Historiker über ReichtumWird wirtschaftliche Ungleichheit durch Corona eingedämmt?

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Rettungskräfte bei einem Patienten, der unter Corona-Verdacht steht, in Paris.

  • Die Corona-Krise trifft die ganze Welt mit voller Wucht – unter anderem auch die Finanzwelt. Staaten und Staatengemeinschaften steuern mit Rettungspaketen in Milliardenhöhe gegen.
  • Die Frage ist: Wer soll das alles bezahlen? Der Historiker Walter Scheidel hat Mechanismen erforscht, die den Reichtum erheblich umverteilen.
  • Er argumentiert in seinem Buch, dass wirtschaftliche Ungleichheiten in der Regel am wirksamsten durch katastrophale Ereignisse eingedämmt werden. Auch durch die Corona-Krise?

Köln – Bekanntlich sind auf der Welt nur zwei Dinge sicher: der Tod und die Steuern. Allerdings scheint Benjamin Franklins Einsicht nicht für alle zu gelten. Multinationale Großkonzerne entwickeln immer ausgeklügeltere Methoden, um ihre Gewinne am Fiskus vorbeizuschleusen, Steuerparadiese unterbieten sich in der Konkurrenz um die Gelder Wohlhabender. In den USA müssen Milliardäre dank Trumps Reformen weniger an den Staat abtreten als ihre Assistenten.

In seinem wissenschaftlichen und ehrgeizigen Buch „Nach dem Krieg sind alle gleich“ (wbg Theiss) argumentiert Walter Scheidel, dass wirtschaftliche Ungleichheiten in der Regel am wirksamsten durch katastrophale Ereignisse eingedämmt werden: Krieg, Revolution, Zusammenbruch von Staaten und Naturkatastrophen. 

Marktwirtschaftliche Industriegesellschaften sind anfällig für das hohe Maß an Ungleichheit

Scheidel  erforscht die  Mechanismen, die den Reichtum erheblich umverteilen – nicht nur in den Gesellschaften, die wir zu kennen glauben, wie die westeuropäische Moderne, sondern auch in solchen, die wir selten in Betracht ziehen, wie die Amerikas vor der Eroberung oder den dunklen Zeiten in Europa. 

Es ist die moderne „Große Verdichtung“  beginnend mit dem Krieg von 1914 – 1918 und endend mit dem Thatcherismus, welche die die größten Auswirkungen auf die zukünftige soziale Gerechtigkeit hat. Sein Argument, das sich an das von Thomas Piketty anlehnt, ist, dass die durch die Wohlfahrtsstaaten, die kommunistischen Revolutionen und die durch die Weltkriege erforderlichen  Steuern erreichte Verringerung der Ungleichheit eine einmalige Angelegenheit war.

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Marktwirtschaftliche Industriegesellschaften, die keine Revolution, keine Katastrophe und keinen totalen Krieg erleben, sind anfällig für das hohe Maß an Ungleichheit, dem wir uns derzeit nähern. Scheidel kommt zu dem Schluss, dass diese katastrophalen Nivellierer „vorerst verschwunden sind und wahrscheinlich nicht so bald wiederkehren werden. Dies lässt Zweifel an der Machbarkeit künftiger Nivellierungen aufkommen“.

Scheidel: „Nach dem Krieg sind alle gleich“

Das schrieb er allerdings vor der Cornavirus-Krise. „Nach dem Krieg sind alle gleich“, schreibt er.  Scheidel hat am Beginn seines Buches eine Radierung von Dürer eingefügt mit den vier apokalyptischen Reitern. Der vierte Reiter sind epidemische Krankheiten. Auch sie würden eine Verschiebung der Ressourcen zugunsten der Massen begünstigen und die Reichen zur Ader lassen.

Anders als bei Kriegen würde dieser apokalyptische Reiter ohne Gewalt auskommen. Dafür bringt er eine andere Spezies mit ins Spiel. Wie verringern Epidemien die Ungleichheit? „In vormodernen Agrargesellschaften sorgten Seuchen für eine wirtschaftliche Nivellierung, indem sie das Verhältnis zwischen Ackerfläche und Anzahl der Arbeitskräfte veränderten: Sie senkten den Wert des Bodens (der sich in Grundpreisen, Pachtzinsen und Preisen landwirtschaftlicher Erzeugnisse niederschlug) und erhöhten den Wert der Arbeit (in Form von höheren Reallöhnen und niedrigeren Pachtzinsen)“, schreibt Scheidel in seinem äußerst lesenswerten Buch. „Das senkte die Einkünfte von Grundbesitzern und Arbeitgebern und verbesserte die wirtschaftliche Lage der Arbeitskräfte, wodurch die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen verringert wurde.“

