200 Jahre Schlacht von WaterlooDie Legenden von Napoleons großer Niederlage

Bei den so genannten Reenactments wird die Schlacht von Waterloo jedes Jahr am Originalschauplatz nachgestellt.
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Berlin – Am 18. Juni 1815 wurde Napoleon endgültig besiegt. Auf einem Schlachtfeld nicht einmal 20 Kilometer von Brüssel entfernt. In der Schlacht bei Waterloo. So lesen wir heute. So weiß es jeder. So ist es in den Sprachgebrauch eingegangen. Im Englischen und im Deutschen findet man sein Waterloo, wenn man definitiv scheitert.
Dieser Blick auf die Geschichte ist das Ergebnis nicht der napoleonischen Kriege, sondern der Niederlagen des Deutschen Reiches im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Davor sprach man in Preußen von der Schlacht bei Belle Alliance. Im Gasthof dieses Namens hatten die preußischen Truppen ihr Kommando untergebracht. Also hieß der große Platz in Kreuzberg, der einfach nur „Das Rondell“ genannt worden war, am dem Oktober 1815 „Belle-Alliance-Platz“. 1946 wurde er umbenannt in Mehring-Platz.
Im Dorf Waterloo saßen 1815 die Engländer mit Wellington an der Spitze. Darum heißen in England und in mit England verbundenen deutschen Gegenden, wie zum Beispiel Hannover, die entsprechenden Plätze, Straßen, Denkmäler alle irgendetwas mit Waterloo.
Das Erste, was man bei der Beschäftigung mit der Schlacht von Waterloo lernen kann: Nach den Schlachten der Geschichte kommen die Schlachten der Geschichtsschreiber. Waterloo war für die angelsächsische Geschichtsschreibung so wichtig, weil dadurch die Briten als die dastanden, die Napoleon besiegt hatten. Das war im 19. und frühen 20. Jahrhundert nur eine Frage des nationalen Prestiges. Die Deutschen hielten dagegen mit dem Wellington zugeschriebenen Stoßseufzer: „Ich wollte es wäre Nacht und die Preußen kämen.“ Die britischen Historiker hielten dagegen: Welligton habe nicht geseufzt, sondern mit diesen Worten in aller Gelassenheit erklärt, das Ende Napoleons sei sicher: entweder durch den Eintritt der Nacht oder die Ankunft der Preußen.
Napoleon hatte kein Chance
Interessant wurde der Streit wieder in den Jahren des Kalten Krieges. Jetzt war aus ganz anderen Gründen wichtig festzuhalten: Napoleon war nicht an Russland gescheitert, die Große Armee war nicht 1812 – wie von Tschaikowski komponiert – untergegangen, sondern erst drei Jahre später durch eine von den Briten geführte Koalition.
Die Niederlage Napoleons, seine Verfrachtung nach Elba, der Wiener Kongress – wären Makulatur gewesen, hätten Wellington und die Seinen den 100-Tage-Versuch Napoleons nicht so bravourös gestoppt. Als Napoleon Elba verlassen hatte, schrieb ein Journalist des „Moniteur“ spöttisch, dieser Versuch des ehemaligen Kaisers, wieder an die Macht zu kommen, werde von ein paar entschlossenen Polizisten verhindert werden. Das war deutlich übertrieben. Aber die Vorstellung, Napoleon habe eine Chance gehabt gegen das auf dem Wiener Kongress sich gerade antinapoleonisch vereinigte Europa, ist eher kurios. Sie lebt von der Idee, Geschichte sei nur das, was passiert sei und das, was nicht geschehen sei, spiele keine Rolle.
Hätte es kein Waterloo gegeben, hätte ein Dorf ein paar Kilometer weiter dem Spuk des zum Wiedergänger geschrumpften Napoleon ein Ende gemacht. Napoleon hatte keine Chance, dass er sie nutzen wollte, kostete bei Waterloo um die 20000 Menschen und 15000 Pferden das Leben.
Über wenige Schlachten der Weltgeschichte ist man so gut informiert wie über die von Waterloo. Kaum eines der teilnehmenden Regimenter, dessen Taten kein eigenes Buch bekommen hätte. Man erstickt im Material. Nahezu jeder Minute können mehrere Ereignisse zugeordnet werden. Auch fast jeder der verschiedenen Schauplätze hat seinen Erzähler bekommen. Der britische Historiker Brendan Simms, ein Meister des großen Überblicks, hat in seinem schmalen Buch „Der längste Nachmittag“ (C.H.Beck) eine dichte Beschreibung vorgelegt der Kämpfe um den Meierhof La Haye Sainte, den die „King’s German Legion“ ein paar Stunden lang gegen die anstürmenden Franzosen hielt, sodass die Preußen Zeit hatten, zum Schlachtfeld zu kommen.
Das älteste Genre der Weltliteratur
Bernard Cornwell, einer der erfolgreichsten Autoren historischer Romane, hat ein Sachbuch über Waterloo geschrieben (erschienen bei Wunderlich) mit der Begründung, der Plot den die Geschichte schrieb, sei besser als jeder, den sich ein Autor ausdenken konnte. Johannes Willms hat mit der ihm eigenen Bravour über „Waterloo - Napoleons letzte Schlacht“ (C.H. Beck) geschrieben und unbedingt zu lesen ist der bei Siedler erschienene Band des in Bradford lehrenden Munro Price: „Napoleon - Der Untergang“.
Waterloo ist in der Geschichtsschreibung auch darum so beliebt, weil es von Männern und Schlachten handelt. Man bewegt sich nicht nur im ältesten Klischee, von dem, was Geschichte sein soll, sondern auch in einem der ältesten literarischen Genres der Weltliteratur. So hat man ein festes Koordinatensystem, das einen gut trägt, gegen dessen Stachel sich aber auch hervorragend löcken lässt. Johannes Willms berichtet zum Beispiel davon, dass man den Leichen, bevor sie in Massengräber geworfen wurden, die Zähne ausschlug. So mancher alte Mann trug noch viele Jahre die „Waterloo-teeth“ eines der jungen dort gefallenen Soldaten.
Es sind die kleinen Geschichten, die die große Schlacht, die sich aus einer Fülle von Metzeleien zusammensetzte, interessant machen. Ich glaube nicht daran, dass die Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen hätte, wäre Napoleons Plan, Preußen und Engländer getrennt zu schlagen, aufgegangen.
Waterloo war die blutige Farce nach dem Ende der napoleonischen Epoche. 1831 veröffentlichte Christian Dietrich Grabbe sein damals sehr erfolgreiches Stück „Napoleon oder Die hundert Tage“. Enden lässt er es mit einer Blücher-Rede: „Wellington, lass deine Leute etwas rasten – sie hatten heute die drückendste Arbeit – Dafür übernehmen wir um so eifriger die Verfolgung, und verlaß dich drauf, sie soll unseren Sieg vollenden, wie noch keinen andern! - Vorwärts Preußen!“ Preußen auf dem Weg nach Westen.