Moderator verlässt BühneBoris Palmer sorgt mit Holocaust-Vergleich und N-Wort für Eklat

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Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Archivbild).

Bereits mehrfach mit rassistischer Wortwahl aufgefallen: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer steht erneut in der Kritik (Archivbild).

Boris Palmer verteidigt die Verwendung des N-Wortes und seinen Vergleich am Samstag trotz scharfer Kritik. 

Boris Palmer steht nach der Verwendung eines rassistischen Begriffs und einem Holocaust-Vergleich im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main in der Kritik. Der Politiker war Teilnehmer der Diskussionsrunde „Migration steuern, Pluralität gestalten“ auf einer Konferenz zum Thema Migration an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung lieferte sich der Tübinger Oberbürgermeister eine Auseinandersetzung mit Studierenden der Universität auf dem Campus. Seine Teilnahme an der Konferenz galt als umstritten. 

Boris Palmer sorgt mit N-Wort für Eklat an Goethe-Universität in Frankfurt

Palmer rechtfertige vor Beginn der Podiumsdiskussion gegenüber den Studierenden seine Verwendung des „N-Wortes“ – und sprach das Wort dabei auch aus. Der Tübinger Politiker wurde daraufhin mit „Nazis raus“-Rufen durch die Studierenden bedacht.

Daraufhin sagte Palmer zu der Menge: „Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal darüber nach.“ In den sozialen Netzwerken kursieren Videos der Szene, Palmer bestätigte die Authentizität der Aufnahmen am Samstag. 

Moderator stellt Arbeit ein: „Herr Palmer, mit Ihnen will ich nichts mehr zu tun haben“

Auf der sich anschließenden Podiumsdiskussion eskalierte die Situation schließlich weiter. Der Politiker verwendet das „N-Wort“ auf der Bühne erneut mehrfach – und verwies darauf, dass es bei der Verwendung des Begriffs auf den Kontext ankomme. Andere Konferenzteilnehmer teilten diese Ansicht offenbar nicht.

Der Psychologe Ahmad Mansour und der Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans entgegneten der „FAZ“ zufolge, der Begriff stelle eine Beleidigung dar – erst recht, wenn man ihn mehrfach wiederhole. Der Moderator der Veranstaltung legte seine Arbeit nach Palmers Auftritt sogar nieder. „Herr Palmer, mit Ihnen will ich nichts mehr zu tun haben“, sagte er – und verließ die Bühne. Auch von dieser Szene kursieren Videomitschnitte in den sozialen Netzwerken. 

„Vollkommen inakzeptabel“: Goethe-Universität fordert „öffentliche Entschuldigung“ von Boris Palmer

Die Ethnologin Susanne Schröter, die zu der Konferenz geladen hatte, distanzierte sich am Samstag von Palmers Worten. „Sein Verhalten hat die sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt und ist nicht akzeptabel“, schrieb Schröter auf Twitter.

Während der Veranstaltung hatte Schröter Beobachtern zufolge allerdings nicht interveniert, sondern die Moderation weitergeführt, nachdem der ursprüngliche Moderator seine Arbeit niedergelegt hatte. In einem weiteren Tweet erklärte sie dann, „das Beschimpfen von Konferenzteilnehmern als ‚Nazis‘ ist genauso zu verurteilen wie das Verhalten Boris Palmers.“ 

Die Goethe-Universität nahm zu dem Eklat ebenfalls am Samstag Stellung. „Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe-Universität nicht toleriert – dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe“, erklärte Universitätspräsident Enrico Schleiff.

Scharfe Kritik an Boris Palmer: „N-Wort-Orgie ist lustvolles Kokettieren mit Rassismus“

„Palmers Rechtfertigungsversuche der Verwendung des von ihm gewählten Wortes während der Tagung verurteile ich aufs Schärfste und akzeptiere dies weder persönlich noch als Präsident“, hieß es weiter. Von dem Tübinger Politiker erwarte man nun eine „öffentliche Entschuldigung“.

Palmers Äußerungen sorgten jedoch auch abseits der Universität für scharfe Kritik. Als „Relativierung des Holocausts“ bezeichnete der ehemalige Grünen-Politiker Volker Beck die Wortwahl Palmers. Der Auftritt des Tübinger Oberbürgermeisters sei „beschämend nicht nur für die Goethe Uni, sondern auch die Hertie Stiftung als Träger der Veranstaltung“, schrieb unterdessen Tarik Abou-Chadi, Professor der Politikwissenschaften an der Universtität Oxord.

Boris Palmer bestätigt Vorfall - und verteidigt seine Wortwahl

Der Historiker Jürgen Zimmerer nannte Palmers „N-Wort-Orgie“ derweil ein „lustvolles Kokettieren mit Rassismus“.  Auch der Philosoph Max Czollek kritisierte Palmer, die Argumentation des Tübinger Oberbürgermeisters sei „erbärmlich“, schrieb Czollek bei Twitter.

Palmer bestätigte unterdessen am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass die Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung so gefallen sind – und verteidigte seine Wortwahl. „Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen“, erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht.

Boris Palmer nicht zum ersten Wahl wegen rassistischer Sprache in der Kritik

Er habe den Protestierern erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass „ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet“. Mehr wollte der 50-Jährige dazu am Samstag nicht sagen.

In einem Facebook-Post am Samstag erläuterte Palmer, er sage das N-Wort, weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. „Das hochumstrittene Wort“ gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz, behauptete Palmer. „Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Palmer für die Verwendung rassistischer Sprache in die Kritik gerät. Der Tübinger Oberbürgermeister hatte im Mai 2021 in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das N-Wort benutzt.

Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer endete mit Kompromiss

Mit dem Begriff wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. Palmers Äußerung hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende dieses Jahres ruhen lässt.

Im Oktober 2022 war er in Tübingen dann als unabhängiger Kandidat angetreten und war im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit – unter anderem gegen die Kandidatin der Grünen – für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Grüne-Spitzenpolitiker haben sich am Samstag bisher nicht zu dem neuerlichen Eklat um Palmer geäußert.

Eigener Anwalt lässt Palmer fallen

Palmers eigener Anwalt Rezzo Schlauch teilte mittlerweile mit: „Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt.“ Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: „Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen.“ Schlauch hatte Palmer damals im Parteiordnungsverfahren juristisch vertreten und auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt. (mit dpa)

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