Interview mit Robert Habeck„Der Rechtspopulismus versucht, Probleme durch Polarisierung unlösbar zu machen“

Lesezeit 8 Minuten
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen).

Der Grünen-Politiker findet, dass um das Recht auf Asyl zu schützen, konkrete Probleme gelöst werden müssen.

Der Bundeswirtschaftsminister spricht über die wirtschaftliche und politische Lage Deutschlands und kritisiert die AfD. 

Robert Habeck äußert sich im Interview über Wirtschaftshilfen, den Industriestrompreis und die Gaspreisbremse, über Investitionen in Ostdeutschland und warum die Grünen sich zu einer pragmatischeren Haltung in der Asylpolitik durchringen müssen.

Herr Habeck, wenn ein befreundeter Ausländer Sie bitten würde, die Lage in Deutschland zu beschreiben: Was würden Sie dann sagen?

Robert Habeck: Politisch, wirtschaftlich, fußballerisch? Welche Lage meinen Sie?

Zunächst die wirtschaftliche.

Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Aber wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die schon wirken – und weitere sind angeschoben. Also haben wir es ein Stück weit in der Hand, eine Krise abzuwenden und uns aus der Stagflation wieder herauszuarbeiten.

Warum wächst, anders als in vielen westlichen Ländern, die Wirtschaft in Deutschland nicht mehr?

Wir sind eine Exportnation, also hängt ein größerer Teil unseres Wohlstandes am Export – und damit an den Weltmärkten. Wenn China als einer der größten Absatzmärkte schwach ist, schlägt das auf den deutschen Export durch. Und wenn immer mehr Länder ihre Märkte abschotten, ist das für Deutschland eine echte Herausforderung.

Habeck: Gas- und Strompreisbremse hat Markt beruhigt

Die Wirtschaft klagt aber auch über heimische Probleme, von Fachkräftemangel bis Energiepreise.

Das sind zu einem Teil strukturelle Probleme, die sich über Jahre aufgestaut haben, die wir aber angegangen sind: Fachkräftezuwanderung, Entbürokratisierung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren – das haben wir in die Hand genommen. Ursächlich für die noch immer recht hohen Energiepreise ist, dass letztes Jahr die russischen Gaslieferungen ausgeblieben sind. Wir konnten die Energieversorgung sicherstellen und einen schlimmen Einbruch der Wirtschaft verhindern. Aber die Nachwehen sind noch spürbar. Aber es gibt politische Antworten wie die Gas- und Strompreisbremse, die als Versicherung gegen steigende Preise den Markt mit beruhigt hat.

Überraschend positiv entwickelt sich Ostdeutschland – auch aufgrund der Neuansiedlungen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zufall oder Trend?

Das ist auch Folge unserer Strategie, mit der wir Ostdeutschland gezielt unterstützen. Aktuell sind mehr als 20 Großinvestitionen in Ostdeutschland anvisiert – das Investitionsvolumen liegt bei über 50 Milliarden Euro. Mit Projekten wie den Halbleiter-Clustern in Sachsen-Anhalt und Sachsen oder der Ansiedlung von Batterieanfertigung in Brandenburg entstehen Anker, die weitere Ansiedlungen nach sich ziehen: Bauunternehmen, Industrieversorgung, Dienstleister. Da ich oft in Ostdeutschland unterwegs bin, weiß ich, dass Transformation immer auch Zumutung bedeutet. Aber ich sehe eben auch, dass es vorangeht und die Perspektiven immer konkreter werden.

Und wie würden Sie die politische Lage in Deutschland beschreiben?

Die politische Lage entspricht der in vielen Ländern – mit einem erstarkenden Rechtspopulismus. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die demokratische Mitte zu stabilisieren.

Der Rechtspopulismus ist besonders in Ostdeutschland auf dem Vormarsch, trotz der wirtschaftlichen Erfolge.

