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Kommentar zum britischen Nein zu ErasmusEin Ausstieg bar jeder Vernunft

Lesezeit 3 Minuten
Boris_Johnson

Der britische Premierminister Boris Johnson.

  1. Großbritannien steigt mit dem Ablauf des Jahres auch aus dem Erasmus-Programm für Studierende aus.
  2. Premierminister Boris Johnson begründete dies damit, die Teilnahme an dem Austausch-Programm sei extrem teuer.
  3. Doch die wahren Gründe für den Schritt liegen woanders. Ein Kommentar.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier fasste am Ende der von ihm ein ganzes Jahr lang geführten Verhandlungen für ein neues Handelsabkommen mit Großbritannien auf die Frage, wer denn nun gewonnen habe, das Ergebnis so zusammen: „Niemand. Das ist ein Lose-Lose-Situation.“ Ein Ergebnis, das nur Verlierer kennt. 

Tatsächlich. Der Brexit des Vereinigten Königreichs bedeutet schwere Verluste auf wirtschaftlicher, finanzieller und kultureller Hinsicht. Verluste, die viele Jahre lang spürbar sein werden. Und das gilt insbesondere für Zehntausende britischer Studentinnen und Studenten. Und zehntausende von Studierenden aus dem übrigen Kontinent. Sie zählen mit Blick auf die katastrophalen bildungspolitischen und kulturellen Folgen der irrwitzigen Brexit-Politik zu denjenigen, die der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union am direktesten trifft.

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Denn das großartige Land jenseits des Kanals hat sich unter der Führung des britischen Premier entschlossen, nicht mehr am Erasmus-Austauschprogramm für Studenten in der Europäischen Union teilzunehmen. Stattdessen will die britische Regierung ein Ersatzprogramm auflegen, dass es britischen Studierenden ermöglichen soll, überall auf der Welt „an den besten Universitäten“ zu studieren. Wann das kommen wird? Völlig offen. Mit wieviel Geld es finanziert wird? Unklar. Wie viele britische Studierende davon profitieren werden? Keine Ahnung. 

Es ist an dieser Stelle gut, sich nochmal in Erinnerung zu rufen, was der britische Premierminister Boris Johnson am 15. Januar 2020 auf die Frage eines schottischen Abgeordneten der Opposition im Unterhaus zum Thema Erasmus sagte: „Der Herr Abgeordnete hat keine Ahnung, wovon er spricht. Das Erasmus-Programm ist nicht bedroht. Wir werden weiterhin daran teilnehmen. Studierende des Vereinigten Königreichs werden weiterhin die Möglichkeit haben, die Vorteile des Austauschs mit unseren europäischen Partnern und Freunden haben genauso wie sie weiterhin die Möglichkeit haben werden, in dieses Land zu kommen.“

Alles Lüge. Johnson begründete den Ausstieg seines Landes aus Erasmus, dem es seit 1987 angehörte, dem Vernehmen nach damit, dass das Programm für Großbritannien extrem teuer sei. Doch auch das ist Unfug.

Den Aufenthalt von Studierenden aus den anderen 27 EU-Staaten an Universitäten in England, Schottland, Wales und Nordirland förderte die Europäische Union finanziell. Die Zahl junger Frauen und Männer aus EU-Staaten, die jährlich allein über Erasmus an Unis des Vereinigten Königreichs studieren, geht in die Zehntausende. Sinkt sie ab 2021 in bedeutendem Ausmaß, verlieren die Universitäten und Hochschulen Großbritannien eine wichtige Einnahmequelle ebenso wie die britische Wirtschaft. Ein britischer Bericht dazu sprach von jährlich weit über 218 Millionen Euro, die Großbritannien durch den Ausstieg aus Erasmus verloren gehen.

Denn der Ausstieg aus dem Programm wird das Studium auf der Insel für Nicht-Briten extrem teuer und damit unattraktiv machen. Denn anders als Erasmus wird das neue britische Programm den Aufenthalt von Nicht-Briten auf der Insel nicht finanziell fördern. Großbritannien zählt seit langem neben Frankreich und Spanien zu den beliebtesten Zielländern von Erasmus-Studierenden. 2017 kamen laut EU-Statistiken mehr als 31.000 Studierende aus EU-Staaten nach Großbritannien. Im gleichen Jahr nahmen auch mehr als 16.500 britischen Studierende an Erasmus teil.

Das Oberhaus des britischen Parlaments warnte in einem Bericht dieses Jahr, dass insbesondere junge Leute mit weniger begüterten Eltern und Menschen mit Förderbedarf künftig sehr viel größere Schwierigkeiten haben werden, ihr Studium in Großbritannien für ein oder zwei Auslandssemester zu verlassen. Das gleiche dürfte auch auf Studierende aus den 27 EU-Staaten zutreffen, für die ein Studium in Birmingham, Glasgow, London oder Cardiff künftig ein unerreichbar teurer Traum bleiben wird.

Das alles ist auch deshalb nur schwer zu ertragen, weil Johnson letztlich die Antwort schuldig bleibt, warum Großbritannien Erasmus verlässt. Was bleibt, ist immer wieder nur das engstirnige, nationalistische, von der Erinnerung an vergangene Größe geradezu besoffene Projekt der Wiedergeburt britischer „Souveränität“.