Historiker über Kolonisten und heutige BürgerWie ticken die Amerikaner, Herr Stöver?

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Fahnen in Manhattan: Hat die deutsch-amerikanische Freundschaft gelitten?

  • Die Lage in den USA ist angespannt – natürlich auch wegen des Präsidenten Donald Trump.
  • Der Historiker von der Universität Potsdam Bernd Stöver gilt als großer Kenner der USA.
  • Im Interview spricht er über die Verhältnisse der Gesellschaft: Ist es noch das Land der Freiheit?

Köln – Herr Stöver, sind die Vereinigten Staaten eine Ansammlung der Nachkommen von Fundamentalisten, Rassisten und Outlaws?

 Wenn der Eindruck bei Lektüre des Buches so entstanden ist, stimmt er natürlich nicht.  Dass das Land aus Outlaws, Dissidenten und zum Teil aus Fundamentalisten entstanden ist, liegt aber auf der Hand. Die Gruppen, die wirklich ideologiegeschichtlich und politisch von Belang waren und Außenwirkung zeigten, sind diejenigen gewesen, die aus Europa weggingen, weil sie etwas ganz Neues machen wollten. Eine neue Kirche gründen, den Glauben leben, in Ruhe gelassen werden von der Obrigkeit, eben eine „Neue Welt“ gründen. Es waren Dissidenten, das muss man sich immer vor Augen halten. Das Bild änderte sich zwar angesichts der Einwandererzahlen. Aber es  war der Beginn. Die andere Gruppe in der Anfangszeit waren jene, die Handel betrieben und ein gutes Geschäft machen wollten. Beide verband, dass sie ein neues Leben anfangen wollten – weit weg vom „alten Europa“ und seinen Zumutungen. Darauf lohnt sich zurückzukommen, um zu verstehen, warum es in den USA oftmals reicht, bei aktuellen Themen, einen ganz kleinen Punkt nur anzutippen, etwa die Gefährdung von Außen oder auch von Innen, die Lagermentalität, die Sorge, der eigene Lebensentwurf  sei gefährdet. Ein Antippen reicht und schon stehen viele auf den Zehenspitzen.

Ist der Kern der Lagermentalität das „Us and Them“?

 Das ist ein fester Standard, der sich bis heute erhalten hat. Es gibt natürlich eine ganze Reihe anderer Standards. Schon vor der Boston-Tea-Party und der  Unabhängigkeitserklärung hat es immer Ereignisse gegeben, in denen das „Us and Them“ eine bedeutende Rolle spielte: Wir werfen jene raus, die nicht dazugehören. Das ist auch im 20. Jahrhundert zu beobachten, etwa  im McCarthyism in den 1950er Jahren oder etwa in den 70er Jahren, wie man am Fall John Lennon sehen kann, den man aus den USA ausweisen wollte, unter anderem weil er sich kritisch gegenüber der US-Regierung geäußert hatte.

In den USA gibt es eine ungeheure Ungleichheit. Beruht sie  auf der Geisteshaltung der Puritaner des  17. Jahrhunderts,  im Sinne der protestantischen Ethik Max Webers zu handeln?

 Die Puritaner sind eine Sammelbezeichnung für evangelikale Gruppen. Die Ungleichheit ist gottgewollt, ist die Grundidee. Evangelikales Gedankengut beruht zu wesentlichen Teilen auf dem Calvinismus und seiner Frage, ob Gott gewollt hat, dass alle Menschen gleich sind. Das ist, wie das alltägliche Leben zeigt, offenbar nicht der Fall. Nach calvinistischer Lesart lässt sich am Erfolg im Leben ablesen, wie gut es Gott mit einem gemeint hat, der wirtschaftliche Erfolg wird zum greifbaren Beweis für seine Liebe. Darin wurzelt auch die Theorie Max Webers, dass der „Geist des Kapitalismus“ letztendlich in dieser „protestantischen Ethik“ seine Ursache habe. Tatsächlich ist das Bild des erfolgreichen Selfmademan das eigentliche ökonomische und gesellschaftliche amerikanische Ideal, wie niemand bestreiten können wird. Das ist tief in  der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt. Das merkt man nicht zuletzt an den aktuellen Buchtiteln.  Max Weber ist aber nur einer in einer langen Reihe, dem das auffällt. Viele Reisende haben das gerade im 19. Jahrhundert immer  wieder beobachtet; 60, 70 Jahre vor Max Weber.

