolgen gemildert werden. Moore und Feuchtgebiete spielen hier eine wichtige Rolle. In NRW gibt es drei große Moore und viele kleinere Feuchtgebiete. Umweltschützer machen schon lange darauf aufmerksam, dass diese Flächen nicht nur Kohlenstoff im Boden halten, sondern auch die Auswirkungen von Starkregen, Hochwasser, Dürre oder Hitze abmildern. Derzeit erarbeitet laut NRW-Umweltministerium das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) eine Konzeption zur Wiederherstellung von Mooren und Biotopen, die noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen demnach ökologisch aufgewertet werden – durch Steigerung des Öko-Landbaus sowie den Ausbau der Agrarumweltmaßnahmen, kündigte Ministerin Heinen-Esser jüngst an.

3. Gesundheit

Hitze ist eines von insgesamt 127 Schlüsselrisiken, die der Weltklimarat listet. Auch in NRW hat sich diese Klimafolge bereits in den Hitze-Sommern 2018 und 2019 bemerkbar gemacht. Der IPCC warnt nun eindringlich vor den gesundheitlichen Gefahren und rechnet vor: Erwärmt sich die Atmosphäre um drei Grad, könnte sich die Zahl hitzebedingter Todesfälle bis 2050 vervierfachen. In Großstädten ist die Auswirkung gravierend. Wetter-Experte Sven Plöger sagt: „Bei sommerlichen Hitzewellen wird es in der Stadt bis zu neun Grad wärmer als im Umland, nachts kühlt es nicht mehr ab. Das hängt damit zusammen, dass Städte so sind, wie sie sind, nämlich versiegelt.“ Was es dagegen braucht: Natur und Wasser in der Stadt, um sie runter zu kühlen sowie Korridore zur Be- und Entlüftung.

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4. Überschwemmungen

NRW und Rheinland-Pfalz werden noch Jahre mit den Folgen der Hochwasserkatastrophe 2021 zu kämpfen haben. Die Zahl der Überschwemmungen habe aber in ganz Deutschland und dem Rest Europas bereits zugenommen, schreibt der Weltklimarat. In Deutschland könne sich die Zahl der Starkregen-Ereignisse in den Sommermonaten verdoppeln, wenn der Treibhausgas-Ausstoß hoch bleibe. Das würde zu mehr Überschwemmungen führen. 1,5 Millionen Menschen lebten in überschwemmungsgefährdeten Gebieten.

5. Forst- und Landwirtschaft

Der Weltklimarat zeigt in seinem Bericht auch die wirtschaftlichen Folgen des menschengemachten Klimawandels auf. Zwar sind zurzeit noch besonders tropische und subtropische Regionen betroffen, wenn es um Ernteschäden und -ausfälle geht. Aber die Wissenschaft hat auch längst unsere Breiten im Blick: Das Institut für Bio- und Geowissenschaften, Bereich Agrosphäre, am Forschungszentrum Jülich errechnet, wie viel Wasser für Land- und Forstwirtschaft zur Verfügung stehen, aber auch, welche Auswirkungen Waldschäden durch Trockenheit und Hitze etwa in der Eifel haben. Fazit: Im Gegensatz zu einigen Gebieten in Ostdeutschland sind die Agrarflächen in Kölner Bucht, Zülpicher und Jülicher Börde, was die Bewässerungskapazitäten angeht, noch privilegiert.

Allerdings bergen die großen Flächen abgestorbener Fichten viele Nachteile: Sie fallen als CO2-Speicher weg, emittieren im Gegenzug aber reichlich Kohlenstoff; sie entfallen als Verdunstungsfläche und tragen damit zur weiteren Erwärmung der Atmosphäre bei. „Unsere Fichtenwälder sind ein typisches Beispiel für einen Kipppunkt: Hier ist er bereits überschritten. Die Auswirkungen des Klimawandels werden durch die Kahlschlagflächen noch weiter verstärkt“, sagt Nicolas Brüggemann, einer der verantwortlichen Wissenschaftler.

