Eltern in NRWGebauer soll Präsenzpflicht bis Weihnachten aussetzen

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Köln – Corona ist uns so nah wie noch nie in den nun knapp zwei Jahren dieser Pandemie. Die Dreijährige hatte im Kindergarten Kontakt mit zwei positiv getesteten Kindern. In der Grundschule des Achtjährigen und des Sechsjährigen häufen sich seit zwei Wochen die positiven Pool-Tests. Zwei Kumpels der Jungs sind aktuell an Corona erkrankt.

Der beste Freund des Ältesten und dessen gesamte Familie, die Eltern trotz Impfung, waren vor vier Wochen positiv und für zwei Wochen in Quarantäne. Im Kindergarten hat es bereits mehrere Familien getroffen. Noch zehn Tage bis Weihnachten – und viele Familien haben Angst, das Fest mit erkrankten Kindern in Quarantäne verbringen zu müssen.

Umfrage soll Elternwünsche in Pandemie verdeutlichen

Diese Sorgen von Eltern hat auch die Landeselternkonferenz zuletzt vermehrt wahrgenommen und deshalb eine Umfrage gestartet, ob Eltern in Nordrhein-Westfalen für die Zeit bis Weihnachten ein Aussetzen der Präsenzpflicht oder Wechselunterricht an den Schulen befürworten würden. Die Befragung läuft bis Mittwoch, mit den Ergebnissen wolle man dann an das Schulministerium herantreten, erklärte am Montag Christian Beckmann, der stellvertretende Vorsitzende der Landeselternkonferenz.

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Christian Beckmann, stellvertretender Vorsitzender der Landeselternkonferenz

„Wie sollen wir unsere Kinder in der aktuellen Lage schützen, bis sie geimpft werden können?“ – diese Frage höre er momentan immer wieder von Eltern, erzählt Beckmann. Die Landeselternkonferenz hält eine Aussetzung der Präsenzpflicht bis Weihnachten für eine gute Möglichkeit: „Auch wenn nicht alle Eltern die Betreuung zu Hause leisten können, wäre allen ja schon geholfen, wenn nur noch die Hälfte der Schüler kommt.“ Beckmann sagt, er habe kein Verständnis dafür, dass sich Kinder bei den aktuellen Inzidenzen im Land in den Schulen dem Risiko einer Ansteckung aussetzen müssten, nachdem im vergangenen Winter bei deutlich niedrigeren Infektionszahlen alles geschlossen war.

Andere Bundesländer gehen in der Sache voran: Die Präsenzpflicht an Niedersachsens Schulen etwa wird zur Eindämmung des Coronavirus vor Weihnachten aufgehoben – vom 20. Dezember an und damit drei Tage vor Ferienbeginn können Schüler auf Antrag der Eltern vom Unterricht befreit werden.

Schulministerium für Präsenz

Das Schulministerium NRW hält bislang an seiner Marschroute fest, die Schulen bis zum 23. Dezember offen und die Präsenzpflicht aufrecht zu erhalten. Es bleibe das Ziel der Landesregierung, den Infektionsschutz und das Recht auf Bildung in Einklang zu halten, sagte Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) in der vergangenen Woche. Da hatte sie schon steigende Infektionszahlen in den Schulen verkünden müssen: In der Woche bis zum 3. Dezember habe es bei 0,84 Prozent aller Schülerinnen und Schüler bestätigte Coronafälle gegeben. In der Woche vorher waren 0,70 Prozent betroffen. Aktuellere Zahlen will das Ministerium am Dienstag bekannt geben.

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Die Präsenzpflicht an Niedersachsens Schulen wird vor Weihnachten aufgehoben - ein Modell für NRW?

