FeiertagsrechtExperten kritisieren Schieflage bei NRW-Gesetzgebung für jüdisches Leben

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Die Synagoge in Köln wird von der Sonne angestrahlt.

Die Synagoge in Köln. Volker Beck, Leiter des Berliner „Tikvah-Instituts“, einer Forschungs- und Bildungseinrichtung mit Förderung des Bundes, moniert, dass das NRW-Feiertagsrecht nicht an das jüdische Leben angepasst sei.

Die Glaubenspraxis von Jüdinnen und Juden wird durch die Feiertagsgesetze in NRW nicht ausreichend geschützt, monieren Experten.

Weihnachten, Karfreitag und Himmelfahrt, der Sonntag – in vielfacher Hinsicht orientieren sich die Regelungen für arbeitsfreie Zeiten im Jahreslauf am christlichen Festkalender. Ein Grundgedanke: der Schutz der freien Religionsausübung. Bestimmungen der Länder wie das Feiertags-, das Schul- oder das Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen regeln über die allgemein geltenden gesetzlichen Feiertage hinaus die Befreiung von der Arbeit oder vom Unterricht, damit Gläubige an kirchlichen Festtagen den Gottesdienst besuchen können.

Aber: „Feiertage sind nicht gleich Feiertage“, sagt Volker Beck. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete stellt eine Schieflage zulasten der jüdischen Religionsgemeinschaft fest. Deren Praxis, die am Schabbat und den biblischen Festen über die kultische Feier hinaus die strikte Arbeitsruhe umfasst, sei in den einschlägigen Gesetzen unzureichend bis gar nicht berücksichtigt.

Volker Beck: Jüdinnen und Juden werden zu Bittstellern

„Gesetzgebung und Rechtspraxis gewähren Jüdinnen und Juden im Alltag nicht, was im Grundsatz längst geklärt ist: das Recht, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und ihrer inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“, kritisiert Beck. Jüdinnen und Juden würden „zu Bittstellern“, obwohl sie doch eigentlich garantierte Rechte hätten.

Volker Beck

Volker Beck

Diesen Missstand zu beseitigen, ergebe sich nicht nur aus dem Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes, sondern sei auch erklärter politischer Wille der Bundesregierung wie der NRW-Landesregierung, sagt Beck. Er verweist auf die „Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ (Nasas).

Dort falle zum Beispiel „die Vereinbarkeit von Prüfungsterminen mit jüdischen Feiertagen“ unter das Recht jüdischer Menschen zur freien Entfaltung ihrer kulturellen und religiösen Identität. Das Thema findet sich auch wiederkehrend in den Berichten der NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Tikvah-Institut: Feiertagsrecht in NRW an Glaubensfreiheit binden

Das von Beck gegründete und geleitete „Tikvah-Institut“ in Berlin, eine vom Bundesinnenministerium geförderte Forschungs- und Bildungseinrichtung, zeigt jetzt am Beispiel Nordrhein-Westfalens die erforderlichen Schritte auf, den grundgesetzlich garantierten Schutz der Religionsfreiheit von Jüdinnen und Juden konkret und praxistauglich zu gewährleisten.


Den vollständigen Reformvorschlag finden Sie in diesem Dokument

Alternativ können Sie das PDF hier herunterladen (hier klicken).


Kerngedanke eines Reformvorschlags des Tikvah-Instituts: das NRW-Feiertagsrecht an der Glaubensfreiheit ausrichten. Der Gesetzgeber sei „gefordert, im einfachen Recht auszubuchstabieren, was verfassungsrechtlich ohnehin geboten ist“, heißt es in dem 13-Seiten-Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

Als entscheidende Neuerung sollten im NRW-Feiertagsgesetz der Schabbat und – neben dem bereits genannten Neujahrsfest (Rosch ha-Schana) und dem Versöhnungstag (Jom Kippur) – weitere biblische Feiertage – unter Schutz gestellt werden. Genannt sind hier zusätzlich

  • das Pessachfest (die ersten zwei und letzten zwei Tage)
  • das Wochenfest (Schawuot, zwei Tage)
  • das Laubhüttenfest (Sukkot, die ersten zwei und die letzten zwei Tage)

An diesen Tagen sollten jüdische Berufstätige – unbezahlt - der Arbeit fernbleiben dürfen. Schülerinnen und Schüler erhielten unterrichtsfrei und bräuchten nicht an Schulveranstaltungen teilzunehmen.

