Entsetzen nach AfD-Geheimtreffen„Pläne erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“

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In diesem Gästehaus in Potsdam sollen AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben. Daran soll auch der bekannteste Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, teilgenommen haben.

In diesem Gästehaus in Potsdam sollen AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben. Daran soll auch der bekannteste Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, teilgenommen haben.

Einige AfD-Funktionäre wollen offenbar Ausländer aus Deutschland vertreiben. Politiker anderer Parteien sind geschockt und alarmiert.

Das Treffen radikal rechter Kreise mit Extremisten und AfD-Funktionären in Potsdam hat unter den anderen Parteien die Besorgnis wegen des wachsenden Einflusses der Alternative für Deutschland noch verstärkt. Führende Politiker sehen ein Alarmsignal und fordern mehr Engagement auch der Bürger selbst.

Geheimtreffen vor Rechtsextremen: AfD-Funktionäre sprechen über Abschiebungen

Bei dem Treffen in einer Villa stellte der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, der Österreicher Martin Sellner, Konzeptideen zur Vertreibung von Zugewanderten vor, die Sellner verharmlosend als „Remigration“ bezeichnet. Tatsächlich wurde den Recherchen zufolge aber darüber beraten, wie Abschiebungen im großen Stil durchgeführt werden könnten. Die AfD erklärte, dass es sich nicht um ein Parteitreffen gehandelt habe und dass sich nichts an ihren Positionen zur Einwanderungspolitik ändere.

Die demokratischen Parteien in Deutschland reagierten am Mittwoch und Donnerstag geschockt auf die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv.

Treffen radikaler Rechter und AfD-Funktionäre alarmiert andere Parteien

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sieht Parallelen zum Nationalsozialismus. „Die Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“, schrieb er auf X (früher Twitter). Die vom Medienhaus Correctiv angeführte Recherche „zeigt, dass die AfD die Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung zutiefst ablehnt“.

Bundeskanzler Olaf Scholz meldete sich am Donnerstag ebenfalls mit unmissverständlichen Worten: „Wir lassen nicht zu, dass jemand das ‚Wir‘ in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht“, so der Kanzler. Die Bundesregierung schütze alle, „unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist“.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann riefen Bürgerinnen und Bürger zum Engagement gegen die AfD auf. „An alle gerichtet, die nicht wollen, dass sich Geschichte wiederholt, appelliere ich: Bekennen Sie Farbe, und überlassen Sie das Feld nicht den Menschenfeinden“, sagte Kühnert den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Politiker demokratischer Partei reagieren entsetzt auf Correctiv-Recherche

Haßelmann mahnte auf X: „Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unser Grundgesetz und die Errungenschaften unserer vielfältigen Gesellschaft müssen wir verteidigen gegen die Feinde der Demokratie. Das ist hoffentlich spätestens jetzt vielen Menschen klar.“

Die Grünen-Politikerin Mona Neubaur befand mit Blick auf die AfD, dass eine Demokratie „ab einem gewissen Punkt [...] ihre Wehrhaftigkeit beweisen“ müsse. Auch CDU und Linke hatten sich bereits besorgt geäußert, die Spitzenpolitikerinnen und Politiker der Union äußerten sich bis zum Donnerstagmorgen allerdings nicht öffentlich zu den Enthüllungen bezüglich des Geheimtreffens. 

Nach Geheimtreffen: Verbotsverfahren gegen AfD wird wieder diskutiert

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warb dafür, trotz aller Risiken ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu prüfen. „Die AfD organisiert sich mit Demokratiefeinden und Umstürzlern. Das ist hochdramatisch“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“ (Donnerstag).

Wenn der Verfassungsschutz die AfD als eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei definiere, „muss der Staat sie genauestens beobachten und ein mögliches Verbot prüfen“. Zwar gab er zu bedenken: „Ein Parteiverbot hat hohe Hürden und jedes Verfahren dazu würde von der AfD propagandistisch ausgeschlachtet. Das Damoklesschwert eines Verbotes sollte aber über der AfD hängen bleiben.“

AfD-Politiker gibt Abschiebepläne im großen Stil offen zu

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zeigte sich in Sorge, weil nach seiner Ansicht viele Deutsche Bedrohungen für die Demokratie nicht ernst genug nehmen. Die Demokratie in Deutschland sei stärker bedroht, als es von der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen werde, sagte Thomas Haldenwang dem ARD-Politikmagazin „Kontraste“. Dies zeige sich an einer Gleichgültigkeit „gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien“.

Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach.
AfD-Politiker René Springer

Während die demokratischen Parteien nach dem enthüllten Geheimtreffen ihr Entsetzen ausdrückten, ging AfD-Politiker René Springer am Mittwoch in die Offensive. „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein #Geheimplan. Das ist ein Versprechen“, so Springer, der für die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag sitzt.

An dem Potsdamer Treffen teilgenommen hatte von der AfD etwa Roland Hartwig, Berater von Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel, nach Angaben eines Weidel-Sprechers hatte sie aber keine vorherige Kenntnis von Sellners Auftritt, obwohl der in der Einladung angekündigt war. Auch Sachsen-Anhalts AfD-Fraktionschef Ulrich Siegmund war dabei, wie er Correctiv bestätigte, sowie - nach eigenen Angaben erst später - der Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause.

Unter dem Begriff „Remigration“ verstehen Fachleute die Rückkehr von Menschen, die geflohen oder eingewandert sind, in ihre Herkunftsländer. Sellner schrieb der dpa in einer E-Mail, sein Vorschlag umfasse „nicht nur Abschiebungen, sondern auch Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck“. Er habe eine „Musterstadt“ vorgeschlagen, „die als Sonderwirtschaftszone in Nordafrika gepachtet und organisiert werden könnte“. (mit dpa)

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