Gastbeitrag zu IS-RückkehrernKinder sollten zunächst von ihren Eltern getrennt werden

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IS-Terroristen inhaftiert

In Syrien inhaftierte IS-Anhänger

  • Mehrere Hundert IS-Terroristen und ihre Familien kehren zurück nach Deutschland
  • Deutschland muss eigene Staatsbürger natürlich wieder aufnehmen. Doch lernen sie so, dass ihre mörderischen Entscheidungen Kosequenzen haben?
  • Der Psychologe Ahmad Masour über die Frage, wie Deutschland mit IS_Rückkehrern umgehen sollte.

Die grausame Herrschaft der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak ist inzwischen weitgehend zerschlagen, der selbst ernannte Kalif Abu Bakr Al-Baghdadi wurde von US-Soldaten getötet. Ein paar Hundert deutsche IS-Terroristen mit Kindern und Frauen drängt es nun zurück in ihre Heimat, andere sollen abgeschoben werden. Wer die Irrfahrt in den Terror überlebte, landete in der Regel in kurdischen Gefangenenlagern. Dort beteuerten viele, dass sie bereuen. Sie seien verführt worden, hätten keine Ahnung gehabt, von nichts gewusst. Insbesondere Frauen behaupten, sie hätten beim IS nur gekocht, Kinder geboren, fromme Bücher gelesen und Einheimischen Hilfe geleistet. Einige erklären in Interviews, ihre Lektion gelernt zu haben. Sie haben Schlimmes gesehen, sind desillusioniert und glauben nicht mehr an den Dschihad. In Deutschland, nur in Deutschland, wollen sie ihre Haftstrafe absitzen. Auf Videos lassen sie ihre Eltern grüßen, die oft über Jahre im Ungewissen waren, ob Sohn oder Tochter noch leben.

Eine Haftstrafe im demokratischen Rechtsstaat ziehen sie allemal den Anstalten in Syrien oder dem Irak vor, und sie wissen, wovon sie reden. Die Gesellschaft jedoch kann nicht wissen, was sie wirklich fühlen, glauben und denken. Tatsache ist, rein rechtlich muss das Land diese Terroristen zurückholen, da sie deutsche Staatsbürger sind. Und wer wird nicht die Eltern verstehen, die Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihre Kinder und die ihnen meist unbekannten Enkelkinder nach Hause zu holen? Doch wie sollen Leute lernen, dass ihre fatalen, mörderischen Entscheidungen und ihr hochgradig unethisches Handeln Konsequenzen mit sich bringen, wenn man sie einfach so wieder aufnimmt?

Zur Person

Ahmad Mansour ist Psychologe. Der deutsch-israelische Islamismus-Experte beschäftigt sich intensiv mit der Entstehung und Bekämpfung von Radikalismus. 

Nun sind die ersten abgeschobenen Rückkehrer hier – andere kamen schon längst von allein. Und was wird nun mit den Überstellten passieren? Was, wenn noch Dutzende mehr kommen? Gegen die meisten reichen Beweise für ein Verfahren nicht aus. Nirgends im Terrorgebiet konnten Ermittler aus demokratischen Rechtsstaaten tätig sein. Es waren Regionen der Gesetzlosigkeit. Mir sind Dutzende von Frauen bekannt, die beim IS waren. Viele waren sogar mit ihren Kindern ausgereist, oft angelockt vom Versprechen, „reine“, religiöse Heldenmänner zu finden. Viele sind seit Monaten oder Jahren zurück und konnten nie angeklagt werden. Glauben die Staatsanwälte ernsthaft, dass sich die Frauen im Terrorsystem des IS nur um Kinder, Küche, Koran gekümmert haben? Ihre Rolle für Propaganda und Rekrutierung wird meist schlicht unterschätzt. Ebenso die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Ideologie oft noch immer an ihre Kinder weiterreichen.

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Die Gefahr wird nicht von allein verschwinden. Gebraucht werden deshalb gute psychologische Begleitprogramme, insbesondere für die Kinder der deutschen IS-Rückkehrer. Sie dürften fast durchweg traumatisiert sein und damit umso empfänglicher für die Schwarz-Weiß-Ideologien ihrer Eltern.

Hier halte ich eine zeitlich begrenzte Trennung von den Eltern am Anfang für absolut sinnvoll. Danach muss überprüft werden, ob sich eine Rückkehr zur Familie auf die Entwicklung und Behandlung der Kinder hilfreich oder eher kontraproduktiv auswirkt. Besonders kommt es in diesem Kontext auf die Kompetenz der Mitarbeiter in Jugend- und Sozialämtern, der Familienrichter, der Erzieher und Lehrkräfte an. Sie müssen unbedingt geschult werden im Umgang mit solchen Familien, um zu verstehen, welches destruktive Potenzial die Rückkehrer haben können.

Programme zur Deradikalisierung benötigt

Die Zusammenarbeit deutscher Behörden mit internationalen Nachrichtendiensten sollte intensiv betrieben werden, um zu ermitteln, welche Taten die Rückkehrer während ihrer Zeit beim IS verübt haben, auch mittels Zeugen aus Syrien und dem Irak.

Zielgerichtete Programme zur Deradikalisierung sind in nur wenigen Bundesländern zu sehen. Sie müssen professionalisiert aufgebaut werden und verschiedene Stellen miteinander vernetzen, damit sie die Rückkehrer psychologisch begleiten, die Ursachen für ihre Radikalisierung erkennen, reflektieren und den Tätern die Möglichkeit geben, sich durch Hinterfragen, begleitetes Entdecken und Reflexion von ihrer Ideologie und ihren Taten zu distanzieren. Auch in der Phase nach einer Haft braucht es die Zusammenarbeit von Polizisten, Richtern, Sozialarbeitern, Psychologen und möglicherweise auch von Familienangehörigen, um Prozesse der Deradikalisierung weiter zu begleiten und Aussteigern zu helfen.

Alternativen und Denkanstöße

Präventiv muss man besonders im Strafvollzug alle Inhaftierten vor dem negativen Einfluss solcher Rückkehrer und einer etwaigen Missionierung schützen. Besuche islamischer Geistlicher sind hierfür keine Lösung, sondern es bedarf pädagogisch geschulten Personals, das Vertrauen zu den Inhaftierten aufbauen und Themen beleuchten kann, welche normalerweise für die Missionierung eingesetzt werden.

Alternativen bieten, Denkanstöße geben, den Menschen dadurch einen kritischen Umgang mit Islamismus ermöglichen und sie so vor Manipulationen immunisieren. Darauf kommt es an. Ganz nach dem Motto: Schneller sein als die Radikalen! Es wird Zeit, die Augen aufzumachen. Wegsehen kann fatale Folgen haben.

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