8. Mai Tag der BefreiungDie Stunde Null

Historischer Händedruck zwischen Rotarmisten (rechts) und US-Soldaten am 25. April 1945 auf der zerstörten Brücke über die Elbe bei Torgau
Copyright: dpa Lizenz
Köln – So total wie der Krieg war die Niederlage. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete die größte Menschheitskatastrophe der Geschichte, verursacht durch Nazi-Deutschland unter dem Diktator Hitler. Auf den Trümmern des Krieges erwuchs der Traum einer besseren Welt, obwohl für Millionen Menschen das Schlimmste noch bevorstand durch Hunger, Elend und Vertreibung.
Dabei hatte sich der Machtwechsel nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 innerhalb weniger Stunden oder sogar Minuten fast stillschweigend vollzogen. Die Menschen in Deutschland erlebten in gespannter Ruhe und Angst den Übergang von der Nazi-Herrschaft in die Befreiung. Die Stunde null war eine Art Niemandszeit. Wo eben noch Hitlerjungen Panzerfäuste in Stellung gebracht hatten und verblendete Parteifunktionäre Bürger erhängen ließen, waren die Nazis kurze Zeit später verschwunden und die Alliierten vor Ort. Die fremden Soldaten handelten schnell, verhafteten Nazis, verhängten Ausgangssperren, setzten „Unbelastete“ ins Amt. Sie sagten den Deutschen fortan, was sie zu tun oder zu lassen hatten.
Die Alliierten setzten damit nur um, was sie seit 1943 geplant hatten. Und das hieß, dass die völlige Kapitulation Deutschlands die Entwaffnung der Wehrmacht, die Aufteilung des Landes in Besatzungszonen und die Übernahme der Macht durch die Besatzungstruppen der Russen, Briten, Franzosen und Amerikaner zur Folge hatte. „Die Deutschen sollten spüren, dass sie den Krieg verloren hatten“, beschrieb es der Historiker Ulrich Herbert. Zweifel, wie etwa im Jahr 1918, als die von Hindenburg erfundene Dolchstoßlegende suggerierte, die Politik sei dem Militär in den Rücken gefallen, sollten erst gar nicht aufkommen. Diese völlige Niederlage von 1945 barg auch eine Chance für die Deutschen. Nichts von dem, was politisch bis dato galt, war zukunftsfähig. Das erkannten die meisten Deutschen. Die Folge war, dass es eine rasche Bereitschaft der Menschen gab, sich vom Nationalsozialismus vollständig zu distanzieren.
27. Januar Sowjetische Truppen befreien das KZ Auschwitz. Ende Januar schiebt sich die 1. Belorussische Front unter Marschall Georgi Schukow bis an die Oder vor. Bis Berlin sind es nur noch 80 Kilometer Luftlinie.
2. Februar Die ersten Truppen von Generaloberst Wassili Tschuikow, der südlich von Schukows Hauptkräften operiert, überschreiten die Oder.
4. bis 11. Februar Im Liwadija-Palast von Jalta treffen sich die alliierten Staatschefs Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin. Es ist der zweite von drei Gipfeln der „Großen drei“. Themen der Konferenz sind vor allem die Aufteilung Deutschlands, die Machtverteilung in Europa nach dem Ende des Kriegs und der Krieg gegen das japanische Kaiserreich.
7. März Die US-Armee überschreitet den Rhein bei Remagen. Bis Berlin sind es noch 480 Kilometer Luftlinie.
12. April US-Präsident Roosevelt stirbt. Sein Nachfolger Harry S. Truman beginnt sein Amt mit einer Warnung an Stalin, die Abmachungen von Jalta, besonders in Bezug auf Polen, einzuhalten.
21. April Die 5. Stoßarmee unter dem Kommando von Generaloberst Nikolai Bersarin erreicht offiziell als erster sowjetischer Kampfverband in Höhe von Marzahn die Berliner Stadtgrenze. Der Tradition gemäß wird Bersarin zum Stadtkommandanten von Berlin ernannt.
25. April Amerikaner und Russen treffen sich an der Elbe. In San Francisco werden die Vereinten Nationen gegründet.
30. April Hitler und Eva Braun, die er kurz zuvor noch geheiratet hatte, begehen im Bunker unter der Neuen Reichskanzlei Selbstmord. Joseph Goebbels folgt ihm mit seiner ganzen Familie nach.
