Pro und ContraSollte es eine Corona-Impfpflicht für medizinisches Personal geben?

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Können Mediziner ihrer Verantwortung nachkommen, wenn sie sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen?

  • Mediziner tragen Verantwortung. Nicht nur für sich, sondern auch für Menschen, die sie behandeln. Können sie dieser Verantwortung nachkommen, wenn sie sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen?
  • Nein, sagt Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kölner Kassenärzte, es brauche eine Impfpflicht für diese Gruppe: „Wer Höhenangst hat, sollte vielleicht kein Pilot werden.“
  • Eine Impfpflicht ist nicht die richtige Lösung, meint der Kölner Gesundheitsdezernent Harald Rau: „Vorschriften tendieren dazu, Widerstände auszulösen“

Jürgen Zastrow plädiert für eine Impfpflicht Eine generelle gesetzliche Corona-Impfpflicht wird zurzeit nicht ernsthaft diskutiert. Der Einschnitt scheint politisch zu groß – das ist verständlich. Anders sieht es bei Masern aus. Viele tödliche Krankheiten, Tetanus, Polio oder Pocken, konnten durch konsequente Impfungen nahezu beseitigt werden. Die jüngere Geschichte der Menschheit ist eng verbunden mit der Errungenschaft, sich durch Impfungen vor Epidemien zu schützen. Uns ist die existenzielle Bedeutung dieses Fortschritts oft nicht bewusst.

Vor acht Monaten wurde das politische Ziel formuliert, in möglichst kurzer Zeit einen möglichst wirksamen und sicheren Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln – mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Dieses Ziel ist erreicht worden. Noch nie ist so viel Geld, so viel Know-How in die Entwicklung eines Impfstoffes geflossen. Die internationale Kooperation war und ist beispiellos. Wir haben Mittel entwickelt, die in ihrer Wirksamkeit weit über den Grippe-Impfstoffen liegen.

Corona-Impfstoffe: Die EU hat auf Sicherheit gesetzt

Doch nicht nur die Wirksamkeit, auch die Sicherheit ist entscheidend. So zumindest sieht es die EU: Hier wurden an die Sicherheit des Wirkstoffes die gleichen Anforderungen gestellt wie an jeden anderen. Diese Entscheidung steht im Gegensatz zu vielen Ländern, die den Prozess verkürzt haben. Schneller als sonst ging es dennoch, deutlich schneller sogar: Prozesse der Entwicklung und Zulassung liefen parallel statt nacheinander, Wartezeiten gab es nicht. Ein großer Erfolg.

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Jürgen Zastrow

Heute haben wir eine Gefährdungslage, in der das Risiko, durch Covid-19 einen schweren Verlauf mit lebenslangen Nachwirkungen zu erleiden oder sogar zu sterben um ein Vielfaches höher ist als jedes theoretisch denkbare Risiko, das aus der Impfung erwachsen könnten. Angstdiskussionen, in denen Stichworte wie Genetik oder Langzeitfolgen politisch platziert werden, entbehren jeder sachlichen Grundlage. Gleichwohl zeigt ihr Erfolg große Defizite in der Aufklärung der Bevölkerung. Diese gilt es aufzuarbeiten.

Mediziner werden ihrer Verantwortung ohne Impfung nicht gerecht

Der Schutz der Gesundheit liegt primär in der Hand des medizinischen Personals. Die hier Arbeitenden tragen eine Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen. Wer sich in Zeiten einer Pandemie nicht impfen lassen möchte, gefährdet zunächst seine eigene Gesundheit – was seine eigene Entscheidung ist. Allerdings gefährdet er auch die Gesundheit der ihm anvertrauten Menschen, wenn er nicht zur Eindämmung beiträgt oder womöglich sogar zum Überträger wird. Hier stellt sich die Frage nach konkurrierenden Rechten und Werten. Abzuwägen ist zwischen der Selbstbestimmung über den eigenen Körper und der effektiven Verhinderung von Todesfällen. Die Freiheit zur Selbstbestimmung erfordert auch einen verantwortungsvollen Umgang mit ihr.

