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Iran-Expertin Amirpur„Der Wille zum Bau der Bombe ist jetzt noch größer“

Lesezeit 7 Minuten
Die Kölner Islamwissenschaftlerin und Iran-Expertin Katajun Amirpur

Die Kölner Islamwissenschaftlerin und Iran-Expertin Katajun Amirpur

Die Kölner Iran-Expertin Katajun Amirpur spricht über die Folgen der Angriffe auf Teherans Atomanlagen und die wahren Machtverhältnisse in Iran.

Frau Amirpur, wie ist nach den Angriffen Israels und der USA auf Iran die Stimmung in der Bevölkerung?

Entgegen der Propaganda des Regimes ist der Staat Israel für die Menschen in Iran nicht „der Feind“. Nach dem 7. Oktober 2023 haben wir Bilder gesehen von Solidaritätsbekundungen der iranischen Zivilbevölkerung mit den israelischen Opfern des Hamas-Terrors. Da war ein ganz starker Impuls der Distanzierung: „Wir sind als Bevölkerung nicht dafür verantwortlich, dass unser Regime der Hamas und der Hisbollah so viel Geld zahlt, um euch zu beschießen.“ Das hat sich nach den Angriffen auf Iran geändert. Es war zwar am Anfang durchaus Genugtuung zu spüren, dass militärische Führer ausgeschaltet wurden – jene Leute, die die Protestbewegung 2022 niedergeknüppelt haben. Aber dann zeichnete sich schnell ab, dass der Krieg – anders als Benjamin Netanjahu es in seiner ersten Ansprache gesagt hatte – nicht nur das Regime trifft, sondern eben auch die Zivilbevölkerung.

Das war ein Kipppunkt?

Die Bevölkerung ist zwar gegen das Regime, aber sie lässt sich halt auch nicht gerne angreifen.

Netanjahus Ansage an die Iraner ist völlig lächerlich, wenn nicht zynisch.
Professorin Katajun Amirpur

Und das hilft dem Regime?

Nicht dem Regime. Aber es gibt eine breite Stimmung, die sagt: Indem Netanjahu den Slogan der Protestbewegung von 2022 – „Frauen, Leben, Freiheit“ – gekapert hat, hat er den Menschen einen Bärendienst erwiesen. Schon immer wurden Regimekritiker in Iran als „fünfte Kolonne“ des Feindes bezeichnet, als Spione Israels. Jetzt sind unmittelbar nach den Angriffen bereits zwei Menschen, die zur Protestbewegung gehört haben, als angebliche israelische Spione hingerichtet worden. Netanjahus ostentative Ansage an die Iraner war: „Wir haben den ersten Schritt gemacht. Jetzt geht ihr mal auf die Straße und befreit euch von eurem Regime.“ Das ist völlig lächerlich, wenn nicht zynisch. Wie sollen Menschen demonstrieren gehen, wenn sie Angst haben müssen, dass ihnen Bomben auf den Kopf fallen?

Nach den US-Luftangriffen auf die Atomanlagen hat Teheran mit einem – sagen wir – symbolischen Gegenschlag reagiert und sich auf Trumps Vorstoß zu einem Waffenstillstand eingelassen. Was erwarten Sie als nächstes?

Die Führung in Teheran wird jetzt versuchen, sich ihren größten Gegner, der ihnen am meisten schaden kann, vom Hals zu halten. Das sind die USA. Deshalb diese Einwilligung in die Waffenruhe. Und dann kann man hingehen und die Repression im Innern verstärken und alle die mundtot machen, die noch irgendwie versuchen, Kritik zu üben.

Für wie groß halten Sie diesen Anteil in der Bevölkerung?

80 bis 90 Prozent der Iranerinnen und Iraner stehen nicht mehr hinter diesem Regime, wollen es auf jeden Fall weghaben. Aber sie haben eigentlich immer gesagt: Das Problem lösen wir bitte allein.

Katajun Amirpur kritisiert Bundeskanzöer Friedrich Merz

Der Bundeskanzler hat im Hinblick auf eine Beseitigung des Regimes von der „Drecksarbeit“ gesprochen, die Israel für uns erledige. Wie haben Sie das gehört?

Das ist jedem Menschen, der einen emotionalen, persönlichen Bezug hat zu Iran, übelst aufgestoßen. Wer ist denn dann der „Dreck“? Der Dreck, das sind die unschuldigen Menschen in Iran, denen die Bomben auf den Kopf gefallen sind.  Also, das ist eine Äußerung, die – finde ich – eines Bundeskanzlers nicht würdig ist.

Sind wirklich die Menschen gemeint? Man kann „Drecksarbeit“ auch so verstehen, dass schmutzige Dinge passieren müssen, um ein Drecksregime wegzubekommen.

