Fünf Jahre nach ErmordungAuf der Suche nach Gerechtigkeit für Daphne Caruana Galizia

Die Bidnija-Felder in Malta: Der Ort, an dem die Journalistin Daphne Caruana Galizia getötet wurde, ist am Jahrestag zum Mahnmal geworden.
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- Fünf Jahre nach der Ermordung der maltesischen Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia sind zwei Brüder zu je 40 Jahren Haft verurteilt worden.
- Ein unabhängiger Bericht kam bereits im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass die damalige Regierung in Malta für den Mord an der Journalistin verantwortlich war.
- Malta-Expertin Iris Rohmann schildert die nach wie vor bedrohliche Lage kritischer Journalistinnen und Journalisten in dem EU-Mitgliedsland.
Fünf Jahre ist es her, dass Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe starb. Verantwortlich für den Mord an der unbequemen maltesischen Journalistin war ihre eigene Regierung. Kurz vor dem Jahrestag des Mords an der Enthüllungsjournalistin sind zwei Brüder zu je 40 Jahren Haft verurteilt worden.
Zu dem Ergebnis, dass die Regierung für den Tod der damals 53-Jährigen verantwortlich war, kam ein unabhängiger Untersuchungsausschuss bereits vor einem Jahr. 28 konkrete Empfehlungen sollten künftig Medienschaffende besser schützen und den Rechtsstaat stärken, der im Fall Caruana Galizia total versagt hatte, indem er – so der Bericht – „ein Klima der Straffreiheit geschaffen hat, das von den höchsten Ebenen ausging und seine Tentakel auf andere Einrichtungen wie die Regulierungsbehörden und die Polizei ausbreitete.“
Malta: Nur eine von 28 Empfehlungen zum Schutz von Medienschaffenden umgesetzt
Der Bericht war ein großer Erfolg inmitten der stagnierenden Mordermittlungen. Die Familie der Ermordeten hatte jahrelang darum gekämpft, unterstützt von zivilen Protesten und begleitet von regelmäßigen Interventionen der Europäischen Union. Weil von den 28 Empfehlungen bisher nur eine einzige umgesetzt ist, ist der Menschenrechtskommissarin der EU, Dunja Mijatović, der diplomatische Kragen geplatzt.

Die Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia wurde 2017 durch eine Autobombe getötet. Die maltesische Regierung war laut einer Untersuchung beteiligt.
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„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, was Sie unternommen haben“, schrieb sie Ende September in einem offenen Brief (hier geht es zur englischen Version) an den maltesischen Premier Robert Abela. Sie fügte hinzu, dass auch die Mordermittlungen „intensiviert werden sollen, einschließlich gegen diejenigen, die ihn geplant haben“.
Journalisten leben in Malta immer noch gefährlich
Es war eine schallende Ohrfeige für Maltas Regierung, die keine Gelegenheit verstreichen lässt, um medienwirksam zu erklären, dass quasi täglich demokratische Reformen in Kraft gesetzt würden und dass der Mord an der bekanntesten Journalistin des Landes im Grunde längst aufgeklärt sei.
Faktisch ist es mitnichten so.

Eine Autobombe tötete 2017 die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia
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Allen Lippenbekenntnissen der Regierung zum Trotz leben Journalisten in Malta immer noch gefährlich, erklärt Emanuel Delia. Der Blogger und Aktivist ist einer der wenigen unabhängigen Stimmen auf dem Inselarchipel, in dem die beiden politischen Parteien die Fernsehsender und Tageszeitungen unter sich aufgeteilt haben. In Malta ist eine Form von Staatszensur etabliert, die man sonst aus Diktaturen kennt, die aber auch in europäischen Ländern wie Ungarn oder Polen um sich greift.
Aktivist und Blogger Emanuel Delia: „Attackiert von Staats-Trollen”
„Ich bin ständig im maltesischen Staatsfernsehen zu sehen und werde dort als Staatsfeind dargestellt“, so Delia. Er spricht regelmäßig auf den Mahnwachen für Caruana Galizia in Valletta, und ist dadurch eines der exponiertesten Gesichter der zivilen Protestbewegung. „Wer protestiert oder unbequeme Fragen stellt, wird von organisierten und gut ausgestatteten Staats-Trollen attackiert.“ Sein Haus hat er schon vor Jahren mit Überwachungstechnik gesichert, die Hassbotschaften und Drohungen kann er nicht mehr zählen.