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Ich persönlich wünsche mir von all jenen, die sich entscheiden, im Gesundheitswesen zu arbeiten, eine moralische Grundhaltung.  Medizinisches Personal dient der Gesundheit der Menschen, wir sollten nicht die Gesundheit anderer durch eigene, irrationale Entscheidungen riskieren. Um dieses Risiko zu minimieren, muss auch eine Impfpflicht gegen das Coronavirus diskutiert werden – für all jene, die arbeiten, um andere zu schützen. Ihrer Arbeit können sie sonst nicht so nachkommen, wie es nötig wäre. Wer Höhenangst hat, sollte vielleicht kein Pilot werden.

Eine Impfpflicht ist keine gute Lösung, meint Harald Rau

Ganz wesentliche Erfolge der Medizin zur Verringerung vorzeitiger Todesfälle und krankheitsbelasteter Lebensjahre unzähliger Menschen gehen auf Impfungen zurück. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der empfohlenen und zugelassenen Impfstoffe ist extrem günstig: Kosten und Nebenwirkungen sind sowohl für die Gesellschaft als auch den einzelnen Menschen erheblich geringer als Risiken und Folgen der jeweiligen Erkrankung. Das ist ein wesentliches Zulassungskriterium für neue Impfstoffe und -verfahren. Bei der aktuellen Covid-19-Pandemie ruht alle unsere Hoffnung auf den Impfstoffen und deren flächendeckender Anwendung.

Die zugelassenen Impfstoffe zur Immunisierung wurden in einer Rekordzeit mit innovativen Techniken entwickelt, an großen Fallzahlen getestet und sind nach sehr eindeutiger aktueller Erkenntnislage sicher und bieten ein extrem günstiges Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko. Die wissenschaftlichen Kriterien mit ihrem hohen Sicherheitsanspruch sind bei den Zulassungsverfahren voll umfänglich angewandt worden: Die zugelassenen Impfstoffe sich sicher und wirksam.

Die große Mehrheit der Mediziner kann die Fakten einordnen

Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere, denn eine Impfung geht fast immer damit einher, dass die Krankheitserreger sich im Körper nicht mehr ungebremst vermehren, sondern zerstört werden. Deshalb reduzieren Impfungen weitere Ansteckungen und damit das Risiko für andere. Auch deshalb ist es so wichtig, dass Angehörige der medizinisch-pflegerischen Berufsgruppen geimpft sind.

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Harald Rau

Die überwiegende Mehrheit der medizinisch qualifizierten Personen kann die wissenschaftlichen Fakten verstehen und richtig einordnen und ist deshalb von der Wirksamkeit und Sicherheit der zugelassenen Impfstoffe überzeugt. Sie empfehlen Impfungen, werben für sie und wenden sie an, auch bei sich selbst. Ich würde mich übrigens auch gerne schnellstmöglich impfen lassen, auch um meine persönliche Haltung und Überzeugung deutlich zu machen und gutes Vorbild zu sein, möchte allerdings kein Sonderrecht in Anspruch nehmen.

Vorschriften tendieren dazu, Widerstände auszulösen

Meine Schlussfolgerung lautet: Weil medizinisch gebildete und tätige Menschen in so überwiegender Mehrheit vom Impfen überzeugt sind, benötigen sie keine selektive Impfpflicht. Ein weiteres Argument: Vorschriften tendieren dazu, Widerstände auszulösen, Gegenargumente hervorzurufen, sie werden bei ihrer Einführung als fremdbestimmend und bevormundend erlebt. Das gilt ganz besonders für eine Impfpflicht für bestimmte Personen oder Berufsgruppen. Ich wünsche mir Angehörige der medizinisch-pflegerischen Berufsgruppen, die durch ihre eigene Professionalität und Ausbildung um die Bedeutsamkeit des Impfens wissen, die aus voller Überzeugung zu dieser wichtigen Errungenschaft stehen, sie für sich selbst anwenden und gegenüber ihren Patientinnen und Patienten, ihren Bewohnerinnen und Bewohnern.

Die Impfbereitschaft bei Mitarbeitenden unserer Kliniken ist hoch und sie kann gerade in den Heimen durch noch mehr Information und Aufklärung weiter gesteigert werden. Auch weil aktuell Akzeptanz und Impfbereitschaft in der gesamten Bevölkerung deutlich steigen, sehe ich aktuell keine Notwendigkeit einer Pflicht und hoffe, mit meinem Vertrauen auf die Vernunft nicht falsch zu liegen. 

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