„Nivellierung zumeist nicht von Dauer“

Er schränkt jedoch ein: „Wenn es zu einer Nivellierung kam, war diese zumeist nicht von Dauer. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde sie schließlich durchweg rückgängig gemacht, sobald eine demografische Erholung neuen Bevölkerungsdruck erzeugte.“

Scheidel betrachtete auch die Folgen der Pest, die in Europa 1348 ausgebrochen war und 25 bis 40 Prozent der Bevölkerung dahinraffte. Die Folge: „Die Autorität der Kirche schwand, Hedonismus und Asketismus blühten Seite an Seite auf, die Wohltätigkeit nahm zu, gespeist von Furcht und vom Ende vieler Menschen, die keine Erben hinterließen.“

Die einschneidendsten Veränderungen betrafen jedoch die wirtschaftliche Sphäre, vor allem den Arbeitsmarkt. Bis zum Ausbruch der Pest hatten die Lebensstandards stagniert. Der Schwarze Tod verursachte einen Bevölkerungsrückgang, während er die physische Infrastruktur intakt ließ.

Lohne stiegen infolge des Massensterbens deutlich

Dank des Produktivitätszuwachses schrumpfte die Produktion weniger als die Bevölkerung, was einen Anstieg der durchschnittlichen Pro-Kopf-Produktion und der Einkommen bewirkte. Den zeitgenössischen Beobachtern in Westeuropa entging nicht, dass die Löhne infolge des Massensterbens deutlich stiegen.

Scheidel untersuchte auch die verheerende Wirkung von Epidemien in Mittel- und Südamerika. Er schildert die verheerenden Zustände und zeigt dann auf, das auch dort eine Zunahme der Arbeitslöhne zu verzeichnen war.

Ökonomen zeigen, wie soziale Ungleichheit zustande kommen konnte

All diese Vorgänge, die große Teile der Menschheitsgeschichte und mehrere Kontinente umspannen, würden deutlich zeigen, dass nur gewaltsame Katastrophen die Ressourcenungleichheit erheblich verringern konnten.

Oder doch nicht? Die beiden Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman rekonstruieren, wie es zu dieser Ungerechtigkeit der massiven sozialen Ungleichheit im 21. Jahrhundert überhaupt kommen konnte. Sie erklären Steuervermeidungsstrategien, zeigen auf, wie Steuerungerechtigkeit und Ungleichheit miteinander verbunden sind, und formulieren Vorschläge für gerechtere Abgabensysteme in einer globalisierten Welt. Wir müssen verhindern, so die renommierten Ungleichheitsforscher, dass eine Konzentration des Reichtums in den Händen weniger die demokratischen Entscheidungen vieler aushebelt.

Seit Reagan 1980 an die Macht kam, hat sich der Anteil des oberen einen Prozent am Vermögen auf 40 Prozent verdoppelt, bei den unteren 90 Prozent auf 20 Prozent halbiert. Diese rabiate Umverteilung ist kein unvermeidlicher Nebeneffekt der mit der Globalisierung gewachsenen Möglichkeit von Konzernen, Gewinne auf die Kaimaninseln oder die Bermudas zu verschieben.

Superreiche führen weniger ab als Arbeiter

In keinem westlichen Land hat sich die Steuerpolitik so radikal verändert wie in den USA. Die Superreichen, die obersten 0,001 Prozent, führen dank Steuersenkungen und einer florierenden Steuervermeidungsindustrie nur rund 20 Prozent ihrer Einnahmen ab – weniger als Arbeiter. Faktisch ist die progressive Steuer damit abgeschafft. Auch deshalb nimmt die Ungleichheit in den USA rasant zu.

Doch es gibt wirksame Instrumente wie Mindeststeuern, an denen sich die Armada von Steueranwälten die Zähne ausbeißen würde. Als gerechten Steuersatz für Superreiche visiert das Duo 60 Prozent an, dreimal so viel wie derzeit. Nur so werde ein funktionsfähiges Gesundheitssystem auch für Ärmere machbar sein.

Komplizierter ist die Frage, wie man die globale Steuervermeidung in den Griff bekommt. Hier hilft nur eine weltweite Mindeststeuer von 25 Prozent. Weil Staaten dies aus Eigeninteresse aber unterlaufen werden, ist dies ein langer Weg. Die Alternative: eine nationale Ausgleichssteuer. Wenn Apple in Jersey nur zwei Prozent Steuern zahlt, kassieren die USA die 23 Prozent Steuern. So lohnt sich keine Steuervermeidung mehr.

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