Homosexuelle NetzwerkeVerbotene Liebe im Vatikan

Katholische Priester in Rom.
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Die „Raben“ kreisen wieder über Rom. Corvi, so nennen die Italiener anonyme Informanten. In der Vatileaks-Affäre vor einem Jahr haben sie eine Fülle vertraulicher Dokumente vom Schreibtisch des Papstes an die Öffentlichkeit lanciert. Jetzt, kurz vor der Papstwahl, raunen die Raben von neuen Enthüllungen, insbesondere zum heikelsten und heißesten Thema der in Rom versammelten Kardinäle: Was steht in dem geheimen Dossier zu den Hintergründen von „Vatileaks“? Was ist dran an Informationen über schwule Netzwerke im Vatikan, Abhängigkeiten und die Erpressbarkeit hochrangiger Prälaten?
„Gay Lobby“ im Vatikan?
Die links-liberale Tageszeitung „La Repubblica“ hatte kurz vor der Abdankung Benedikts XVI. erstmals über angebliche Inhalte der 300 Seiten berichtet, die drei vom Papst beauftragte Kardinäle erstellt und ihm am 17. Dezember in zwei „rot gebundenen“ Konvoluten übergeben hatten. In derselben Zeitung antwortet jetzt ein Insider, der keinen Namen hat, aber einen „Goldring mit päpstlichem Siegel“ am Finger trägt, auf die Frage nach der behaupteten „Gay Lobby“ im Vatikan: „Verissima! Allzu wahr! Darauf können Sie wetten.“ Er könnte Namen nennen von Kardinälen und Monsignori, von Bischöfen und Funktionsträgern“, hochrangigen Leute aus dem Staatssekretariat und den wichtigsten vatikanischen Behörden.
Er „könnte“, sagt der Rabe. Aber er tut er es nicht. Noch nicht. Erst mal wolle die etwas 30-köpfige Gruppe schauen, wer der neue Papst wird – und wen er sich als Kardinalstaatssekretär holt, als Regierungschef. Das klingt nicht nur nach einer Drohung, es ist eine.
Druck auf die Papstwähler
Kein Wunder, dass Vatikan-Sprecher Federico Lombardi schon vor Tagen über Diffamierungen klagte, mit denen „inakzeptabler Druck“ auf die Papstwähler ausgeübt werden solle. Wer vor allem Geld, Sex und Macht im Kopf habe und die Welt an diesem Maß messe, der sei dann auch nicht imstande, in der Kirche anderes wahrzunehmen. Alles, was über das Kardinalsdossier im Umlauf sei, das Benedikt XVI. weggeschlossen hat und erst seinem Nachfolger zu treuen Händen übergeben will, führe zu „Spannungen, die das Gegenteil von dem sind, was der Papst und die Kirche wollen“.
Mag sein, aber damit ist wenig gesagt über den Wahrheitsgehalt der wilden Sex-Geschichten aus dem Vatikan. Immerhin schreibt selbst der papst-ergebene Welt-Korrespondent Paul Badde, der zu einer als „Tafelrunde“ titulierten Journalisten-Runde von Papstsekretär Georg Gänswein gehören soll: Schwule Netzwerke im Vatikan seien niemandem neu, „der den Zwergstaat einige Jahre beobachten durfte“. Das ist bemerkenswert, zählt die Homosexualität im Klerus offiziell doch nach wie vor zu den römischen Tabus. In die Amtszeit Benedikts XVI. fällt gar eine Verschärfung der Zulassungsbedingungen für die Priesterweihe, wonach Schwule auszuschließen sind: Ihre Veranlagung hindere sie am Aufbau „korrekter Beziehungen“, es fehle ihnen die „affektive Reife“.
