„Auch Deutschland steht im Fadenkreuz“Wie hoch die Terrorgefahr vor der Europameisterschaft ist

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ARCHIV - Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei laufen am 11.06.2015 bei einem Einsatz durch das Bahnhofsgebiet in Frankfurt am Main (Hessen).

Sicherheitsbehörden und Terrorismusexperten gehen auch in Deutschland von einer erhöhten Terrorgefahr aus. Angesichts der wachsenden Terrorgefahr drängen die Spezialeinheiten der Länder auf technische Nachrüstungen, um mit den Waffen terroristischer Gegner mithalten zu können.

Nach dem islamistischen Anschlag in Russland wird noch klarer, dass auch in Deutschland die Gefahr hoch ist – gerade vor der anstehenden Fußball-Europameisterschaft.

Nach einem islamistischen Terroranschlag mit fast 140 Toten nahe der russischen Hauptstadt Moskau gehen Sicherheitsbehörden und Terrorismusexperten auch in Deutschland von einer erhöhten Terrorgefahr aus.

„Auch Deutschland steht im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Alexander Poitz, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Dass es bei uns nach dem verheerenden Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor sieben Jahren nicht zu einem erneuten Anschlag gekommen ist, ist ganz wesentlich Hinweisen ausländischer Geheimdienste zu verdanken“, sagte Poitz.

Deutschland ist auf Hinweise ausländischer Geheimdienste angewiesen

Polizei und Verfassungsschutz in Deutschland seien nicht so ausgestattet, „dass sie auf sich allein gestellt auf Dauer einen ähnlich brutalen Terroranschlag wie jetzt in Moskau verhindern könnten“. Dafür hätten die Sicherheitsbehörden weder die erforderlichen personellen Kräfte noch die technische Ausrüstung oder die rechtlichen Möglichkeiten.

Die Zahl der Todesopfer des Anschlags im Moskauer Vorort Krasnogorsk erhöhte sich unterdessen auf mindestens 137. Die vier mutmaßlichen Täter, die am Samstag von russischen Sicherheitskräften gefasst worden waren, wurden bereits am Sonntag in Moskau vor Gericht gestellt. Zwei der Männer bekannten sich dort nach Angaben des Gerichts schuldig. Die Tatverdächtigen wiesen deutliche Verletzungen und Folterspuren auf.

Mindestens 137 Tote in Moskau - Verdächtige gefoltert

Russische Medien berichteten, einem der Männer sei während seiner Vernehmung ein Ohr abgeschnitten worden. Einer der Tatverdächtigen konnte offenbar nicht einmal mehr laufen und wurde mit geschlossenen Augen und an einen Krankenstuhl geschnallt in den Gerichtssaal gerollt.

Die französische Regierung rief am Sonntag die höchste Sicherheitsstufe aus, nachdem der Verteidigungs- und Sicherheitsrat des Landes in Paris getagt hatte. Vergleichbare Terrorwarnstufen gibt es in Deutschland zwar nicht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte aber schon am Wochenende, auch in Deutschland bleibe die Terrorgefahr akut. Von der Terrororganisation „Islamischer Staat Provinz Khorasan“, die wohl für den Anschlag in Russland verantwortlich ist, gehe „derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus“, sagte Faeser der „Süddeutschen Zeitung“.

Terrorgruppe ISPK auch in Deutschland aktiv

Dass der IS-Ableger ISPK auch in Deutschland operiert, zeigte sich am Dienstag vergangener Woche in Gera. Dort ließ die Bundesanwaltschaft ein mutmaßliches Mitglied und einen mutmaßlichen Unterstützer der Terrorgruppe festnehmen. Die beiden sollen einen Anschlag auf das schwedische Parlament in Stockholm geplant haben.

Bereits im vergangenen Jahr hatten die Sicherheitsbehörden außerdem vor einer akuten Gefahr eines Anschlags auf den Kölner Dom gewarnt. Das Gotteshaus und bekannte Wahrzeichen blieb zeitweise für Touristen geschlossen, Polizisten bewachten den Dom und kontrollierten Gottesdienstbesucher. In Österreich, im Saarland und im niederrheinischen Wesel nahm die Polizei um Weihnachten herum mehrere Männer fest oder in vorübergehendes Gewahrsam. Auch diese Bedrohung ging nach Einschätzung der Behörden vom ISPK aus.

Fußball-EM in Deutschland und Olympia im Blickfeld von Terroristen

„ISPK – diesen Begriff sollten Sie sich merken“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Juni 2023 bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in Berlin. „Perspektivisch kann diese Gruppe aus Afghanistan versuchen, Anschläge gegen westliche Länder, auch gegen Deutschland, zu planen und durchzuführen.“ Entsprechende Planungen seien bereits in Vorbereitung.

Mit der Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland und den Olympischen Sommerspielen in der französischen Hauptstadt Paris stehen in diesem Jahr gleich zwei sportliche Großereignisse in Ländern an, die ohnehin im Blickfeld islamistischer Terrororganisationen stehen.

Sicherheitsvorkehrungen für EM werden erhöht

Für die Fußball-EM werden jetzt die Sicherheitsanforderungen noch mal erhöht, aber das allein reicht nicht“, sagte Polizeigewerkschafter Poitz. „Die Politik muss endlich die Frage beantworten, wie sie die Polizei so ausstatten will, dass sie auch im Digitalzeitalter Terroranschläge verhindern kann.“ Nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel im Oktober 2023 hatten Sicherheitsbehörden bereits vor einem erhöhten Terrorrisiko gewarnt. Allein seitdem habe es in Europa acht versuchte terroristische Anschläge gegeben, sagte der Terrorismusexperte Peter Neumann am Montag im Deutschlandfunk.

Nach dem 7. Oktober bereiteten den Behörden und Terrorismusforschern jedoch vor allem mögliche Einzeltäter Sorgen, die sich vor dem Hintergrund der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas radikalisieren. Auch in den vergangenen Jahren habe man häufig Einzeltäter gesehen, die IS-Propaganda im Internet konsumiert und dann auf eigene Initiative etwas unternommen hätten, sagte Neumann.

Mit dem ISPK komme nun aber wieder eine organisierte Gefahr hinzu. Die Terrororganisation sei „eine recht professionelle“ Gruppe und auch wieder in der Lage, Netzwerke zu organisieren. Das mache diese Gefahr noch stärker. (rnd)

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