2. Mai In den Morgenstunden kapituliert General Helmuth Weidling im Gefechtsstand General Tschuikows in Berlin-Tempelhof. Die Schlacht um Berlin ist geschlagen. Der Endkampf um die Hauptstadt forderte Schätzungen zufolge über 170 000 Gefallene und 500 000 verwundete Soldaten sowie den Tod mehrerer Zehntausend Zivilisten.
7. Mai Die Wehrmacht kapituliert im Hauptquartier der Westalliierten in Reims.
8. Mai Die Kapitulation wird in Berlin-Karlshorst, im Hauptquartier von Bersarin, wiederholt. Die deutsche Staats- und Wehrmachtführung räumt den alliierten Siegermächten das Recht ein, alle politischen, militärischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu regeln.
1. Juni US-Präsident Truman unterschreibt die Ermächtigung, die Atombombe über Japan einzusetzen.
4. Juli Die Westalliierten übernehmen die Westsektoren von Berlin. Das Verfahren der deutschen Teilung hatten die „Großen drei“ während der Konferenz von Teheran 1943 festgelegt. In Jalta wurde dann auch der Siegermacht Frankreich eine Besatzungszone zugestanden, die den Anteilen der USA und Großbritanniens entnommen wurde.
16. Juli Eröffnung der Potsdamer Konferenz. Zu den wichtigsten Beschlüssen zählen die Westverschiebung Polens und der „geordnete und humane Transfer“ deutscher „Bevölkerungsteile“ aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn.
6. August Über Hiroshima zünden die USA die erste Atombombe. Eine weitere folgt am 9. August über Nagasaki.
Der totale moralische Bankrott und die Totalität der politischen Niederlage waren für jedermann klar erkennbar. Wie in Deutschland der Weg in die Demokratie beschritten wurde, in Bezug auf die Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit, wird von Historikern immer noch mit einem Staunen beschrieben. Der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern, der mit seiner Familie in den 30er Jahren vor den Nazis fliehen musste, adelte die Bundesrepublik als eine der besten Demokratien der Welt.
Doch bis dahin war es im Jahr 1945 noch weit. Politik spielte für die meisten Deutschen zunächst keine Rolle mehr. Es ging vielmehr um die Sicherung der puren Existenz. In vielen Teilen des Landes herrschte die blanke Not. Ein Prozess der Verelendung setzte sich fort, von Hunger und Kälte gezeichnete Menschen kämpften um ihr Überleben. Die Bevölkerung, so der Freiburger Geschichtsforscher Herbert, war im Unglück vereint.
Ein britischer Nachrichtenoffizier differenzierte dieses Bild freilich: Wie die Deutschen leben würden, würde davon abhängen, wo sie leben, berichtete er über seine Inspektionsreise im westrheinischen Gebiet. Menschen in den bürgerlichen Vororten machten auf ihn einen Eindruck, als wären sie vom Krieg nahezu unberührt. Die Deutschen trugen ihr persönliches Schicksal, aber auch das Leid der Unwissenheit über das Schicksal ihrer engsten Angehörigen. Millionen Männer waren in Kriegsgefangenschaft oder tot.
Hiervon erfuhren viele Familien erst Jahre später. Andererseits war Deutschland voll von Flüchtlingen oder sogenannten Displaced Persons. Es gab Racheakte und Plünderungen, welche die deutsche Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten. Das Land wirkte zerstört, das galt für Schienennetze, Straßen, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen. Andererseits gab es Hoffnung: Die Industrieanlagen waren nicht so ruiniert, wie es der äußere Anschein nahelegte. Nicht einmal zehn Prozent der deutschen Werkzeugmaschinen waren zerstört, war den Grundstein für das spätere Wirtschaftswunder legte.
Es war 1945 nicht zu Ende. Zwar wurde der Zweite Weltkrieg in Europa und im pazifischen Raum mit Unterzeichnung der Kapitulationsurkunden formal beendet. Aber das Elend ging weiter. Nur dass jetzt zumeist die vormaligen Täter die Opfer – und die vormaligen Opfer häufig die Täter waren. Flucht und Vertreibung, Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Plünderung, Kälte und Hunger beherrschten die Szenen. 1945 begann das amerikanische Jahrhundert. Das Zeitalter der Extreme, wie es der britische Historiker Eric Hobsbawm genannt hatte, setzte sich fort. Erst 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer, sollte es zu Ende gehen.