Von links: Peter Caruana Galizia, Ehemann der getöteten Journalistin, Roberta Metsola, sowie die Söhne Paul Caruana Galizia and Matthew Caruana Galizia
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Sein Blog „Truth be Told“ wurde ein halbes Dutzend Mal von Hackern lahmgelegt, und ebenso häufig wurde er von Regierungsmitgliedern wegen kritischer Artikel verklagt, zum Teil in Millionenhöhe. Nur wenig davon dringt über die Landesgrenzen hinaus. Die Parallelität zu dem, was Caruana Galizia vor ihrer Ermordung über Jahre hinweg erleiden musste, ist erschreckend.
Gerichtsverfahren ohne Beteiligung der Öffentlichkeit
„In ihrem Fall sind wir noch weit von der Gerechtigkeit entfernt“, so Delia, „aber die Drohung, zum Schweigen gebracht zu werden, ist nach fünf Jahren noch genauso real.“
Seit 2020 vergibt die EU den Daphne Caruana Galizia Journalism Prize for Journalism. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wird für Beiträge verliehen, die für die Europäische Union oder einige ihrer Mitgliedstaaten von Bedeutung sind und zur Förderung der Prinzipien und Werte der EU beitragen.
Der oder die Preisträgerin oder Preisträger wird 2022 am 19. Oktober bekannt gegeben.
Ein juristischer Weg, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, sind die sogenannten Slapp-Verfahren). Der Begriff ist die Abkürzung für „Strategic Lawsuit Against Public Participation” – also Gerichtsverfahren ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit, die von Regierungen oder auch Konzernen weltweit eingesetzt werden, um Journalisten oder Aktivisten finanziell zu ruinieren.
Auch gegen die ermordete Journalistin liefen 47 inländische Klagen und mehrere ausländische. Zwei Drittel davon kamen von Mitgliedern der maltesischen Regierung.

Mandy Mallia, eine Schwester von Daphne Caruana Galizia, zündet eine Kerze vor einem Foto der Ermordeten an.
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Für EU-Menschenrechtskommissarin Mijatovic sind „die anhaltenden Schwierigkeiten, die Journalisten durch den Einsatz solcher Verfahren haben“, ein weiteres Besorgnis erregendes Thema. „Das sendet eine abschreckende Botschaft an Medienakteure“, schreibt sie in ihrem Brief an Premier Abela.
40 Anklagen gegen Galizia-Nachfolgerin Caroline Muscat
Unvermindert wird dieses Mittel in Malta exzessiv genutzt, diesmal gegen die Recherchen von „The Shift News“. Gründerin Caroline Muscat ist 2017 in die Fußstapfen der ermordeten Kollegin und Freundin Caruana Galizia getreten. Aktuell haben Regierungsvertreter sie in 40 Fällen verklagt, weil sie Anfragen auf Basis des Informationsrechts gestellt hat. „Die Regierung antwortet auf keine unserer Anfragen, und sie gibt die Informationen nicht heraus, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat.“

Michael Alfred Vella und Rose Marie Mamo, die Eltern von Daphne Caruana Galizia
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Der maltesische Datenschutzbeauftragte hatte den Anträgen von „The Shift News“ längst stattgegeben – schließlich liegen noch rund ein Dutzend schwerwiegende Korruptionsfälle auf Eis, die seit den Panama-Papers im Jahr 2016 von Caruana Galizia in ihrem Blog „running commentary“ enthüllt worden waren.
Doch die Regierung gibt die Informationen nicht heraus, erhebt im Gegenteil Einspruch gegen die Anfragen, verliert vor Gericht und geht dennoch in Berufung.“
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Solche Schachzüge haben „The Shift News“ allein in den letzten Monaten 40.000 Euro an Gerichtsgebühren und Anwaltsgebühren gekostet. „Wir haben mittlerweile eine Person in der Redaktion, die sich mit nichts anderem beschäftigt als diesen Klagen, und werden so erfolgreich an unserer eigentlichen Arbeit gehindert“, so Muscat.
Muscat: „Ermittlungen aktiv sabotiert”
Das betrifft auch die Mordermittlungen. „Fast alles, was in den letzten fünf Jahren aufgedeckt wurde, ist der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu verdanken“ so Muscat, „während die Regierung und sogar die Polizei, die eigentlich dafür zuständig sind, die Ermittlungen aktiv sabotiert haben, wo es nur ging!“

Maria Falcone, die Schwester des 1992 von der sizilianischen Mafia ermordeten Giovanni Falcone, spricht in Valetta zum Gedenken an Daphne Caruana Galizia.
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Es ist für ausländische Beobachter atemberaubend zu sehen, mit welchen Manövern die maltesische Regierung es immer wieder schafft, auf Zeit zu spielen und sich aus der Affäre zu ziehen. Doch die Aufforderungen der Menschenrechtskommissarin Ende September waren überdeutlich. Sie verlangte einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsberichts und „eine klare Vermittlung an die Öffentlichkeit“.
Pressefreiheit in maltesischer Verfassung verankert
Das hatte Wirkung. Bereits fünf Tage später deklarierte Premier Abela die Verankerung der Pressefreiheit in der maltesischen Verfassung. Die Freiheit der Presse und ihre Rolle als öffentlicher Wächter der Demokratie sei grundlegend, „der Staat schützt und fördert die Freiheit der Medien, indem er unter anderem für den Schutz von Journalisten und ihre Quellen sorgt.“ Die Ankündigung sorgte für Jubelschlagzeilen in der maltesischen Presse.