Darauf würde dennoch jeder Iraner sagen: Durch diese „schmutzigen Dinge“ ist das Regime aber nicht weg. Im Gegenteil. Die Bombardements nehmen den Menschen die Möglichkeit, sich gegen dieses Regime aus eigener Kraft zu erheben, und setzen sie stärkeren Repressionen aus. Wie also, bitte schön, habt ihr uns da geholfen?

Ich glaube nicht, dass das Atomprogramm ‚ausgelöscht‘ ist.
Professorin Katajun Amirpur

Geholfen haben die Angriffe anscheinend in Bezug auf die größte Sorge der Israelis und anderer, dass Iran eine Atombombe baut.

Ich glaube nicht, dass das Atomprogramm „ausgelöscht“ ist, wie Donald Trump es jetzt die ganze Zeit von sich gibt. Da gibt es viele Gegenstimmen. Manche sagen sogar, das Programm sei nur um wenige Monate zurückgeworfen worden. Iran wird zwar durch die nochmalige Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr in dem Maße Geld haben, die Hamas und Hisbollah weiter zu unterstützen. Umgekehrt aber dürfte der politische Wille zum Bau der Bombe jetzt noch größer geworden sein – nach der Logik: Wer die Bombe nicht hat, wird angegriffen. Wie Irak. Wer sie besitzt, wird nicht angegriffen. Siehe Nordkorea.

Khamenei hat angeblich bereits für Nachfolger gesorgt

Was könnte dann das Regime stürzen? Eine Beseitigung von Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei, was Trump zumindest angedeutet hat?

Ich glaube nicht. Es würde Unruhe geben, sicher. Aber angeblich hat Khamenei, der ohnehin schwer krank ist, bereits für seine Nachfolge gesorgt. Einige Namen sind seit Jahren im Spiel. Dieses Personal würde im Prinzip so weitermachen. Oder – andere Variante – das Land würde noch mehr zu einer Militärdiktatur. Wir reden hier im Westen immer so salopp von dem „Mullah-Regime“ oder dem „Mullah-Staat“. Eigentlich stimmen diese Begriffe schon seit Jahren nicht mehr.

ARCHIV - 05.07.2024, Iran, Teheran: Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei spricht bei der Stimmabgabe für die Präsidentschaftsstichwahl. (zu dpa: «Berichte: Chamenei trifft Vorbereitungen für Nachfolge») Foto: Vahid Salemi/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Irans Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei.

Sondern?

Iran wird letztlich vor allem von den Revolutionsgarden geführt. Man rätselt schon lange darüber, ob Khamenei die Kontrolle noch über die Revolutionsgarden hat oder aber die Revolutionsgarden schon die Kontrolle über ihn. Das ist alles gar nicht ausgemacht. Wenn Sie also fragen, was müsste denn wirklich geschehen für eine Veränderung im Land, lautet die Antwort: Ranghohe Leute aus den Revolutionsgarden müssten ein Einsehen haben. Dann könnte es zu Rissen im System kommen und am Ende zu einer Entwicklung wie in der UdSSR mit der Perestroika unter Michal Gorbatschow. Es gab Hinweise, dass es diese Risse gebe, so hieß es zuweilen – aber das war vor dem Angriff auf Iran.

Im Persischen nennen wir die Revolutionsgarden nur „die Schmuggelbrüder“.
Professorin Katajun Amirpur

Doch jetzt üben alle wieder den Schulterschluss?

Das Regime ja. Zu den besagten gut zehn Prozent der 92 Millionen Menschen in Iran, die noch hinter diesem Regime stehen, gehören ja nicht nur die eine Million Mann, die die Revolutionsgarden unter Waffen haben. Und das ist schon eine ziemliche Menge, um einen Aufstand niederzuschlagen. Wir reden auch von all den Alimentierten. Die Revolutionsgarden sind nicht nur eine militärische Macht, sondern auch eine ökonomische. Sie kontrollieren vermutlich bis zu 80 Prozent der iranischen Wirtschaft und sind eigentlich sehr daran interessiert, dass es Sanktionen gibt. Im Persischen nennen wir sie nur „die Schmuggelbrüder“, weil sie mit dem Unterlaufen der Boykotte ganz hervorragend verdient haben.

„Von der ausländischen Opposition ist nicht viel zu erwarten“

Wie sehen Sie den Einfluss der Exil-Iraner?

Von der ausländischen Opposition ist nicht viel zu erwarten. Deren Vertreter haben es in 46 Jahren Exil nicht geschafft, sich zusammenzuraufen und einigermaßen zu einem Konsens zu finden. Natürlich ist das vom Regime auch untergraben worden. Aber im Ergebnis hat sich nichts Nennenswertes formiert.

Und in Iran selbst?