Ja. Wir haben zwar rechtspopulistische Tendenzen auch in den Wahlkämpfen von Bayern und Hessen. Aber in Ostdeutschland ist die Herausforderung besonders groß. Das ist nicht zuletzt für die Wirtschaft dort schlecht. Denn die Unternehmen brauchen Arbeitskräfte. Davon sollen zwar idealerweise viele aus der Region kommen. Aber selbst Familienbetriebe werden darüber hinaus Fachkräfte aus dem Ausland brauchen. Wenn eine Partei wie die AfD, die das per se ablehnt, so stark wächst, entsteht auch ein ökonomisches Problem. Wir dürfen nicht vergessen: Dass wir eine starke Demokratie und ein Rechtsstaat sind, dass wir eine politische Kultur der Zusammenarbeit und des Ausgleichs haben, ist auch ein Standortfaktor. Das müssen wir schützen.

Robert Habeck: „Der Rechtspopulismus versucht, die zentralen Probleme der Zeit durch Polarisierung unlösbar zu machen“

Zulauf bekommt die AfD vor allem wegen ihrer Kritik an der Flüchtlingspolitik. Anders als 2015/16 können oder wollen dem aber die Wohlmeinenden nur noch wenig entgegensetzen. Müssen auch die Grünen umdenken?

Zuerst muss man sich klarmachen, wie Populismus funktioniert. Vor kurzem wurde ich gefragt, ob das Heizungsgesetz schuld am wachsenden Rechtspopulismus ist. Jetzt ist es wieder die Migrationsfrage. Der Rechtspopulismus versucht, die zentralen Probleme der Zeit durch Polarisierung unlösbar zu machen.

Die Kommunen klagen aber tatsächlich, dass sie vom anhaltenden Zuzug überlastet sind.

Ja, wir haben große Herausforderungen für das Land zu bewältigen. Und wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen. Ich hatte gerade eine Konferenz mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Landräten. Sie sagen, dass sie an vielen Stellen nicht mehr wissen, wie sie die Probleme lösen sollen. Sozialarbeiter kommen kaum noch hinterher, Wohnraum ist knapp. Sie können die Unterbringung kaum noch und bald gar nicht mehr gewährleisten. Die Integrationskurse sind unterfinanziert. Diese Kommunen brauchen unsere Unterstützung.

Welche Art der Unterstützung?

Es ist nötig, die Ausländerbehörden zu entlasten. Deshalb werden wir es möglich machen, dass die Aufenthaltserlaubnisse für Ukrainerinnen und Ukrainer pauschal verlängert werden können statt individuell. Und wir sollten über die bürokratischen Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt sprechen. Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften. Es ist doch in unserem Interesse, dass Menschen, die schon hier sind, ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Und natürlich brauchen die Kommunen die nötige finanzielle Unterstützung.

Ist es schon wieder so schwierig wie 2015/16?

Mir wurde gesagt: Wenn weiterhin so viele Menschen so schnell kommen, bleiben uns außer Turnhallen keine Unterkünfte mehr. Und wenn dann der Turnunterricht ausfällt, kann man nicht erwarten, dass alle Bürger sagen: „Wir kriegen das schon hin.“ Da herrscht eine gewisse Dramatik, ja.

Weil sich die Weltlage weiter verschlimmert hat und der Zuzug nicht nachlässt, herrscht Ratlosigkeit. Was bleibt da außer Abschottung?

Ratlosigkeit ist nicht angezeigt, aber Ehrlichkeit. Und zur Ehrlichkeit gehört, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Die Grünen sind sich des Problems sehr bewusst und haben es angenommen. Wir haben regierungsseitig einem Gemeinsamem Europäischem Asylsystem, das unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vorsieht, zugestimmt, aber es war schwierig für viele Grüne. Immerhin geht es um Menschen, in die man sich ja hineinversetzen kann, wenn man ein bisschen Empathie-begabt ist. Es ist doch aber eine Stärke, mit sich zu ringen, um von der individuellen Sichtweise hin zu einer politischen Haltung zu kommen.

Habeck: Um Recht auf Asyl zu schützen, müssen konkrete Probleme gelöst werden

Aber zu welcher Haltung kommen Sie angesichts der Probleme?