6. Energiewende

Um der steigenden Erderwärmung etwas entgegenzusetzen, müssen dringend die Treibhausgas-Emissionen reduziert werden. Das kann nur mit der Energiewende gelingen. Der Stopp der Zertifizierung für die Gaspipeline North Stream 2 bringt Deutschland langfristig auf den richtigen Weg zur vollständigen Klimaneutralität. Jedoch bleibt die Frage, wie die Versorgungslücke mit Gas kurzfristig geschlossen werden kann.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will den Ausbau Erneuerbarer Energien forcieren. Mit guten Argumenten: Windkraft und Photovoltaik machen Deutschland unabhängiger von russischen Gaslieferungen. Das wird bei allem politischen Willen aber so schnell nicht gehen. Kurzfristig ist die Gefahr groß, dass Deutschland aus Gründen der Versorgungssicherheit vom Klimapfad wird abweichen müssen: Durch Import von Flüssiggas (LNG) aus anderen Ländern und einen steigenden Anteil der Kohleverstromung.

7. Kosten

Es wird viel Geld kosten, die Landwirtschaft, die Industrie, den Verkehr, die Bau-Industrie und viele andere Bereiche auf klimafreundlich umzustellen. Aber wie teuer es die Gesellschaft kommt, dies nicht zu tun, wird immer offensichtlicher. Der Weltklimabericht sieht auch wirtschaftliche Schäden für die Energiewirtschaft und den Tourismus kommen. Und natürlich als Folge von Extremwetterlagen: Allein für die erwarteten Überschwemmungen rechnet der IPCC mit Milliardenbeträgen.

8. Resilienz

Klimaresilienz, also die Anpassung an die Klimafolgen, ist ein großes Thema im IPCC-Bericht. Fortschritte und Bemühungen erkennt er an, zeigt aber auch auf, dass viele Initiativen auf eine kurzfristige Risikominderung abzielen, statt langfristige Transformationen zu befördern. In NRW hatte Umweltministerin Heinen-Esser noch im Dezember die Kommunen aufgefordert, rasch Klimaanpassungskonzepte zu erarbeiten. Bis dato hatten das im Land erst 15 Prozent der Kommunen getan. Die rot-grüne Opposition moniert, der letzte Haushalt vor der Landtagswahl sehe keinen Euro mehr für die geforderte Anpassung vor.

9. Leben in der Stadt

Der Klimawandel verändert Städte schon jetzt. Der Weltklimabericht zeigt auf, wie bisher genutzte Transport-, Wasser-, Sanitär-, und Energiesysteme bei steigender Erderwärmung nur noch eingeschränkt funktionieren. An Extremwetter kann sich die Infrastruktur teilweise anpassen. „Die Zunahme von Extremwetter und Durchschnittstemperaturen betrifft alle Regionen“, sagt Andreas Vetter vom Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung des Umweltbundesamts.

Es gibt viele Möglichkeiten, Städte besser an den Klimawandel anzupassen. Flächen können wieder entsiegelt werden, damit Wasser besser versickern kann. Mehr Bäume, Fassaden- und Dachbegrünung kann gepflanzt werden, wenn Autos wirklich weichen. Sie spenden Schatten, kühlen und halten Wasser zurück. Gut gedämmte Gebäude, in denen die Wärme im Winter gespeichert bleibt, helfen, dass im Sommer die Räume kühl bleiben. Sportplätze, Spielplätze und Parkplätze könnten so konzipiert werden, dass sie bei Starkregen kontrolliert geflutet werden – und während Hitzewellen ausreichend Schatten spenden. Das zeigt jedoch auch: Die eine große Maßnahme, die alle Folgen des Klimawandels auf einmal abpuffert, gibt es nicht. 

10. Belastung

Ein ganzes Kapitel des Weltklimaberichts befasst sich auch mit den psychischen Folgen des Klimawandels für einzelne Menschen, aber auch die Beeinträchtigung von Gemeinschaften. Die Folgen von Flut und Dürren führen zu Traumata. In ärmeren Ländern könnten Wasserknappheit und Ernteausfälle Konflikte verschärfen oder soziale Unruhen auslösen, die auch in Europa Folgen hätten, etwa durch Migration.

Mitarbeit: Peter Berger, mit dpa

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