Der katholische Theologe David Berger kann darüber nur bitter lachen. Seit seinem Coming-Out 2010 gehört er zu den wenigen, die aus erster Hand offen über die rosa Priester- und Prälaten-Szene erzählen. Als Professor der Päpstlichen Thomas-Akademie – inzwischen ist er dort längst herausgeflogen - hielt sich Berger häufig in Rom auf. „Erst war’s für mich schockierend, später selbstverständlich, wie vielen mir bekannten Gesichtern aus dem Vatikan ich wieder begegnet bin, zuweilen in sehr intimen Situationen.“ Am Monte Caprino zum Beispiel, einem bekannten Schwulen-Treff. Oder in einer fast schon legendären Wohnung am Monte Mario, zu der es „eine Fülle von Zweit-, Dritt- und Viertschlüsseln“ gebe, ausgesprochen praktisch für ungestörten Sex. „Ich habe selbst jemanden kennengelernt, der einen dieser Schlüssel hatte.“
Darum hält Berger es auch für absolut plausibel, dass auch das Kardinalsdossier für den Papst solche oder ähnliche Informationen enthält. Falls Namen genannt würden, könnten nach seiner Erfahrung zumindest Kurienbischöfe darunter sein, sagt Berger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
„Keiner so homophob wie Benedikt XVI.“
Nur glaubt der Theologe nicht an eine „schwule Lobby“ im strengen Sinn. „Man kennt sich, man organisiert sich, man spricht sich ab“, sagt Berger. Aber nicht, um Kirchenpolitik zu machen, sondern „um möglichst unproblematisch an Sex zu kommen“. Die gegenteilige Deutung eines „Netzwerks“ spiele ultrakonservativen Kräften in die Hände, die im Konklave einen Hardliner als Papst durchsetzen wollen, der dann „den Homo-Saustall“ ausmistet. Berger selbst plädiert für einen anderen Ansatz: „Den Kirche muss sich ehrlich der Homosexualität stellen, auch und gerade in den eigenen Reihen. Sie muss, so komisch das aus dem Mund eines bekennenden Schwulen klingt, wieder heterosexueller werden und weniger neurotisch“. Damit meint Berger ausdrücklich auch den Papst a.D. Keiner der Vorgänger sei „so homophob gewesen wie Benedikt XVI.“, was sich in einer Fülle von Verurteilungen der Homosexualität als Geißel der Menschheit niedergeschlagen habe.
Den Hinweis auf eine Erpressbarkeit vatikanischer Würdenträger durch „Laien“ hält Berger ebenfalls für eine Nebelkerze. Tatsächlich gebe es unter den (hohen) Klerikerin im Vatikan selbst ausreichend starke wechselseitige Bande des Wissens, der Förderung, aber auch der Feindschaft und des Hasses. Wohlverhalten und Übereifer bei den Betroffenen seien die Folge. „Sie wollen romtreue Musterschüler sein, um das Manko ihrer wilden sexuellen Eskapaden wieder gut zu machen“, sagt Berger. Von einer „unerträglichen Mischung aus Überkompensation, übersteigertem Dogmatismus und Ritualismus“ spricht ein bestens informierter Rom-Kenner. „Immer schwanken sie zwischen lasziv und aggressiv – es ist zum Kotzen.“ Das höfische System im Vatikan rufe solche Seilschaften hervor und begünstige sie.
Sogar das augenfällige Organisationsversagen der Kurie führt der Insider auf eine weit vorangeschrittene Durchdringung der Strukturen durch heimliche Homosexuelle im geistlichen Personal der päpstlichen Behörden zurück. „Die ziehen strukturell so viel an sich, bis sie dem Ganzen nicht mehr gewachsen sind. Noch der kleinste Unterteufel hat in diesem Camarilla-Unwesen persönlich Anteil an der Unfehlbarkeit. Das führt zu Allwissenheits- und Allmachtsphantasien, die am Ende andere ausbaden müssen.“
Ob der nach katholischer Lehre einzige wirklich Unfehlbare, der Papst, zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt ist, spätestens nachdem er im Dezember das Kardinalsdossier in die Hand bekam? Von außen ist das ähnlich schwer zu beurteilen wie die Frage, ob Verflechtungen seines engeren Umfelds ihn bestärkt oder gar erst veranlasst haben zu könnten, jenen Schritt zu gehen, mit dem er am 11. Februar Kirchengeschichte geschrieben hat: den Rücktritt – in der Hoffnung auf einen entschlussfreudigen und tatkräftigen Nachfolger.