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Buchvorstellung von Kamala HarrisDie Botschaft der Nicht-Präsidentin

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Das Bild zeigt die ehemalige Vizepräsidentin Kamala Harris bei der ersten Station ihrer Buchtournee für ihr neues Buch über ihre Präsidentschaftskampagne, "107 Days". Foto: Angelina Katsanis/FR172095 AP/AP/dpa

Die ehemalige Vizepräsidentin Kamala Harris winkt in der Town Hall zum Abschied nach der ersten Station ihrer Buchtournee für ihr neues Buch über ihre Präsidentschaftskampagne, '107 Days'.

Monatelang war Kamala Harris aus der Öffentlichkeit verschwunden. Nun meldet sich die Politikerin mit einer Buch-Tour zurück.

Es war eine historische Niederlage – ein persönlich traumatisches Scheitern und eine schicksalhafte Zäsur für das ganze Land. Kamala Harris hat ein 300-seitiges Buch darüber geschrieben. Doch bei dessen Vorstellung dient der 60-Jährigen die verlorene Wahl vom vergangenen Herbst plötzlich als Verteidigungsargument. „Ich bin nicht die amtierende Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika!“, ruft Harris irgendwann mit trotziger Stimme in den Saal: „Es gibt nichts, was ich tun kann.“

Nach monatelanger medialer Abstinenz steht die verhinderte erste schwarze US-Präsidentin an diesem Mittwochabend auf einer Bühne in New York. Nur eine Meile östlich, im großen Saal der Vereinten Nationen, hat sich ihr siegreicher Gegenspieler am Vortag mit einer wilden Tirade an die ganze Welt gewandt. Harris stellt in einem Theater am Times Square vor 1500 Menschen ihre Kampagnen-Chronik „107 Days“ vor. Am Ende halten ihre Fans das blaue Bändchen für ein Werbefoto in die Höhe.

Der späte Verzicht Bidens auf die Kandidatur

Nicht nur dieser Kontrast sagt viel aus über den aktuellen Zustand der Opposition in den USA aus. Ungeplant spiegelt die Veranstaltung auch ein zentrales Dilemma der Demokraten, die ein extrem breites Bündnis gegen den Möchtegernautokraten im Weißen Haus schmieden müssen. Harris – mit Hosenanzug und ihrem demonstrativ gutgelaunten Lachen – hat den Abend mit der Schilderung jenes Tages im Juli 2024 begonnen, an dem Ex-Präsident Joe Biden ihr seinen reichlich späten Entschluss zum Verzicht auf eine nochmalige Kandidatur mitteilte.

Das Bühnengespräch mit einem jungen Influencer plätschert zwischen Pancakes, dem präsidialen Telefonanruf und der Suche nach ihrem Ehemann Doug daher, als plötzlich ein Mann mit Corona-Maske im Publikum laut dazwischenbrüllt. „Ihr Erbe ist ein Völkermord! Das Blut der Palästinenser klebt an ihren Händen!“, schleudert er der einstigen Vizepräsidentin entgegen.

Solche Störungen bei politischen Veranstaltungen sind in den USA nichts Außergewöhnliches. Das Publikum erträgt sie normalerweise mit Kopfschütteln. Doch dieses Mal entlädt sich im Saal eine wütende, teilweise feindselige Stimmung. Immerhin hatten pro-palästinensische Aktivisten mit ihren Boykottaufrufen die Präsidentschaftskandidatin wichtige Stimmen in den Swing States gekostet. „Hau ab!“ und „Halt verdammt nochmal das Maul!“ bricht es aus zahlreichen Zuhörern heraus, bevor Sicherheitskräfte den Störer aus dem Saal drängen.

„Es bricht mir das Herz“

Zwei weitere Male wird Harris an diesem Abend von Anti-Israel-Aktivisten unterbrochen. Sie nimmt das Mikrofon in die Hand und geht ganz vorne an die Bühne. „Was dem palästinensischen Volk widerfährt, ist empörend und bricht mir das Herz“, sagt sie: „Ich verstehe ihr Anliegen und wie sie empfinden.“ Trotz interner Kritik des Weißen Hauses habe sie als Vizepräsidentin schon vor anderthalb Jahren die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen angesprochen. Nun habe Trump seinem Freund Benjamin Netanjahu „einen Blankoscheck“ ausgestellt, zu tun, was immer er wolle: „Es bricht mir das Herz.“

Aber: „Ich bin nicht die amtierende Präsidentin der Vereinigten Staaten.“

Da ist sie, jene brutale Realität, die Harris am Wahlabend zu überwältigen drohte und wohl auch motiviert hat, die Memoiren ihrer ultrakurzen Präsidentschaftskandidatur zu schreiben, die sie nun auf einer Tour durchs Land vorstellt. Das Buch soll die Sicht der mit einer riesengroßen Herausforderung konfrontierten Politikerin für die Nachwelt festhalten. Es ist eine Mischung aus Verteidigungsschrift, Fehleranalyse und Enthüllungsroman. Wegen seiner Seitenhiebe gegen Biden und parteiinterne Konkurrenten hat es in den USA sehr durchwachsene Kritiken erhalten. Manche Beobachter lesen es als eine Schlussabrechnung vor dem Ausstieg aus der Politik.

„Sie kriechen zu Füßen des Tyrannen“

Das eigentliche Manko aber ist das Fehlen einer nach vorne gerichteten Vision, einer einigenden Botschaft im Umgang mit der übermächtigen Zerstörungsmacht des regierungsamtlichen Autoritarismus. Im offenen Dialog wählt Harris an diesem Abend schärfere Worte als zuvor. Sie spricht von ihrem Entsetzen über das Ausmaß der „Kapitulation“ der Wirtschaftselite vor Trump: „Sie kriechen zu Füßen des Tyrannen.“

Ein paar Minuten lang verlässt sie ihre selbstgewählte Rolle als Mutmacherin und spricht ihre wahren Gedanken aus: „Sie versuchen, jeden mundtot zu machen, der Kritik übt“, empört sie sich: „Das ist wie eine kommunistische Diktatur!“. Tosender Applaus brandet auf, als Harris fordert: „Wir müssen Feuer mit Feuer bekämpfen.“

Doch vieles bleibt vage. Sie appelliert, das „Licht nicht erlöschen“ zu lassen. Den Mut nicht zu verlieren. Es klingt wie Durchhalteparolen. Nach einer Stunde ist die Veranstaltung vorbei. Draußen warten die pro-palästinensischen Aktivisten, die sich schon lange nicht mehr in Trumps Nähe trauen.

Doch dann meldet sich der Präsident tatsächlich persönlich zu Wort. In einem Post beleidigt er Harris („Dumm wie Brot“) und erregt sich, weil sie von einem sehr knappen Wahlergebnis gesprochen hat. „Eine totale Lüge!“, donnert der Machthaber und deklariert: „Ich verlange eine Entschuldigung!“