Sabine Mistler, die Vorsitzende des Philologen-Verbands NRW, sieht eine mögliche Aussetzung der Präsenzpflicht kritisch. „Die Kollegen müssten dann ja Präsenz- und Distanzunterricht gleichzeitig leisten, das halte ich bei der aktuell ohnehin schon extremen Belastungssituation für unzumutbar“, sagt sie. „Ich weiß, dass sich das viele wünschen, weil sie am Limit sind und Ängste und Sorgen haben, aber für die Lehrer wäre das die schwierigste Variante.“ Zumal gerade in den höheren Klassenstufen bis in die letzte Schulwoche hinein noch viele Arbeiten anstünden.

Eltern fühlen Unsicherheit für ihre Kinder

„Mit engmaschigen Testungen leisten die Schulen in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Beitrag für sicheren Unterricht“, betonte Ministerin Gebauer. Und doch haben viele Eltern gerade offenbar nicht das Gefühl, dass ihre Kinder sicher sind. Carmen Schevemann, Mutter einer Erstklässlerin aus Bergisch Gladbach, sagt: „Ich war bisher sehr froh, dass die Kinder in die Schule gehen können.“ Nun würden aber immer mehr Kinder in der Schule ihrer Tochter positiv getestet: „Da ist es doch nur noch eine Frage der Zeit, bis es in unserer Klasse ankommt.“ Und dann vielleicht auch bei ihrer Tochter.

So kurz vor Weihnachten. Mit der Aussicht, in diesem Jahr endlich wieder mit der Familie feiern zu können. Würde das Kind jetzt noch in Quarantäne geschickt werden, wäre dieser Traum geplatzt. Dann stünde zum zweiten Mal hintereinander Heiligabend im allerkleinsten Familienkreis an.

Virus wandert durch Familien

Wie bei der Familie aus Refrath, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, deren Drittklässler am 1. Dezember positiv getestet wurde. Zehn Tage später war das Virus bei seinem zwei Jahre jüngeren Bruder nachweisbar. Die Quarantäne sollte am 24. Dezember enden. Doch gestern war nun auch der Schnelltest der Mutter positiv. Bestätigt der PCR-Test das Ergebnis, müssen die Großeltern, Onkel und Tanten für Weihnachten wieder ausgeladen werden.

„Wir waren so vorsichtig und sind bis jetzt so gut durchgekommen“, sagt die Mutter: „Ich könnte heulen.“ Der Vater erzählt von seinen Ängsten, als seine Söhne von Fieber und Schüttelfrost geplagt wurden. Auch wenn ihm bewusst gewesen sei, dass Kinder in diesem Alter nur ein sehr geringes Risiko haben, schwer zu erkranken, „will man das nicht erleben, da fragt man sich dann doch, was jetzt wohl noch kommt“, sagt er.

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Ein Prozent der infizierten Kinder könnten wie Erwachsene an Long Covid erkranken. Die Omikron-Variante könnte auch bei Kindern häufiger zu schweren Verläufen führen. Für diese Überlegungen gibt es erste Indizien, aktuell aber keine quantitativen Beweise. Für mehr Sicherheit bei Eltern schulpflichtiger Kinder sorgt das nicht.

Mediziner schätzen den Wert von Präsenz höher

Jakob Maske, niedergelassener Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, kann Eltern verstehen, die sich aktuell viele Gedanken machen.

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Trotzdem ist er gegen eine Aufhebung der Präsenzpflicht. Auch wenn es nur um eine Woche vor den Weihnachtsferien und keine komplette Schulschließung gehe, sei das als Lockdown-Maßnahme zu begreifen. „Und die Folgen einer Schulschließung sind für Kinder deutlich gravierender als die einer Infektion mit Corona“, sagt er. „Schule ist wichtig und gut für die Kinder, wir müssen ihre Rechte und ihre Gesundheit schützen“, betont Maske: „Bei den Diskussionen um ein Aussetzen der Präsenzpflicht geht es aber allein um die Ängste der Eltern, die akzeptiere ich, aber sie sind kein Grund, die Schulen zu schließen.“

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