Das gibt es durchaus genügend politisches Personal. Leute, die als sehr integer gelten, als vertrauenswürdig, zum Beispiel Narges Mohammadi, die Friedensnobelpreisträgerin 2023, die nach einem säkularen Iran mit der Trennung von Staat und Religion strebt, was eine überwältigende Mehrheit in Iran teilt. Darauf kann man aufbauen. Wirkliche oppositionelle Strukturen aber sind vom Regime zerschlagen worden. Da ist sehr, sehr wenig vorhanden. Aber ich würde meine letzten zehn Cent immer auf die Menschen in Iran selber setzen statt auf eine Exil-Opposition.

Nach dem Tod von Mahsa Amini kam es im Iran im Oktober 2022 zu Massenprotesten gegen das Regime in Teheran. (Archivbidl)

Nach dem Tod von Mahsa Amini kam es im Iran im Oktober 2022 zu Massenprotesten gegen das Regime in Teheran. (Archivbidl)

Die Proteste nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Jahr 2022 haben ja weltweit für Aufsehen gesorgt. Diese Proteste wurden brutal unterdrückt. Sie haben gesagt, diese hätten dennoch nie ganz verschwunden, auch wenn die Welt, absorbiert von anderen Krisenherden, nicht mehr so hingeschaut hat. Wie war die Situation bis vor vielleicht zwei Wochen?

In der Masse und Breite haben die Proteste aufgehört. Dazu hat das Regime einfach zu brutal reagiert. Man hat Menschen mehr oder minder wahllos aufgehängt, weil sie auf die Straße gegangen sind und protestiert haben. Das hatte ein extrem hohes Abschreckungspotenzial. Aber in der Tat, verschwunden waren sie nie ganz. Was man zum Beispiel an Graffitis auf Häuserwänden sehen konnte, an beschmierten Geldscheinen oder daran, dass viele Frauen einfach recht konsequent hingegangen sind und ihr Kopftuch nicht mehr getragen haben.

Es gibt tolle iranische Hackergruppen im Ausland, die aus internen Dokumenten berichten.
Professorin Katajun Amirpur

Das ging ungestraft?

Nein, aber man hat es trotzdem gemacht. Die Antistimmung in der Bevölkerung ist immer noch da. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten gesehen, dass auch immer mehr Männer dann zur Verteidigung von Frauen aufgestanden sind, wenn diese ohne Kopftuch unterwegs waren und von der sogenannten Sittenpolizei eingesammelt werden sollten. Man hatte sich seitens des Regimes zuletzt ein noch harscheres Gesetz ausgedacht. Das hat der Nationale Sicherheitsrat aber wenige Wochen vor dem Angriff zurückgenommen – aus Sorge, wenn wir das durchziehen, flammen neue Proteste auf, und die können uns sehr, sehr gefährlich werden. Das iranische Innenministerium spricht selbst davon, dass im Land täglich 46 Demonstrationen stattfinden. Natürlich wollen sie das niemanden wissen lassen, aber wir sind über das, was das Regime über die Bevölkerung weiß, recht gut informiert, weil es tolle iranische Hackergruppen im Ausland gibt, die aus internen Dokumenten berichten.

Was geht daraus noch hervor?

Dass der Unmut sich nicht nur an den politischen Unfreiheiten entzündet, sondern auch – nur scheinbar banal – an der wirtschaftlichen Lage. 40 Prozent aller Iraner leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze, und das in einem potenziell unfassbar reichen Land. Iran hat die viertgrößten Erdgasreserven, die drittgrößten Erdölreserven der Welt, und trotzdem wissen die Menschen nicht mehr, wie sie an ihr täglich Brot kommen sollen. Das ist dann natürlich auch keine Situation, in der es einfach ist, für einen Regime-Change zu kämpfen, wenn man eigentlich nur noch damit beschäftigt ist, irgendwie den Lebensunterhalt für sich und seine Familie hinzubekommen.

Gibt es dennoch etwas, was Ihnen Hoffnung macht?

Im Moment nicht besonders viel. Aber ich baue auf eine sehr fähige, sehr gut ausgebildete und informierte, sehr, sehr offene Bevölkerung, die weiß, was Demokratie ist, was ein Rechtsstaat ist – und die genau das haben will. Das Experiment des Islamismus ist in Iran gescheitert. Die Menschen wollen einen säkularen Staat. Wer darin dann den Islam leben will, soll das tun dürfen. Aber die Religion soll nicht mehr der Deckel auf der Gesellschaft sein.

Was könnte man unterstützend tun, wenn man in Köln oder der Region lebt?

Zum Beispiel die Möglichkeiten einer freien Gesellschaft nutzen: offene Rede, das Teilen von Informationen, Mahnwachen, Demonstrationen. Dadurch bleibt der Iran auf dem Schirm