Die Abneigung gegen Roosevelts New Deal und Obamas Gesundheitsreform speisen sich genau aus dieser Geisteshaltung?

 Es liegt daran und an der Tatsache, dass viele Amerikaner den Staat am liebsten so weit es geht außen vor halten möchten.  Auch das findet seine Gründe bereits im 17. Jahrhundert. Der Staat ist in dieser Perspektive eine Notwendigkeit, den man auf seine unmittelbaren Aufgaben beschränken möchte.  Mentalitätsgeschichtlich steht dahinter noch immer die Erfahrungswelt aus der Kolonial- und Gründerzeit der USA. Schaut man sich das Interesse der Amerikaner für Politik und Wahlen an, sieht man auch, dass es zu den Wahlterminen großes Interesse gibt,  aber dazwischen ist das Interesse der 312 Millionen Amerikaner an Politik höchst begrenzt.

Die USA fühlen sich von Gott gelenkt. Mit ihm im Rücken eroberten sie den Westen der USA im 19. Jahrhundert und betrieben als auserwähltes Volk Weltpolitik.

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 Man muss auch hier unterscheiden zwischen offizieller Politik und  Bevölkerungsmeinung. Ob beides stets Hand-in-Hand ging, lässt sich bezweifeln. Die Manifest Destiny, die „Offenbare Bestimmung“ der USA, ist eine politische  Erfindung aus den 1840er Jahren, um zu begründen, dass man  mexikanisch-spanische Gebiete erobern darf. Der Katholizismus im Süden  ist ein Gegner, man selbst ist eine protestantische Macht oder zumindest auf dem Weg dahin. Man möchte niemanden im Süden, aber auch nicht im Norden oder an einem anderen Ort in der Nachbarschaft haben, der das Experiment einer unabhängigen protestantischen  Demokratie gefährden könnte. Und dies ist im Zuge der Wiedereroberung des spanischen Kolonialgebietes durch europäische Monarchen in der Tat eine große Gefahr.  Hinzu kommt an der Nordspitze des amerikanischen Doppelkontinents Russland, das sich nach Alaska ausgedehnt hat. Auch Russland ist monarchisch, und auch dieses möchte man nicht in der Nachbarschaft. Bei der Manifest Destiny handelt sich also eigentlich um eine Begründung, die erst im Wahlkampf 1844 geliefert wird. Dass die Besiedlung des Westens parallel dazu stattfindet, hat jedoch in der Realität wenig mit der Manifest Destiny zu tun. Die Siedler, die Trapper und Goldsucher haben sich wenig darum gekümmert. Sie suchten freies Land, es waren Glückssucher. Dass die Inhalte der Manifest Destiny und die Versprechungen der Monroe-Doktrin, Hilfen für alle zu bieten, die sich von undemokratischen Mächten bedroht sahen, nicht gleich Hand-in-Hand gingen, sieht man auch im weiteren Engagement der USA.

Wo genau lässt sich das denn verorten?

 Als es darum ging, sich seit dem 19. Jahrhundert politisch und militärisch in Europa zu engagieren, haben sich die USA sehr schwer damit getan; im Gegensatz im Übrigen zum wirtschaftlichen Engagement. Es hat lange gedauert, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Eintritts in den Ersten Weltkrieg zu überzeugen. Nach dem  Sieg 1918 fiel man ja geradezu automatisch wieder weitgehend in eine weitgehende außenpolitische Passivität zurück. Die Mehrheit der US-Bevölkerung wollte die politische Verantwortung für die Weltpolitik damals eigentlich gar nicht. Und auch Roosevelt brauchte sehr lange, bis er die Amerikaner davon überzeugte, dass ein Engagement  im Zweiten Weltkrieg für die eigene Sicherheit notwendig sei. Erst durch Pearl Harbor und Hitlers Kriegserklärung an die USA gelingt das.