Durch eine Anpassung des Landeshochschulgesetzes bekämen jüdische Studierende bei Prüfungen, die auf den Schabbat oder ein jüdisches Fest fallen, das Recht auf einen „gleichwertigen Ersatztermin“.

Jüdischer Studierendenverband kritisiert NRW-Hochschulgesetz

Speziell hierüber hatte es in der Vergangenheit Streit gegeben. Dem Jüdischen Studierendenverband gelang es 2021 trotz heftiger Proteste nicht, für angehende Ärzte und Apothekerinnen solche Ersatztermine zu erwirken. Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Leutheusser-Schnarrenberger bedauert das in ihrem Jahresbericht 2022 ausdrücklich.

„Zwar haben Studierende zumeist die Möglichkeit, in solchen Fällen Ausweichtermine für Prüfungen zu beantragen. Dies führt jedoch zu einem erheblichen Mehraufwand und dazu, dass sich für die Betroffenen andere Prüfungssituationen ergeben. Die Universitäten sollten es nicht den Betroffenen überlassen, Ausweichtermine zu beantragen, sondern selbst dafür sorgen, dass dies nicht notwendig ist“, schreibt Leutheusser-Schnarrenberger. Schließlich sei, wie Volker Beck ergänzend erklärt, „die Beachtung halachischer Arbeitsruhegebote“ durch nationale wie europäische Rechtsprechung „vielfach geklärt“.

Positivbeispiel ist die Ruhr-Universität Bochum, die sich schon 2020 per Senatsbeschluss verpflichtet hat, Prüfungstermine so zu legen, dass sie nicht mit hohen Feiertagen und einem religiösen Arbeitsverbot kollidieren. „Dies sollte Vorbildcharakter für alle Universitäten in NRW sein“, so Leutheusser-Schnarrenberger.

Weiteren Handlungsbedarf des Gesetzgebers sieht das Papier des Tikvah-Instituts bei den Ladenöffnungszeiten. „Das Ladenschlussgesetz nimmt keine Rücksicht darauf, dass im Judentum der Schabbat und nicht wie im Christentum der Sonntag geheiligt wird.“ Damit jüdische Geschäfte am Schabbat (Samstag) geschlossen bleiben können, soll es für die Sonntagsöffnung eine Ausnahmeregelung geben. Diese Lockerung sei „in einer religiös pluralen Gesellschaft sachgerecht, im Sinne des Gleichbehandlungsprinzips geboten und der Fairness im Wettbewerb dienlich“, sagt Volker Beck.

Über die Vorschläge soll in einer Kooperationsveranstaltung des Tikvah-Instituts am 30. August in Düsseldorf mit Vertretern der Landtagsfraktionen (mit Ausnahme der AfD) diskutiert werden.


Zur Veranstaltung

Religionsfreiheit für jüdische Feiertagspraxis in Nordrhein-Westfalen. Mittwoch, 30. August 2023, 18.30 bis 21 Uhr, Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Zietenstraße 50, 40476 Düsseldorf.

Mitwirkende u.a.: Berivan Aymaz, (Grüne, Vizepräsidentin des NRW-Landtags), Volker Beck, die Landtagsabgeordneten Matthias Eggers (CDU, Beauftragter für die evangelische Kirche), Verena Schäffer (Grüne, Fraktionsvorsitzende), Dirk Wedel (FDP, Sprecher Hauptausschuss), Sven Wolf (SPD, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften).

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