„Geht um exorbitante Summen“NRW-Justizminister plant Pflicht-Elementarversicherung

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Biesenbach dpa

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU)

Düsseldorf – Die Flutkatastrophe in NRW hat die Diskussion über die Einführung einer verpflichtenden Elementarversicherung neu belebt. Im Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" hat sich jetzt NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) in die Debatte eingeschaltet.

Herr Biesenbach, viele Hauseigentümer in den Flutgebieten haben ihre Immobilien nicht gegen Elementarschäden versichert. Sind die Prämien zu hoch? Nein, das kann man so nicht sagen. Von dem aktuellen Flutwasser sind nach ersten Erkenntnissen der Versicherungswirtschaft circa 7700 Adressen in NRW und Rheinland-Pfalz betroffen. Fast alle liegen in den Gefährdungsklassen 1 und 2. Das bedeutet, das Gros der Betroffenen hätte sich für eine Jahresprämie von im Durchschnitt 100 bis 150 Euro versichern können. Das Problem ist, dass nur circa 45 Prozent der privaten Gebäudeeigentümer eine Elementarschaden-Versicherung abgeschlossen haben. Sie gehen ein hohes Risiko ein.

Für besonders gefährdete Gebäude werden viel höhere Versicherungsbeiträge verlangt… Da reden wir von Ausnahmefällen. Es gibt in Deutschland insgesamt 21 Millionen Gebäudeadressen. 98,5 Prozent dieser Gebäude wären in den niedrigen Gefahrenklassen 1 und 2 versicherbar, bei denen die durchschnittliche Versicherungsprämie zwischen 70 und 220 Euro pro Jahr beträgt. Nur 0,4 Prozent sind in der höchsten Gefahrenklasse 4 versichert, in der die durchschnittliche Jahresprämie bei circa 700 bis 800 Euro liegt.

Flutschäden waren in der Vergangenheit gering

Werden die Versicherungsbeiträge nach der Flut steigen? Die Prämien basieren auf den durchschnittlichen Schadenshöhen der Vergangenheit. Die waren aber bislang eher moderat. Ein Beispiel: Zwar gab es auch beim Juni-Hochwasser 2013 mal einen Einzelschaden in Höhe von 500 000 Euro, die durchschnittliche Schadenshöhe bei Elementarschäden lag nach Angaben der Versicherungswirtschaft  jedoch in den Jahren 1999 bis 2015 bei unter 5000 Euro. Diesmal geht es um exorbitante Summen. Wir werden sehen, wie die Versicherungswirtschaft darauf reagiert.

Stark gefährdete Gebäude in Hochwassergebieten können aber zum Teil gar nicht versichert werden… Nach meiner Kenntnis haben wir weniger ein Angebots-, sondern eine Nachfrageproblem. Nur ganz wenige Immobilien lassen sich faktisch nicht versichern.

Alle Objekte sollen versichert werden können

Und deren Eigentümer haben Pech gehabt? Damit können wir uns nicht abfinden. Für die sehr wenigen bestehenden, nicht zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen versicherbaren Objekte muss eine Möglichkeit der Absicherung des Risikos gefunden werden. Ich könnte mir ein staatlich unterstütztes Rückversicherungsmodell vorstellen, etwa nach dem britischen Modell des „Flood Re“. Wir müssen an das Thema ganz grundsätzlich herangehen.

Juristen sahen rechtliche Bedenken

Warum gibt es eine Pflichtversicherung für Elementarschäden bislang nicht? Mit dieser Frage haben sich in der Vergangenheit immer wieder Arbeitsgruppen von Bund und Ländern befasst. Noch 2015 führte die Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile einer solchen Pflichtversicherung zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken gewichtiger erschienen. Eine Verpflichtung zum Abschluss einer solchen Versicherung bedeutet einen schweren Eingriff in die Vertragsfreiheit und damit in die allgemeine Handlungsfreiheit. Eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss von Versicherungen besteht nur in wenigen Teilbereichen, wie etwa bei der Haftpflichtversicherung in bestimmten Berufsfeldern oder für den Betrieb von Kraftfahrzeugen. Hier dient die Versicherungspflicht jedoch in erster Linie dem Schutz Dritter. Ich glaube aber, dass wir jetzt eine neue Lage haben. Wir müssen nach meinem Verständnis die Sachlage nach den massiven Flutschäden jedoch juristisch neu bewerten.

NRW will mit Reformplänen auf den Klimawandel reagieren 

Eine Pflichtversicherung hätte viele Eigentümer vor großen Belastungen bewahrt…. Ja, deswegen müssen wir zu einer solidarischen Risikoverteilung und einem flächendeckenden Schutz vor existenzgefährdenden Schäden kommen. Den Debatten der vergangenen Jahre lagen ja durchschnittliche Elementarschäden zugrunde, die nur selten ein existenzgefährdendes Ausmaß erreicht hatten. Dies ist bei der aktuellen Hochwasserkatastrophe komplett anders. Angesichts der extremen Wetterlagen, mit denen wir künftig rechnen müssen, ist die Einführung einer Pflichtversicherung von Elementarschäden jetzt neu zu diskutieren. Die Pflegeversicherung wurde aus einer ganz ähnlichen Erwägung eingeführt. Diese wurde auch zur Pflicht gemacht, als das Risiko, dass die Pflegekosten die Menschen in den Ruin treiben würden, zu hoch wurde.

Wie wollen Sie den Vorstoß vorantreiben? Während der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister werden wir uns jetzt erneut mit der Frage einer Pflichtversicherung für Elementarschäden befassen. Die Arbeitsgruppe wird möglicherweise wieder aktiviert. Ich jedenfalls werde mich dafür einsetzen. Ich bin zuversichtlich, dass der Vorstoß Unterstützung finden wird. Ich selbst halte eine Pflichtversicherung für Elementarschäden für Wohngebäude inzwischen für erforderlich. 

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