Sind die beiden Bereiche gleich wichtig: Wirtschaftsinteressen und Fackel der Demokratie zu sein und Weltpolizist zu spielen?

 Der Kern der Monroe-Doktrin von 1823 und ihrer Fortentwicklung in den 1840er Jahren heißt, wir verteidigen die Freiheit und verteidigen jene, die gegen antidemokratische Mächte aufstehen. Das bleibt eine ständige Aufgabe und die USA haben lange gebraucht, um sich darauf einzustellen. 1898 wurde der Krieg gegen Spanien – das erste große außenpolitische Engagement – auch als ein Kampf gegen die Monarchie und für die Freiheit verstanden, trotzdem es um wirtschaftliche Interessen ging. Der Kriegseintritt 1917 und 1941  waren geradezu klassische Kämpfe gegen „Despoten“, wie es in der Monroe-Doktrin heißt, aber im Anschluss wurden die USA jedes Mal auch ökonomisch stärker. Grundsätzlich ist das ökonomische Interesse älter.

War die Ökonomie wichtiger?

 Primär ging es um Handel, dann erst um die Zurückdrängung der „antidemokratischen Mächte“, um noch einmal die Monroe-Doktrin zu zitieren. Dabei war klar, dass die Sicherheit des Welthandels immer auch militärisch-politisch gesichert werden sollte. Nach 1945 konnte man ohnehin nicht mehr in den Isolationismus zurückkehren. Weltpolitik und Welthandel sind auf diese Weise zwei Seiten der gleichen Medaille.

Die große Herausforderung liegt im Pazifik. Welche Fähigkeiten sind es, dass die USA Nummer eins in der Welt bleiben?

 Sie sind es noch, aber die Sorge ist da, dass China die USA überrunden wird. Schon in den 60er Jahren wurde bis hinein in die Comics die „gelbe Gefahr“ beschworen, allerdings aus anderen Gründen. Die USA haben jedoch ein enormes Innovationspotenzial: man muss sich nur einmal anschauen, wo die IT-Giganten ihren Ursprung haben; das ist nicht in China und auch nicht in Europa, sondern in den USA. China baut im Augenblick noch immer Vieles nur nach. Die USA sind daher aus meiner Sicht noch nicht gefährdet, ihren Status als Nummer eins zu verlieren. Sie konnten sich noch immer an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Wahrscheinlich wird es auch diesmal das Potenzial der IT-Branche sein.

Zu Person und Werk

Bernd Stöver lehrt nach Stationen in Bielefeld und Washington D.C. als Professor Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Globalgeschichte an der Universität Potsdam. Aus seiner Feder stammen zahlreiche lesenswerte Bücher.  Hierzu zählt sein  im Verlag C. H. Beck erschienenes Buch: „United States of America. Geschichte und Kultur“, 763 S., mit 84 Abbildungen, 19 Karten und 15 Graphiken, 14,95 Euro, über das dieses Interview mit Stöver geführt wurde.

Weitere Veröffentlichungen:  Der Kalte Krieg 1947-1991 ebenfalls im Verlag C.H. Beck, 24,90 Euro. Geschichte des Koreakriegs, Schlachtfeld der Supermächte und ungelöster Konflikt, C.H. Beck, 12,95.

„CIA – Geschichte, Organisation, Skandale“ bei C H. Beck Wissen,  128 S., mit 3 Tabellen und 1 Grafik , 8,95 Euro. „Geschichte Kambodschas. Von Angkor bis zur Gegenwart“, C.H. Beck, 256 S., mit 25 Abbildungen und 6 Karten, 14,95.

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