Christian Lindners HeldenstrategieWarum der Bundesfinanzminister die Inflation zum Monster erklärt

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Einer gegen die Inflation: Finanzminister Christian Lindner (FDP)

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Inflation „zähes Biest“ getauft.

Lindner will sich mit dieser einfachen Erzählung vor allem gegen Kritik immunisieren, meint unser Kolumnist Erik Flügge.

Jeder Held braucht ein Monster zum Erschlagen. So war das schon bei den alten Griechen. Der Held Bellerophon musste erst die Chimära besiegen, bevor er Anerkennung fand. Deshalb muss man immer genau hinhören, wenn ein Politiker ein komplexes Problem zu einem Monster erklärt. Genau das hat Christian Lindner nun getan. Beim Jahresempfang des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) erklärte er: „Die Inflation ist ein zähes Biest“.

Das ist mehr als blumige Sprache. Wer Biester beschwört, der will zum Helden werden. So geht gutes Geschichtenerzählen. Wen interessieren schon die langweiligen und vertrackten Details einzelner Finanzmarktinstrumente? Linder weiß genau, wenn er sich im Detail der komplexen Lage verliert, dann verliert er selbst. Deshalb geht er rhetorisch den genau gegenteiligen Weg. Er macht aus einem komplexen Problem in einem komplexen System ein einfaches Biest. So wird die Gefahr greifbarer und damit angreifbarer.

Dass diese neue Sprache kein Zufall ist, merkt man schnell, wenn man die weitere Kommunikation des Bundesfinanzministers beobachtet. Am Montag brachte er das Zitat auf der Bühne, es wurde Überschrift in Presseartikeln und er befeuert es weiter in sozialen Netzwerken. „Die Inflation ist ein zähes Biest“, twitterte er etwa. Offenbar weiß er, was er sprachlich erschaffen will: ein Monster.

Wir Menschen denken in Geschichten. Wenn Sie einer Freundin vom letzten Urlaub berichten, dann reihen Sie nicht einfach Details aneinander, sondern Sie erzählen Geschichten. Selbst Jahre später, wenn Sie längst vergessen haben, wie viel der Urlaubsflug kostete, können Sie sich noch an die Geschichten aus dem Urlaub erinnern. Daran, wie der Kellner stolperte und Rotwein auf ihr Kleid vergoss, an den Flirt und an die Groteske, die Sie erlebten, als das Auto einen Platten hatte.

Ganz offenbar hat Lindner nun entschieden, dass er für seinen Kampf gegen die Inflation in Erinnerung bleiben will. Deshalb übersetzt er die komplexe Herausforderung in eine Erzählung: Er, der einsame Held, gegen das zähe Biest.

Dabei muss man als Stratege anerkennen: Das Narrativ ist für einen Liberalen Bundesfinanzminister wahrlich gut gewählt. Die Liberalen glauben an die Kraft des Einzelnen – und darum passt eine Geschichte vom einsamen Ritter, Cowboy oder Finanzministerhelden wunderbar ins Menschenbild der Liberalen. Gleichzeitig ist völlig logisch, dass die Inflation irgendwann auch wieder fallen wird. Sprich, der Sieg des Helden Lindner ist garantiert.

Bis zum Sieg hat sich Lindner nun eine Erklärung erschaffen, die ihn gegen Kritik immunisiert. Wann immer man fragt, warum er bei der Inflationsbekämpfung nicht schneller vorankommt, wird er uns antworten: „Die Inflation ist ein zähes Biest“.

Erik Flügge ist Geschäftsführer der Beratungsfirma „Squirrel & Nuts“ in Köln und Bestsellerautor. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er eine Kolumne über Politik, Kommunikation und ihre Mechanismen.

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