Roberta Metsola, EU-Parlamentspräsidentin
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Endlich kam Bewegung in die Sache. Es wurde nur ein klitzekleines Detail übersehen, kommentiert Emanuel Delia, nämlich eine Einfügung Artikel 20B: „Dort steht nämlich, dass man diesen Schutz vor keinem Gericht einklagen kann. Das bedeutet, dass sie uns mit einem Papierschirm in den Regen schicken, und das Problem mit Papierschirmen ist, dass sie einen Schutz suggerieren, den es tatsächlich nicht gibt. Und das ist noch gefährlicher, als wenn man gar keinen Schutz hätte.“
Eine Pressefreiheit, die nicht eingeklagt werden kann, ist nicht viel wert.
Steinmeier besucht provisorische Gedenkstätte in Valetta
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte bei seinem Malta-Besuch am 7. Oktober an Daphne Caruana Galizia und die Bedrohung der Pressefreiheit in Malta. Er besuchte zunächst die provisorische Gedenkstätte für die Journalistin vor dem Gericht in Valletta und traf sich dann mit ihrer Familie.

Die Bidnija-Felder in Malta: Der Ort, an dem die Journalistin Daphne Caruana Galizia getötet wurde, ist am Jahrestag zum Mahnmal geworden.
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„Wir wissen, dass überall - und nicht nur in Krisengebieten - Journalistinnen und Journalisten bedroht sind und Schutz finden müssen”, erklärte der Bundespräsident später. „Wir müssen uns verpflichtet sehen, diesen Schutz auch zu gewährleisten.”
80 Prozent der Journalistenmorde weltweit werden nicht aufgeklärt
Achtzig Prozent der Journalistenmorde weltweit werden niemals aufgeklärt. Insofern ist man in Malta schon weiter als in vielen anderen Fällen, in vielen anderen Ländern. Die Bombenleger sind im Gefängnis und warten auf ihren Prozess, ebenso der Geldgeber des brutalen Anschlags, Yorgen Fenech, ein reicher Geschäftsmann, der tief in Schmiergeldgeschäfte mit ehemaligen Regierungsmitgliedern verstrickt ist. Und auch wenn die Mühlen der Justiz langsam mahlen in Malta, gibt es doch eine Öffentlichkeit, die in ihrem Druck nicht nachlässt, „Justice for Daphne“ zu fordern.

Valetta: Demonstranten gedenken am 16. Oktober der ermordeten maltesischen Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia.
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Das ermutigt und stärkt auch Carolin Muscat in ihrer täglichen Arbeit: „Wir werden diesen Weg weitergehen, bis wir Gerechtigkeit für Daphne erreicht haben. Und wenn dieser Mord etwas Gutes an sich hat, wenn man das überhaupt sagen kann, dann sind es die Reformen die anstehen, und die verhindern, dass Malta ein Mafia-Staat wird, und dass so etwas noch einmal geschehen kann.“
Angeklagte Brüder: „Wir werden nicht allein untergehen“
Die Bombenleger hatten derweil angekündigt, in ihrem Prozess weitere Namen von Drahtziehern des Mordes an Daphne Caruana Galizia zu nennen. Auch hohe Politiker. „Wir werden nicht allein untergehen“, so die Drohung der reuelosen Attentäter.
Bereits am ersten Prozesstag erklärten sich die Brüder Alfred und George D. für schuldig.
Sie wurden zu je 40 Jahren Haft verurteilt.

Fünf Jahre Ermordung von Daphne Caruana Galizia: In Malta leben Journalisten nach wie vor nicht sicher.
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Im vergangenen Jahr war in dem Mordfall eine erste Gefängnisstrafe verhängt worden. Vincent M. wurde zu 15 Jahren Haft dafür verurteilt, die Bombe beschafft, platziert und gezündet zu haben. Er hatte sich nach langer Leugnung schließlich schuldig bekannt, was bei seinem Strafmaß berücksichtigt wurde. Der aus Sicht der Staatsanwaltschaft mutmaßliche Drahtzieher des Mordes, der wohlhabende Geschäftsmann Yorgen F., wartet noch auf seinen Prozess. F. bestreitet eine Beteiligung an dem Mord.

Gedenken an die getötete Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia in Valetta.
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Der Millionär behauptet, einflussreiche Politiker steckten hinter dem Attentat. Die beiden verurteilten Brüder kündigten laut Medienberichten beim Verlassen des Gerichtssaals an, nun die ganze Wahrheit zu verraten. (mit afp, dpa)