A: Dass wir ein Land sind, dass Verfolgten Schutz gewährt, ist eine Errungenschaft. Aber um Recht auf Asyl zu schützen, müssen wir die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen – auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen.

Sollte Deutschland eine Obergrenze festlegen, wie sie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gerade wieder fordert?

In der Praxis löst eine Obergrenze kein einziges Problem, weil im Zweifel doch mehr Menschen kommen. Deshalb konnte sich schon Horst Seehofer mit der Forderung nicht durchzusetzen. Die Vorstellung, man könne das Problem mit einer Zahl lösen, erhöht am Ende nur den Grad der Enttäuschung. Effektiver sind Migrationsabkommen, die auch die Rückkehr abgelehnter Asylsuchender beinhalten. Die Wahrheit lautet: Nicht alle, die kommen, haben ein Recht, hierzubleiben. Also müssen sie ausreisen. Nur: Wenn eine freiwillige Ausreise nicht zustande kommt, müssen sie rückgeführt werden. Zur Realität gehört dabei auch, dass Rückführungen sehr häufig daran scheitern, dass die Herkunftsländer die Menschen nicht wieder aufnehmen.

Was folgt daraus?

Meine Parteivorsitzende Ricarda Lang hat zu Recht gesagt: Ein wesentlicher Schlüssel sind Migrations- und Rückführungsabkommen. Ich weiß, dass Innenministerin Nancy Faeser und der Migrationsbeauftragte Joachim Stamp daran arbeiten. Wir brauchen unbedingt Anreize, damit Länder überhaupt bereit sind, diese Migrationsabkommen zu schließen. Legale Wege in den Arbeitsmarkt im Gegenzug zum Beispiel oder Entwicklungshilfe. Solche Abkommen müssen den Herkunftsländern oder Transitländern einen guten Grund geben, die Menschen nicht einfach aufs Mittelmeer in die Gefahr ziehen zu lassen. Sie dürfen aber nicht der Deal sein „Geld gegen Gewalt“. Es ist zentral, dass das verstanden wird.

Und die Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, von denen auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anlässlich ihres Besuchs in Lampedusa gesprochen hat, werden kommen?

Davon gehe ich aus. Derzeit haben wir das Dublin-System. Es besagt, dass jene Staaten für Flüchtlinge verantwortlich sind, in denen sie erstmals den Boden der EU betreten. Das funktioniert aber nur bei sehr geringen Zahlen. Insofern ist es richtig, ein gemeinsames Asylsystem zu haben, an den Außengrenzen rechtsstaatliche Verfahren durchzuführen und dann bei Anerkennung auf die Mitgliedstaaten zu verteilen, nach einem verbindlichen Verteilsystem. Aber es herrscht natürlich– auch in meiner Partei – die Sorge, dass auf diese Weise Lager wie in Lampedusa oder Lesbos entstehen, in denen Menschen teilweise jahrelang unhaltbaren Zuständen ausgesetzt sind.

Sie sprachen über die Erosion der Mitte. Wenn die Kritik am Asylsystem wirklich so viele Menschen nach Rechts treibt: Müssen wir uns am Ende entscheiden zwischen einer offenen Flüchtlingspolitik und der Demokratie?

Nein. Die AfD und der Rechtspopulismus nähren sich von allen Ängsten und schüren sie. Im Übrigen haben auch Länder mit dem Thema Migration Probleme, die seit langem auf einer brachialen Migrationspolitik bestehen.

Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück, der Lage im Land. Leben wir in Zeiten, in denen der schlechte Status quo immer noch besser ist als das, was wir von der Zukunft erwarten können?

Der Status quo ist nicht beglückend. Und natürlich kann es noch schlechter kommen – etwa nach den Präsidentschaftswahlen in den USA, beim russischen Krieg in der Ukraine oder beim chinesisch-amerikanischen Verhältnis. Trotzdem: Politik wird von Menschen gemacht. Deshalb können wir sie ändern – zum Besseren.

KStA abonnieren